Im Gespräch mit Steinbeis-Unternehmer Professor Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch
Nicht nur im Hinblick auf den Fachkräftemangel und die zunehmende Bürokratisierung stehen Unternehmen aktuell vor beispiellosen Herausforderungen. Umso mehr sind vorausschauende Strategien unerlässlich. Denn: Inmitten dieser Herausforderungen gibt es auch Chancen, die es zu ergreifen gilt. Im Gespräch mit der TRANSFER zeigt Steinbeis-Unternehmer und Energieexperte Professor Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, wie Unternehmen ihre Innovationskraft stärken und ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern können und welche Rolle dabei dem Wissens- und Technologietransfer zukommt.
Herr Professor Fisch, welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie für Unternehmen und welche Entwicklungen werden in Zukunft besonders bedeutsam sein?
Eine der größten Herausforderungen, vor denen Unternehmen schon jetzt stehen und die sich in der Zukunft noch verschärfen wird, ist der anhaltende Fachkräftemangel, speziell in der Ingenieursbranche. Aktuell bleiben in diesem Bereich in Deutschland etwa 150.000 Stellen unbesetzt. Ohne den Einsatz internationaler Fachkräfte wäre diese Lücke noch gravierender. Besonders in zukunftsweisenden Bereichen wie der Energie- und Elektrotechnik herrscht ein eklatanter Ingenieursmangel.
Ein weiteres Hindernis ist die zunehmende Bürokratisierung. Insbesondere die von der EU verabschiedeten ESG-Richtlinien empfinde ich als überzogen und wenig hilfreich für Unternehmen im globalen Wettbewerb. Die enorme Flut an neuen und novellierten EU-Gesetzen – allein im Jahr 2023 wurden 322 neue Gesetze verabschiedet, was im Schnitt einem Gesetz pro Arbeitstag entspricht – erfordert aufwendige Anpassungen in den einzelnen Ländern. Es bleibt fraglich, ob dies die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und speziell der deutschen Wirtschaft wirklich fördert.
Die Digitalisierung hingegen ist in vielen Unternehmen bereits erfolgreich implementiert. Ob künstliche Intelligenz jedoch die hohen Erwartungen an den Wirtschaftsstandort Europa erfüllen kann, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Hoffentlich führt die zunehmende Automatisierung nicht zu weiterem Arbeitsplatzabbau, wie es bei der Elektrifizierung der Mobilität und der Verlagerung von Zukunftstechnologien – etwa der Produktion von Photovoltaikanlagen und Stromspeichern – bereits der Fall war, trotz der Anstrengungen und Erfolge in der Forschung.
Ich hoffe dennoch, dass Deutschland zu den Tugenden zurückfindet, die früher als selbstverständlich galten: „Ärmel hochkrempeln und anpacken“. Heutzutage stehen in den Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oft Themen wie höhere Gehälter, mehr Freizeit und Homeoffice im Vordergrund, was auf Dauer nicht im Einklang mit den hohen Sozialausgaben und dem Erhalt unseres Wohlstands stehen kann. Aus meiner Erfahrung als Unternehmer – ich verantworte zwei Steinbeis-Unternehmen sowie zwei Ingenieurbüros in Braunschweig und Stuttgart – kann ich bestätigen, dass wir uns seit Jahren im „War for Talent“ befinden. Wir haben ein hervorragendes engagiertes Team von etwa 150 Mitarbeitern, das an zukunftsorientierten Energiethemen arbeitet, und dennoch verlieren wir immer wieder Fachkräfte an große Konzerne, vor allem im Raum Stuttgart, die mit überdurchschnittlichen Gehältern und attraktiven Freizeitmodellen locken. Das schmerzt besonders, da wir unsere Mitarbeiter, insbesondere in den Steinbeis-Unternehmen, intensiv und praxisnah ausbilden. Zwar können wir mit den hohen Gehältern nicht mithalten, bieten jedoch spannende Projektarbeit in einem ausgezeichneten Arbeitsumfeld.
Hinzu kommt die angespannte Haushaltslage des Bundes, die sich unmittelbar in gekürzten Fördermitteln im Bereich der Energietechnik auswirkt. Um dem entgegenzuwirken, haben wir gemeinsam mit unserem Team die Entwicklung neuer Themen intensiviert, um unsere Erfolgsquote bei zukünftigen Förderanträgen zu erhöhen. Dabei legen wir besonderen Wert auf eine breite Ausrichtung zur Erreichung der Klimaneutralität in den Sektoren Gebäude und Industrie.
Wie können sich KMU heute schon bestmöglich auf diese zukünftigen Herausforderungen vorbereiten?
