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Willkommen in der Realität

Das Fazit einer Reise nach China

„Bildung durch Reisen – tatsächlich gereist gebildet?“ Mit dieser Frage kamen Professor Dr. Michael Auer, Dr.-Ing. Walter Beck und Uwe Haug von einem geschäftlichen Aufenthalt in China zurück. Grund genug tradierte Vorstellungen zu hinterfragen und Impulse zum Nachdenken zu teilen. Welche Rahmenbedingungen sind förderlich und welche behindern uns dabei, einen Gestaltungsraum zu erschaffen und zu ermöglichen? Sind China und Deutschland „Systemrivalen“ oder nur zwei Seiten derselben Medaille? Dieser Steinwurf möchte die bei den drei Autoren in allen Richtungen durch die Reise und über sie hinaus ausgelösten und resonierenden Wellen zum Ausdruck bringen.

Wir drei sind als aktive Sportler groß geworden und haben auch Jugendliche bei deren sportlicher Entwicklung begleitet. Talent, Training, Einstellung und Wettbewerbsfähigkeit waren dabei wesentlich für den Erfolg wie auch den Misserfolg. Als Amateure konnten wir es uns leisten, jedes Ergebnis positiv zu deuten – unsere Existenz hing nicht davon ab. Es war uns dabei jedoch immer wichtig, das Positive für die Weiterentwicklung zu nutzen, und gleichzeitig das, was es zu verbessern galt, deutlich anzusprechen – realistisch, mit der passenden Zuversicht und eben auch zur Weiterentwicklung und Verbesserung unserer Leistungsfähigkeit.

Wir drei sind außerdem alle Ingenieure, die gelernt haben, komplexe Sachverhalte zu begreifen, Experimente zu gestalten sowie Lösungen für reale Probleme systematisch zu entwickeln und dabei im Wettbewerb zu stehen. Im Gegensatz zum Amateursport bewegen wir uns hier im professionellen Umfeld, von dem Existenzen abhängen. Jedes Ergebnis positiv zu deuten dürfen wir uns nicht erlauben. Ein Misserfolg ist eben kein Erfolg. Wenn wir unterliegen, sind wir nicht guter Zweiter, sondern wir haben das Projekt, den Auftrag und damit den Umsatz verloren. Verlieren wir hier ein „Spiel“, dann war der andere bezüglich dem, was zählt, besser – er hat die Chance besser genutzt. Lange führend zu sein, kann zum Nimbus werden. Führend sind wir jedoch nicht, wenn wir nur daran glauben, sondern wenn es tatsächlich so ist, wir konsequent daran arbeiten und das Selbstbewusstsein durch die Selbstbestimmtheit geprägt ist.

Adieu, deutsche Technologieführerschaft

Was hat dies mit Reisen zu tun? Wir durften jüngst nach China reisen und haben dort tiefe Einblicke in die staatliche Administration und Realisierung von Forschung, Technologien, Produkten, Dienstleistungen, aber auch in die Kompetenzbildung von Talenten und Unternehmen erhalten. Eine wichtige Erkenntnis daraus ist, dass es grob fahrlässig wäre zu glauben, dass es noch einen generellen Nimbus bezüglich einer deutschen technologischen, intellektuellen, kulturellen Leistungsfähigkeit, Führerschaft oder Überlegenheit gibt.

Wenn deutsche Hochschulen, Unternehmen oder die Administration überlegen sein wollen, dann müssen sie den Wettbewerb erfolgreich bestehen (auch ohne Schutzzölle und Verbote einer Zusammenarbeit, wenn es sein muss mit den notwendigen Förderungen), indem sie besser sind und „das Spiel“ gewinnen.

Wenn Kriterien zur Bewertung von individuellen Leistungen (wie Arbeit/Zeit oder Note/Ergebnis) vereinfacht werden, dann mag man glauben lassen, man wäre immer noch besser – für eine erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb verbleibt zumindest die Hoffnung, erfolgreich sein zu können.

Wer nicht gewinnt, hat verloren

Wir haben in China im Bereich der autonomen Systeme Produkte gesehen, die im einen oder anderen Fall vielleicht gar nicht gänzlich überlegen sind, die jedoch sehr schnell in die reale Anwendung gebracht werden (dürfen) und dadurch sehr schnell überlegen sind und sich durchsetzen werden. Wir haben Produktionsstätten gesehen, die bezogen auf das, was „rauskommt“, in allen Belangen überlegen sind und zur Marktdurchdringung der Produkte beitragen. Wir haben Administrationen erlebt, die Bürokratie zum realen Ermöglichen und nicht zum faktischen Verhindern nutzen. Wir haben bei der Bildung von Kompetenzen jüngere Menschen wie auch Unternehmen erlebt, die für sich und ihr Land weiterkommen und dafür leisten und gewinnen wollen. Vor allem aber haben wir Menschen erlebt, die den Wettbewerb angenommen haben und uns in immer mehr Teilen überlegen sind und gewinnen, wenn wir nicht wettbewerbsfähig sind und bleiben. Dies in einem harten Wettbewerb, in dem es um das Gewinnen geht – insbesondere, um das Geld zu verdienen, das wir ausgeben wollen.

