Steinbeis-Team begleitet die Entstehung eines Multifunktions-Wärmespeichers wissenschaftlich
„Wasser marsch!“ hieß es Ende September im nahezu fertiggestellten Multifunktions-Wärmespeicher der Stadtwerke Hennigsdorf im Norden Brandenburgs. Fünf Wochen lang wurde der 24 Meter hohe Stahlkoloss anschließend mit insgesamt fünf Millionen Litern Wasser befüllt. Das Wärmenetz der Stadtwerke Hennigsdorf soll mit dem Speicher zu 80 % klimaneutral mit Wärme versorgt werden. Damit ist das Projekt ein Vorbild für viele andere Städte dieser Größenordnung. Das Team am Steinbeis-Forschungszentrum Solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme (Solites) begleitet die Stadtwerke seit 2016 wissenschaftlich auf ihrem Weg zur zukunftsfähigen Versorgung ihres Wärmenetzes.
Der Multifunktions-Wärmespeicher sorgt dafür, dass die Wärme im Hennigsdorfer Netz genau dann zur Verfügung steht, wenn sie benötigt wird. Eine 40 Zentimeter starke Dämmung sowie eine Trapezblechisolierung stellen sicher, dass keine Wärme verloren geht. Stadtwerke-Geschäftsführer Christoph Schneider unterstreicht die Bedeutung der Fünf-Millionen-Euro-Investition: „Als Wärmeversorger stehen auch wir vor der Aufgabe, unsere Fernwärme bis 2045 klimaneutral zu gestalten.“ Hennigsdorf habe im Rahmen des Projektes „Wärmedrehscheibe“, das das Ziel verfolgt, die Fernwärmeerzeugung schrittweise auf eine klimaneutrale Basis zu stellen, bereits jetzt 60 % erreicht. „Mit unserem Multifunktions-Wärmespeicher wollen wir auf 80 % erneuerbare Energien im Netz kommen.“
Hennigsdorf macht vor, wie es geht
Dass Hennigsdorf damit in Sachen nachhaltige Wärmeversorgung deutschlandweit die Nase ganz weit vorn hat, bestätigt Magdalena Berberich, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Forschungszentrum Solites in Stuttgart, das die Stadtwerke bei der Umsetzung des Projektes wissenschaftlich begleitet. „Hier wird – erstmalig in Deutschland – eine Stadt zu 80 % mit erneuerbarer Wärme versorgt. Und das bis Ende diesen Jahres! Damit ist Hennigsdorf deutlich weiter als andere und die Vorgehensweise der ,Wärmedrehscheibe‘ eine Blaupause für viele Städte ähnlicher Größe.“
Dafür gab es zur Einweihung des Multifunktions-Wärmespeichers anerkennende Worte aus der Politik. Michael Kellner, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, lobte Stadt und Stadtwerke dafür, dass hier bereits frühzeitig begonnen worden sei, über eine künftige regenerative Wärmeversorgung nachzudenken. „In Ostdeutschland haben wir einen großen Schatz, der sich nutzen lässt. Das sind die bestehenden Fernwärmenetze“, so Michael Kellner. In Hennigsdorf, wo 80 % der Stadt über das Fernwärmenetz versorgt werden, sei dieser Schatz besonders groß. „Wenn es uns gelingt, auch anderswo diese bestehenden Wärmenetze auf erneuerbare Energien umzustellen, haben wir die Chance auf sehr schnelle Klimaschutzeffekte.“
Der Wärmespeicher ermöglicht den Stadtwerken, überschüssige, regenerative Wärme einzulagern und dann zu nutzen, wenn sie gebraucht wird, sprich wenn die Nachfrage besonders hoch ist. Damit reduziert sich zugleich der Verbrauch fossiler Brennstoffe.
Wie das praktisch funktioniert, erklärt Stefan Dallorso, technischer Leiter und Stadtwerkeprokurist: „Sobald der Speicher mit Wasser befüllt ist, können wir ihn mit zusätzlicher Abwärme beladen, die wir aus dem Walzprozess des benachbarten Stahl- und Walzwerkes bekommen. Das heiße Abgas gibt dabei seine Energie im Wärmetauscher an das Heizwasser ab, sprich es erwärmt das Wasser.“ Dank der guten thermischen Eigenschaften von Wasser und der äußeren Dämmung des Speichers sind die Wärmeverluste über den Speicher gering. „Das gibt uns die Möglichkeit, die gespeicherte Wärme bedarfsgerecht zu nutzen. Und zwar zeitlich entkoppelt von ihrer Erzeugung.“
Multifunktions-Wärmespeicher sind in der Lage, die Wärme unterschiedlicher Quellen aufzunehmen und an die Verbraucher bedarfsgerecht zu verteilen. „Wir können hier zum Beispiel auch Wärme aus unserem Biomasseheizkraftwerk einlagern“, so Stefan Dallorso. Gerade in der warmen Jahreszeit, wenn die Wärmeproduktion, die im Biomasseheizkraftwerk auf der Basis regenerativer Holzhackschnitzel erfolgt, den Bedarf übersteige, sei die Speicherung eine Alternative, um den Anteil fossil erzeugter Wärme zu reduzieren.
Wasserkreislauf mit Mehrwert
Magdalena Berberich weist auf den innovativ genutzten Wasserkreislauf mit eingebundenem Speicher hin: „Für einen effizienten Betrieb wird das Wasservolumen im Speicher nach Temperatur geschichtet: Oben herrscht mit maximal 98 °C die höchste Temperatur. Das entspricht der Temperatur, die im Fernwärmenetz benötigt wird. Ganz unten hat das Wasser die Rücklauftemperatur von 55 °C.“ Hydraulisch ist der Multifunktions-Wärmespeicher in zwei Kreise eingebunden: „Aus Richtung Stahlwerk wird die Abwärme mit Fernwärmewasser mit maximal 98 °C oben in den Speicher geladen, während unten aus dem Speicher Wasser mit 55 °C zum Stahlwerk fließt, wieder aufgewärmt wird und in den Speicher geladen wird.“ Auf der anderen Seite des Areals steht das Heizhaus „Nord II“. „Wenn Wärme im Wärmenetz gebraucht wird, wird oben aus dem Speicher heißes Wasser entnommen, in das Netz transportiert und gleichzeitig kommt an der unteren Leitung das Rücklaufwasser mit 55 °C in den Speicher zurück“, erklärt Magdalena Berberich. Der Multifunktions-Wärmespeicher ermöglicht somit eine zusätzliche Wärmenutzung im Fernwärmenetz von 13.400 MWh/a erneuerbarer Wärme.
Doch nicht nur Klima und Umwelt profitieren vom Multifunktions-Wärmespeicher, auch die Fernwärmekundinnen und -kunden der Stadtwerke. „Die erneuerbaren Energien unterstützen uns dabei, die Preise auch in unsicheren Zeiten stabil zu halten“, betont Geschäftsführer Christoph Schneider und verspricht, die zur Verfügung stehenden Mittel auch zukünftig für bezahlbare Wärme einzusetzen.
Kontakt
Dr. Kathleen Köhler (Autorin)
Freiberufliche Autorin/Redakteurin
Magdalena Berberich
Steinbeis-Unternehmerin
Steinbeis-Forschungszentrum Solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme (Solites) (Stuttgart)
www.solites.de