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Mythos Querdenker: Ein Besserwisser oder Wirklichwisser?!

Laterales Denken als Voraussetzung für Innovationen

„Die Welt braucht mehr Querdenker“ lauten viele Schlagzeilen in Fachmagazinen und Online-Blogs. Aber gibt es denn überhaupt eine allgemein gültige Definition, was ein „Querdenker“ tun oder lassen muss, um sich so nennen zu dürfen? Stefan Odenbach, Projektleiter am Steinbeis-Transferzentrum Technologie – Organisation – Personal (TOP) hat sich darüber für die TRANSFER Gedanken gemacht.

Fragt man Google, lautet die Antwort, dass ein Querdenker eine „Person mit eigenständigem, originellem Denken“ ist. Die englische Übersetzung von Querdenker – „lateral thinker“ – liefert hierzu zusätzliche Hinweise: So findet man auf Wikipedia, dass „laterales Denken (vom lateinischen „latus“ für „Seite“), oder auch Querdenken genannt, eine Denkmethode ist, die im Rahmen der Anwendung von Kreativitätstechniken zur Lösung von Problemen oder kreativen Ideenfindung eingesetzt werden kann“. Demnach wurde der Begriff schon 1967 von Edward de Bono eingeführt und seitdem in diversen Veröffentlichungen verwendet. Umgangssprachlich wird oft mit Querdenken auch „um die Ecke denken“ verstanden. Das Antonym lautet vertikales oder lineares Denken.

Nach dieser Definition ist „Querdenken“ vielmehr eine Denkmethode und nicht zwingend ein geniales Talent, das nur ganz bestimmten Personen vorbehalten ist, und damit erlernbar. Dies erklärt wohl auch die wachsende Anzahl an Weiterbildungsangeboten zum Querdenker sowie zum methodischen und damit bewussten „Design Thinking“ – ob man unkreative Leute wirklich dazu animieren kann, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. So viel zur grauen Theorie, aber wie sieht die Realität in der täglichen Praxis tatsächlich aus? Fakt ist, die Fähigkeiten zum Querdenken sind immer gefragter und werden schon in Bewerbungsgesprächen thematisiert. Es gilt als besondere Fähigkeit beziehungsweise Grundvoraussetzung für eine mögliche Anstellung (je nach Einsatzgebiet) und wird positiv bewertet. Das beste Beispiel ist Apple Inc., zweifelsfrei eine der innovativsten Firmen der Neuzeit, und mit Steve Jobs hat die Welt sicherlich einen der besten Querdenker leider viel zu früh verloren. Es ist bekannt, dass Apple nur die Besten der Besten sucht: Scharfsinn, Analytik und Schlagfertigkeit sind gefragt. Im Einstellungstest werden deshalb ungewöhnliche, teils kuriose Fragen gestellt. So werden die Bewerber als Produktdesign-Ingenieur zum Beispiel gefragt: „Wir haben eine Tasse heißen Kaffee und etwas kalte Milch aus dem Kühlschrank. Die Raumtemperatur liegt zwischen diesen beiden. Wann sollten wir die Milch in den Kaffee geben, um am schnellsten die kühlst mögliche Mischung zu erhalten (am Anfang, mittendrin oder am Ende)?“

Ist ein Querdenker nun eher ein Besserwisser oder Wirklichwisser? Schauen wir zurück, stellen wir fest, dass die besten Querdenker ihrer Zunft von Aristoteles über Einstein bis Galilei oft belächelt wurden und die genialen Ideen anfänglich wenig Zuspruch fanden. Das laterale oder sogar bahnbrechende und Konventionen in Frage stellende Denken war nicht selten sogar lebensbedrohlich. Der Erfolg wurde oft erst nach dem Tode des Querdenkers gefeiert. Heutzutage ist das zum Teil nicht viel anders, denn auch ein Steve Jobs hatte es nicht immer leicht und auch andere innovative Start-ups wurden entweder vom Markt zunächst belächelt oder bewusst bis zum Durchbruch (zum Beispiel Uber oder Airbnb) klein geredet. Andere Querdenker wie Elon Musk von Tesla Motors gehen sehr offensiv mit der eigenen Querdenker-Rolle um und sagen ketzerisch: „If a trend becomes obvious you are too late!“.

Ein Querdenker ist demnach eine sehr selbstbewusste Persönlichkeit, teils egozentrisch oder selbstherrlich, nicht selten arrogant wirkend. Das muss auch so sein für den häufig einsamen Kampf gegen die anfänglichen Widerstände der Freunde, Kollegen, Vorgesetzten oder der Kunden und Mitbewerber am Markt. Blickt man in die Viten der Querdenker, so findet man oft viele Zwischenstationen, und am Ende landen die meisten Querdenker in der Selbstständigkeit, weil nur wer sein eigener Chef ist, kann sich auf die Idee konzentrieren statt auf die vielen Quertreiber.

