Die Kombi macht’s: Schweißen und Umformen in einem

Steinbeis-Team entwickelt Verfahrenstechnik zum automatisierten Lichtbogenschweißen und Umformen von hochfesten Stahlstrukturbauteilen

Der gegenwärtige Trend hin zur E-Mobilität und die weiter verschärften Anforderungen einer Reduktion der Schadstoff- und CO2-Emissionen industrieller Erzeugnisse führen zu immer mehr industriellen Leichtbauanwendungen. Der industrielle Einsatz von hochfesten Stählen ermöglicht Kosteneinsparungen gegenüber faserverstärkten Materialien sowie metallischen Werkstoffen. In den von Industriekunden verstärkt nachgefragten Leichtbau- und energieeffizienten Materialien im Bereich des Fahrzeug-, Schienenfahrzeug- und Behälterbaus sollen funktionssichere Bauteilgeometrien ihre Anwendung finden. Die vielfältigen thermischen Fügeverfahren und umformtechnischen Verfahren können dabei einen wesentlichen Beitrag zur Realisierung eines funktionellen Multi-Material-Designs leisten. Das Team des Steinbeis-Innovationszentrums Intelligente Funktionswerkstoffe, Schweiß- und Fügeverfahren, Exploitation hat in einem gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit der IWC Engineering GmbH eine kombinierte Verfahrenstechnik zum automatisierten Schweißen und Umformen von hochfesten Stahlstrukturbauteilen entwickelt. Die Schweißwärmeenergie im Bauteil wird dabei als Umformtemperatur zur Ausführung des Umformprozesses von hochfesten Stählen mit einem exakt gesteuerten Bauteilabkühlungsprozess genutzt.

Die Schweißbarkeit von hochfesten Stahlwerkstoffen ist heutzutage beherrschbar. Allerdings treten bei erhöhten Temperaturen Gefügeumwandlungen auf, was die Weiterverarbeitung erschwert. Die Abkühlrate nach dem Schweißvorgang muss exakt definiert und eingestellt werden, damit die Schweißnaht annähernd ähnliche Werkstoffeigenschaften wie das Restbauteil aus dem Grundwerkstoff aufweist. Insbesondere findet in der Schweißnaht- und der Wärmeeinflusszone (WEZ) eine Auflösung des Martensitgefüges statt. Dadurch bilden sich spröde Kohlenstoffanreicherungen, die das Material verspröden und die Bruchdehnung sinken lassen. Deshalb wird oft versucht die Schweißwärmeenergie bauteilangepasst und konzentriert einzuhalten, um definierte Nahtflächen erzeugen zu können und die negativen Temperatureinflüsse auf die Bauteileigenschaften zu verhindern.

Das Ziel: Kosten und Prozesszeiten reduzieren

In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekt des Steinbeis-Teams und von IWC Engineering war deshalb eine kombinierte Verfahrenstechnik das Ziel, die die Schweißwärmeenergie intelligent weiternutzt. Mit der entwickelten Technik werden die definierten Bauteileigenschaften hohe Festigkeit und Härte, eine Gefüge-Feinkornzone und geringere Bauteileigenspannungen erzielt und negative Schweißprozesseinflüsse verhindert. Somit lassen sich geschweißte Dualphasenstähle nachträglich umformen und eine Vielzahl an werkstoff- und prozesstechnischen Vorteilen erreichen.

Eine im Projekt entstandene Arbeitsstation mit optimierter Bauteilzuführungs-/Handhabungstechnik, MSR-Technik sowie Bauteilbeheizungs-/-kühlungsmoduleinheiten koppelt die beiden Bauteilherstellungsprozesse Schweißen und Umformen.

 

Gerade wegen des stark wachsenden Einsatzvolumens dieser hochfesten Stahlwerkstoffe besteht ein großer Bedarf an der Beherrschung und Verbesserung der Schweißnahteigenschaften durch Umformen der Schweißnaht und seiner Wärmeeinflusszone. Diese Möglichkeit zur Einstellung der Nahteigenschaften und Optimierung des Umformgrades des Gesamtbauteilwerkstoffes hat das Projektteam im Rahmen der Entwicklungsarbeiten werkstoffprozesstechnisch untersucht und anhand der Herstellung von Anwendungsbauteilen nachgewiesen. Dafür wurde eine Verfahrenstechnologie mit kombiniertem Lichtbogenschweiß- und Umformprozess entwickelt und bei der Herstellung von Finalbauteilen mit festgelegten mechanisch-technologischen Eigenschaften angewendet. Mehrere wissenschaftliche und unternehmerische Ziele wurden dadurch erreicht:

  • prozesstechnische Kopplung der beiden Teilprozesse Wolfram-Inertgasschweißen (WIG) sowie wirkmedienbasiertes Umformen durch Nutzung der Schweißwärmeenergie für eine qualitätsgerechte Ausführung des Umformprozesses mit definierten Umformtemperaturen, Wärmeausführungs- und Bauteilabkühlbedingungen,
  • funktionssichere modulare Steuerungs- und Regelungsüberwachung des Gesamtprozesses mit einer effizienten Bauteilherstellungsprozesskette mit optimaler Bauteilzuführungs- und Handhabungstechnik,
  • lokal temperierte und gekühlte Umformwerkzeug-Moduleinheit mit einem passenden thermomechanischen, modularen Steuerungs- und Regelungssystem zur Überwachung des wirkmedienbasierten Umformprozesses und zur Sicherstellung qualitätsgerechter Bauteileigenschaften,
  • Erzielung definierter technologisch-mechanischer Bauteileigenschaften bei eingesetzten hochfesten Dualphasenstählen und Gesamtbauteilstrukturen mittels der entwickelten Verfahrensprozesstechnologie und deren technischer Parameter.

Prozessparameterfindung mit optimaler Schweißwärmeenergie und deren Verteilung am Gesamtbauteil für die Umformprozessausführung

 

Die entwickelte Verfahrenstechnologie wurde so gestaltet, dass die einzelnen Teilprozesse in den bestehenden Prozessabläufen mit einem geringeren Aufwand gut miteinander gekoppelt sind. Das Projektziel war, durch den Einsatz einer kombinierten Verfahrensprozesstechnologie eine gute Umformbarkeit sowohl bei den Schweißnähten und der WEZ als auch bei den Gesamtbauteilstrukturen zu erreichen. Dadurch können qualitätsgerechte Bauteilgeometrien hergestellt werden, die Kosten, Prozesszeiten und die Anzahl der Prozessschritte bei thermischen Füge- und Umformprozessen von hochfesten Stählen reduzieren. Das Projektteam hat die notwendige Verfahrensfunktionalität und deren spezifische Merkmale und Daten zum Lichtbogenschweißen (WIG-Schweißprozess) und Innenhochdruckumformen von hochfesten Stählen ermittelt und prozesstechnisch realisiert. Außerdem entstand ein werkstoff- und prozesstechnisches Anforderungsprofil im Hinblick auf die Schweißprozesstechnologie und deren Wärmeeinbringung, -ausbreitung ins Bauteil, Materialspezifikationen und Versuchsbauteilgeometrien.

Auf Basis werkstofftechnisch-konstruktiver Untersuchungen zur Prozessentwicklung wurde die Schweißprozesstechnologie mit anschließendem prozessbegleitendem Umformen entwickelt und umgesetzt. „Hergestellt und untersucht haben wir Schweißbauteile mit definierter Schweißnahtgeometrie bei unterschiedlicher Bauteilwärmeeinbringungsleistung und -abkühlbedingungen. Das aus der Lichtbogenschweißtechnologie resultierende Bauteil-Wärmeregime haben wir für das anschließende Umformen von geschweißten Bauteilen genutzt“, erläutert Steinbeis-Unternehmer Dr.-Ing. habil. Khaled Alaluss. Aus dem verwendeten Dualphasenstahl DP600 wurden bei Umformtemperaturen von 723 bis 880 °C Strukturteile als Finalprodukt umgesetzt. Zur Realisierung des Dünn/Dick-, Dünn/Dünn- und Dick/Dickschweißens verbanden die Experten bei variierenden Bauteilabkühlbedingungen und Wärmeenergieleistungen Rohre mit unterschiedlichen Abmessungen (Durchmesser 40 mm, Wanddicke 1,5 und 2 mm) schweißtechnisch miteinander und formten sie um. Schließlich erfolgte die Eigenschaftscharakterisierung der geschweißten Strukturen mit einer metallografischen Analyse und einer mechanischen Werkstoffprüfung hinsichtlich Kriterien wie Härte, Gefügeaufbau, Bauteilformänderungen, Rissfreiheit und Festigkeit. Die damit erreichten Ergebnisse entsprachen den definierten Bauteilanforderungen und technischen Parametern.