Aus meiner Sicht stehen KMU derzeit vor allem unter dem Druck der Energiepolitik, der damit verbundenen hohen Energiekosten und einer Vielzahl von Vorschriften und Gesetzen. Um diese staatlich auferlegte Regulierungsdichte zu bewältigen, müssen an dieser Stelle teilweise Mitarbeiter eingesetzt werden, die ansonsten produktiv zum Erfolg des Unternehmens beitragen könnten. Ein Beispiel hierfür ist das Gebäudeenergiegesetz (GEG), das auf fast 180 Seiten und in rund 100 Paragrafen die Reduktion von Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor regelt. Hinzu kommen umfangreiche und häufig überarbeitete DIN-Normen. Die Umsetzung in der Praxis erweist sich oft als schwierig.
Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten KMU regelmäßig hinterfragen, ob ihre Produkte oder Dienstleistungen auch in fünf bis zehn Jahren noch gefragt und marktfähig sein werden. Ein Beispiel dafür sind Produkte, Anlagen und Prozesse, die auf der Verbrennung fossiler Energieträger basieren. Die Defossilisierung der Energieversorgung zur Erreichung der Klimaschutzziele ist im Klimaschutzgesetz festgeschrieben. Mit Blick auf die ehrgeizigen Ziele, die innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte erreicht werden sollen, erscheint diese Vorgabe jedoch sehr ambitioniert.
Welche Rolle wird der Wissens- und Technologietransfer dabei spielen?
Damit Deutschland seine Position als führende Exportnation behalten kann, müssen die Qualität und Zuverlässigkeit unserer Technologien – „Made in Germany“ – erhalten und weiterentwickelt werden. Hierbei kommt dem Wissens- und Technologietransfer eine zentrale Bedeutung zu, und der Steinbeis-Verbund spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit seiner umfassenden Expertise hat er sich gerade für KMU als wertvoller Partner erwiesen, insbesondere wenn es darum geht, neue Verfahren, Methoden, Produkte und Systeme in Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu erproben und erfolgreich in die Praxis zu überführen.
Seit 28 Jahren setzen Ihre Steinbeis-Unternehmen erfolgreich Projekte um. Welche Pläne haben Sie für die Zukunft, um auch weiterhin wertschöpfend und zukunftsorientiert zu agieren?
Der Wissenstransfer aus unseren Forschungs- und Entwicklungsprojekten zur technischen Nutzung von Sonnenenergie in den ersten Solarsiedlungen mit Langzeitwärmespeichern war in den 1990er-Jahren der Ausgangspunkt für unsere Arbeit. Wir haben damals nahezu hundert Nichtwohngebäude auf den „Prüfstand“ gestellt und dabei festgestellt, dass die geplanten Leistungsziele in Bezug auf Energieeffizienz und Nutzerkomfort in der Praxis oft nicht erreicht wurden. Aus diesen Erkenntnissen entstanden in unserem Netzwerk hocheffiziente Methoden für das technische Monitoring und die Betriebsoptimierung, die heute zu einem Return on Investment von unter zwei Jahren führen (www.synavision.de). Leider wird dieses enorme Potenzial zur CO2-Reduktion von der Immobilienwirtschaft noch zu wenig ausgeschöpft.
Aktuell liegt unser Fokus auf der Defossilisierung der Energieversorgung im Gebäudesektor. Vor acht Jahren entwickelten wir eines der ersten klimaneutralen Stadtquartiere in Esslingen und seither haben wir für rund ein halbes Dutzend weiterer Quartiere Machbarkeitsstudien zur Erreichung der Klimaneutralität erstellt. In Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Esslingen und dem KMU Polarstern haben wir außerdem ein Pilotprojekt zur Produktion von grünem Wasserstoff ins Leben gerufen, dieses begleitet und das Monitoring zur Erfolgskontrolle durchgeführt. Dabei konnten wir einen Wirkungsgrad der Wasserstoffelektrolyse von nahezu 80 % nachweisen, indem wir die Abwärme des Prozesses zur Wärmeversorgung eines Quartiers nutzten. Basierend auf diesem Pilotprojekt und unterstützt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz arbeiten wir an Studien zur Transformation der dezentralen Wasserstoffproduktion mit integrierter Abwärmenutzung – unter anderem auch für kommunale Kläranlagen.
Mit diesen Themen sind wir bestens für die Zukunft gerüstet. Das politische Ziel der Klimaneutralität in Europa stellt den Gebäudesektor vor gewaltige Herausforderungen. Doch nach unserem Motto „Machen statt reden“ werden wir diese Aufgabe weiterhin mit Leidenschaft und Tatkraft angehen. Zusammen mit vier Kollegen haben wir im November 2024 die Initiative „Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ gegründet. In einem Manifest empfehlen wir „Efficiency First“ durch „Klimaschutz First“ zu erweitern (https://www.gdw.de/paradigmenwechsel-in-der-klimapolitik-des-gebaeudesektors/).
Kontakt
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (Braunschweig/Stuttgart)
www.siz-energieplus.de
Steinbeis-Transferzentrum Energie-, Gebäude- und Solartechnik (EGS) (Stuttgart)
www.stz-egs.de