Ein Querdenker hatte es also nicht leicht im (Berufs-)Leben und eine typische Karriere in einem Unternehmen ist häufig aufgrund der internen Blockaden nicht möglich. Denn sind wir mal ehrlich, ein Querdenker ist vor allem eines und zwar „ungemütlich“ – durch seine ständige Hinterfragung des Status Quo und seinem Drang nach stetiger Veränderung. Und genau das ist das Lebenselixier von Innovationen. Nur wer selbstkritisch in der Lage ist seine eigenen Produkte, Dienstleistungen oder Denkmuster ständig und ganz bewusst zu hinterfragen, kann langfristig am Markt überleben. Das war schon immer so, denn die Evolution schreitet unermüdlich voran, und wer den Anschluss verliert ist meist vom Aussterben bedroht. Somit müssen die Unternehmen das laterale Denken in der eigenen Organisation fördern. Ein Konzern ist meist nicht der beste Nährboden für Innovationen, denn oft geht es dort um Standardisierung oder Massenproduktion, und Querdenkertum bremst diese Maschinerie aus. Große Firmen haben dies erkannt und gründen entweder eigene Start-ups („Ideen-Fabriken“) oder spezielle Kreativ-Abteilungen als Stabstelle außerhalb der üblichen Konzernstrukturen, damit die Innovationen sich frei entfalten und mit dem nötigen Budget auch völlig neue Märkte erschließen können – bestes Beispiel ist Google oder Facebook, die viele Milliarden in ganz unterschiedliche Produkte und Personen investieren. Und der Erfolgt gibt diesen Firmen Recht. Querdenker sind wirklich Wirklichwisser: Denn die Welt ist eine Kugel und dreht sich um die Sonne!

Kontakt

Stefan Odenbach ist Projektleiter im Bereich Digitalisierung am Steinbeis-Transferzentrum Technologie – Organisation – Personal. Das Steinbeis-Unternehmen bietet seinen Kunden die Durchfuhrung von Produktivitatssteigerungs- und Kostensenkungsprogrammen von Unternehmen und Organisationen, Unternehmensanalysen, -bewertungen und -sanierungen, das Management und Controlling von Kooperationen, Beteiligungen und Unternehmensverkaufen, Analyse, Bewertung und Durchfuhrung von Qualifizierungsmasnahmen sowie die Analyse des Controlling-Instrumentariums und der Kosten- und Prozesskostenrechnung von Unternehmen und Organisationen.

Stefan Odenbach
Steinbeis-Transferzentrum Technologie – Organisation – Personal (TOP) (Ravensburg)

Auch wir fragen Sie: Wann sollte man die Milch in den Kaffee geben? Jeder kennt dieses alltägliche Problem und hat sich schon den Mund verbrannt – wie würden Sie das lösen? Gerne können Sie Ihre Lösungen unten als Kommentar hinterlassen oder uns per E-Mail schicken.

 

Der perfekte Kaffee-Milch-Mix

In der letzten Ausgabe haben wir Sie nach dem perfekten Mix aus Kaffee und Milch gefragt. Es gab viele Zuschriften, daher möchten wir Ihnen die offizielle Auflösung mit fundierter Begründung zur Verfügung stellen: Die Milch am besten gleich in den heißen Kaffee geben. Dem Newtonschen Abkühlungsgesetz zufolge kühlt ein Körper umso schneller aus, je größer die Temperaturdifferenz zu seiner Umgebung ist: Nimmt man zwei Tassen Kaffee, lässt die erste Tasse zunächst 10 Minuten abkühlen und gibt erst dann die Milch hinzu, während bei der zweiten Kasse die Milch sofort in den Kaffee geschüttet wird und die Mischung dann 10 Minuten abkühlt, so kühlt die erste Tasse schnell ab, bleibt aber auf einer relativ konstanten Trinktemperatur, da die Temperaturdifferenz zur Umgebung geringer wurde. Der reine Kaffee kühlt bis zur Milchzugabe schneller ab, weil er ursprünglich heißer war. Demnach ist der früh gemischte Milchkaffee wärmer als der spätgemischte. Ein ganz besonderes Feedback kam vom Professor Karl Schekulin (Steinbeis-Transferzentrum Verfahrensentwicklung), einem langjährigen Steinbeis-Kollege „Zuerst den Kaffeelöffel ins Fach zurücklegen, dann die Milch in die Tasse, dann mit Kaffee auffüllen, Umrühren entfällt. Die Gründe sind recht lustig anzuhören und vor allem mit fundierten Erkenntnissen. Bei Tagungen und den üblichen Kaffeepausen ist es mir bei dieser Reihenfolge schon mehrfach passiert, dass die Kaffeedame hinterm Tresen fragte: Junggeselle? Worauf ich antwortete: Ingenieur! Denn die Dame hatte scharfsinnig erkannt, da spart einer das Waschen des Löffels und das Umrühren ein, also in unserer technischen Definition energie- und zeitsparendes Verfahren.“ Ein wirklich praktischer Tipp, wie wir finden, und zudem schont er die Umwelt!