Die Demonstratorteile bestehen die Prüfung

Eigenschaftscharakterisierung geschweißter/umgeformter Bauteilstrukturen im Schweißnaht- und WEZ-Bereich: a) Nachweis erzielbarer Festigkeiten geschweißter/umgeformter Bauteilstrukturen, b) Rot-Weiß-Test zum Nachweis rissfreier Bauteilstrukturen

 

Die hergestellten Bauteilgeometrien untersuchte das Projektteam auf äußere Fehler, Maß-/Formgenauigkeit, Rissbildung und mechanisch-technologische Eigenschaften hin. Aus den Demonstratorteilen wurde durch zwei Trennschnitte in Achsrichtung ein Segment herausgetrennt. An einer Schnittfläche der aufgetrennten Demonstratorteile wurden die Rohrwanddicken und die Radien an definierten Punkten gemessen. Die Wanddicke entspricht bei beiden Messstellen der Wanddicke im Bereich der Ausformung. „Bei der Wanddicke muss berücksichtigt werden, dass sie sich durch die Ausformung und mögliche auftretende Zunderbildung aufgrund der Umformtemperatur verändern kann. Wir haben festgestellt, dass mit dem verursachten hohen Fließverhalten bei der definierten Umformtemperatur größere plastische Formänderungen bei einem hohen Umformgrad und rissfreier Bauteilgestalt entstanden“, meint Khaled Alaluss. Dies wirkt sich positiv auf die Umformradien des Bauteils aus, sodass eine genaue Geometrie bei Bauteilmaß- und Bauteilformbildung abgebildet wurde. Es traten geringere Radiusänderungen in Abgängigkeit vom Druckwert (500/700 bar) und in Bezug auf Referenzbauteil-/Werkzeugform auf. Weiterhin zeigten die Bauteile geringere Wanddickenänderungen über die Gesamtlänge hinweg, die geringfügig mit zunehmendem Druckwert abnahmen. Somit entstanden keine Bauteilrisse bei geringfügiger Bauteildickenänderung.

Eigenschaftscharakterisierung geschweißter/umgeformter Bauteilstrukturen im Schweißnaht- und WEZ-Bereich: a) Härteverläufe und b) Gefügeaufbaubildung. Erkennbar ist, dass die gemessenen Vickers-Härtewerte über das Gesamtbauteil von der Bauteildicke und den Umformparametern (Druckwerte 500/700 bar) abhängig und groß sind. In der WEZ und im Grundwerkstoffbereich bildeten sich typische Martensitanteile bei allen untersuchten Proben, wobei ihre Morphologie von Abkühlbedingungen abhängig ist. Es bildeten sich feine beziehungsweise grobe Gefügestrukturen (Zweitphase als inselförmige Strukturen [Martensit/Bainit]) an den Korngrenzen ab.

Die erzielten Festigkeitswerte an den geschweißten und umgeformten Bauteilstrukturen beim Rohr-an-Rohrschweißen mit anschließendem Umformen zeigten sehr gute Ergebnisse. Hier wurden Festigkeitswerte von 694 bis 882 MPa an umgeformten Rohrteilen mit unterschiedlichen Wanddicken bei einer maximalen Prüfkraft von 18 bis 20 kN erzielt. Bei allen geprüften Proben entstanden die Materialbrüche im Grundwerkstoffbereich. Die Bildung von Gefügestrukturen (Martensit/Bainit) bei höheren Temperaturen führt zur Zunahme der Festigkeitswerte des Werkstoffes im Vergleich zu geringeren Temperaturen. Hier übt das Verfestigungsverhalten des hochfesten Stahlwerkstoffs einen bedeutenden Einfluss auf die Bauteilstrukturbildung und den Werkstofffluss aus. Die Tests zeigten schließlich auch, dass im Gegensatz zu den umgeformten Proben bei Raumtemperatur und bei geringeren Umformtemperaturen (unter 400 °C) keine Risse oder Brüche weder im Schweißnahtbereich noch in der WEZ und im Grundwerkstoffbereich auftraten.

Das Projektteam kann einen Erfolg verbuchen: Es hat anhand der hergestellten, qualitätsgerechten Demonstratorbauteile die Eignung der entwickelten Verfahrenstechnologie mit einem prozessbegleitenden Umformprozess zur Herstellung hochfester Strukturbauteile als Finalbauteile aufgezeigt und ihre praktische Umsetzung nachgewiesen. Die hergestellten Strukturteile zeigten fehlerfreie, reproduzierbare und qualitätsgerechte mechanisch-technologische Bauteileigenschaften.

Dieses Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Kontakt

PD. Dr.-Ing. habil. Khaled Alaluss (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum Intelligente Funktionswerkstoffe, Schweiß- und Fügeverfahren, Exploitation (Chemnitz)

Dr. Jur. Lars Kulke
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum Intelligente Funktionswerkstoffe, Schweiß- und Fügeverfahren, Exploitation (Chemnitz)

Friedemann Sell
Projektmitarbeiter
Steinbeis-Innovationszentrum Intelligente Funktionswerkstoffe, Schweiß- und Fügeverfahren, Exploitation (Chemnitz)

Egbert Eurich
Geschäftsführer
IWC Engineering GmbH (Chemnitz)

Peter Juraschek
Projektmitarbeiter
IWC Engineering GmbH (Chemnitz)

227254-37