Gleichzeitig sind wir bestätigt: Einen Wettbewerb gewinnen zu wollen darf uns nicht nur gegeneinander antreiben, sondern kann auch ein Anlass sein Brücken zu bauen, um dynamische Synergien zwischen zwei „Polen“ (Systeme, Wettbewerber, Konfliktparteien) zu nutzen. Indem wir zunächst unvereinbar Erscheinendes dynamisch für synergetische Beziehungen im internationalen Wettbewerb zusammenbringen, nutzen wir die in der Spannung enthaltene Energie und schaffen gemeinsame Fortschritte, die dabei gleichermaßen unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft und der nächsten Generation zugutekommen.

Relativierungen verfangen bei uns nicht mehr. Wenn man das populäre Beispiel der Solarmodule betrachtet, dann müssen wir annehmen, dass dies auch im Bereich der Elektrolyseanlagen, der Automobile, allgemein der Fertigungstechnologien oder beispielsweise Antriebstechnologien so kommen wird. Auch das Argument „Einzelfälle“ kann bei uns nicht mehr verfangen, weil hier das Prinzip der großen Zahlen angenommen werden muss (und dies bei einem Verhältnis von ca. 1.400 zu 80).

Miteinander statt gegeneinander muss das Motto sein

Nach unseren eindrücklichen Erlebnissen können wir gar nicht in die Versuchung geraten, anderen etwas zu raten. Was wir können (und müssen), ist diese Erfahrungen für unsere Verantwortungsbereiche und unsere Entscheidungen für Steinbeis und die Menschen, die uns vertrauen, zu nutzen.

Wir können die Randbedingungen und die entscheidenden Wettbewerbsnachteile in Deutschland nicht ändern und wir gehen auch davon aus, dass dies niemand ohne Disruptionen kann. Was wir können und müssen, sind Lösungen mit Partnern in China zu entwickeln, um dort, wo man kann, darf und soll, im Wettbewerb mitwirken zu können und somit heute und in/nach der Disruption selbst wettbewerbsfähig zu sein – dies alles mit den Werten, denen wir uns verpflichtet fühlen. Dazu gehört insbesondere, auf der Würde des Menschen basierende, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, die Zukunft der nächsten Generation mitzudenken und Wettbewerb nicht als reines Gegeneinander, sondern als Chance für gemeinsame Wert(e)schöpfungen zu gestalten.

“De-Risking but not Decoupling” bedeutet für uns:

  • nicht zu verbieten, um etwas nicht (falsch) zu machen, sondern etwas zu regeln, um es richtig (erfolgreich) zu machen und
  • die verbleibenden Brücken nicht abzubauen, um sie auch in der Zukunft beidseitig begehen zu können.

Für uns wurde auf unserer Reise mehr als deutlich, dass

  • wir in Deutschland keinen Fachkräftemangel, sondern (noch) einen Arbeitskräfte- und einen Fachkompetenzmangel haben,
  • wir, wenn überhaupt, dann nur in Teilen noch führend sind (bezüglich dessen, was es tatsächlich bedarf),
  • jede wettbewerbsschädliche administrative Einschränkung auf Bundes-, Landes- oder EU-Ebene Länder wie China freut, da es deren Wettbewerbsfähigkeit erhöht,
  • wir in wesentlichen Teilen mehr von Chinesen gelernt haben als diese von uns,
  • wir jedoch noch in Teilen mit Steinbeis attraktiv und besser sind.

Dies spornt uns an, mit unseren Möglichkeiten bei Steinbeis einen Beitrag zu leisten und Lösungen mit Steinbeis dort zu realisieren, wo sie besser realisierbar sind, um im herausfordernden Wettbewerb unsere Attraktivität zu erhalten.

Um uns ein Bild machen und die Realität beurteilen zu können, um ein eigenes Bild von der Zukunft gestalten zu können, war es für uns wichtig nun „gereist gebildet zu sein“. In jeder auch zufälligen Begegnung auf der Reise wurde uns ein ähnliches Bild beschrieben. Die „Bildung durch Reisen“ scheint jedoch grundsätzlich nur bedingt zu wirken, sonst müssten die für unsere Gesellschaft (und insbesondere die Hochschulen, Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen als wichtige Säulen) notwendigen disruptiven Veränderungen der schädlichen Rahmenbedingen durch die Verantwortlichen schon längst eingeleitet worden sein.

Kontakt

Prof. Dr. Michael Auer (Autor)
Vorstandsvorsitzender
Steinbeis-Stiftung (Stuttgart)

Dr.-Ing. Walter Beck (Autor)
Geschäftsführer
SUTM Steinbeis Center of Sustainable Technology and Management GmbH (Filderstadt)

Uwe Haug (Autor)
Geschäftsführer
Steinbeis GmbH & Co. KG für Technologietransfer (Stuttgart)

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