© istockphoto.com/Ca-ssis

„Wir brauchen wieder mehr Macher“

Im Gespräch mit Michael Kuhn und Benjamin Pfändler, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Transferzentrum Energie-, Umwelt- und Reinraumtechnik

Ohne einen Reinraum geht bei Anwendungen in Forschung, Entwicklung und Produktion, die in besonders partikelarmer Umgebung stattfinden müssen, gar nichts. Das wissen die beiden Steinbeis-Experten Michael Kuhn und Benjamin Pfändler nur zu gut, denn seit mehr als zwei Jahrzehnten bieten sie ihren Kunden pragmatische und kompetente Lösungen, um deren Lüftungs- und Klimatechnik funktional wie auch wirtschaftlich optimal aufzustellen. Mit der TRANSFER sprachen sie über die Themen, die ihre Kunden aktuell umtreiben und über technologische Entwicklungen und Herausforderungen, die die Zukunft der Branche bestimmen.

Betriebsoptimierung von Lüftungs- und Klimatechnik

 

Herr Kuhn, Herr Pfändler, Reinheit, Qualität und Nachhaltigkeit sind die drei Säulen, die die Arbeit Ihres Steinbeis-Unternehmens bestimmen. Mit welchen praktischen Themen kommen Ihre Kunden zu Ihnen?

Benjamin Pfändler:
Ein Teil unserer Kunden möchte seine neu errichteten oder modernisierten Reinräume von unseren Messingenieuren unabhängig geprüft haben, als Nachweis, dass die Reinheitsbedingungen für die Produktionsprozesse eingehalten werden. Besonders die Kunden aus dem Bereich Lifesciences benötigen darüber hinaus die wiederkehrende Überwachung ihrer Reinräume.

Michael Kuhn:
Wenn die Qualitätsanforderungen nicht eingehalten werden, weil zum Beispiel verunreinigte Luft unkontrolliert in die reinen Bereiche eindringt oder die Reinluftströmung gestört ist, helfen unsere Ingenieure die Ursachen herauszufinden und unterstützen den Kunden bei der Umsetzung von Optimierungsmaßnahmen. Unternehmen, die schon länger mit uns zusammenarbeiten, ziehen uns bereits bei der Planung neuer Reinheits- und Lüftungskonzepte hinzu, um sicherzustellen, dass die abschließenden Abnahme- und Qualifizierungsmessungen reibungslos verlaufen. Dabei können wir mit simulationsgestützten Prozessen und digitalen Zwillingen zu einem sicheren und energieeffizienten Betrieb beitragen. Die Energieeffizienz, die aus meiner Sicht einen wichtigen Baustein der Nachhaltigkeit bildet, ist besonders wichtig für die Reinraumtechnik: Reinräume benötigen ein Vielfaches an Energie für die Filterung, den Transport und die Klimatisierung von Luft im Vergleich zu typischen Büro- und Verwaltungsgebäuden, aber auch im Vergleich zu vielen industriellen Prozessen.

Herr Kuhn, Sie sind seit mehr als 25 Jahren im Steinbeis-Transferzentrum Energie-, Umwelt- und Reinraumtechnik tätig, seit 2004 verantworten Sie das Steinbeis-Unternehmen: Welche technologischen Entwicklungen gab es in dieser Zeit und wie haben sich die Probleme Ihrer Kunden verändert?

Michael Kuhn:
Ohne die Reinraumtechnik würden sich viele innovative Produkte, wie zum Beispiel mRNA-Impfstoffe, Batteriezellen für E-Autos, Lebensmittel ohne Konservierungsstoffe oder Mikrochips, gar nicht herstellen lassen. Daher hat sich die Reinraumtechnik in vielen innovativen Branchen etabliert. Gleichzeitig werden die Herstellprozesse immer komplexer und können nur von sehr spezialisierten Lieferanten beherrscht werden. Die Maschinenlieferanten sind daher dazu übergegangen die erforderliche Reinlufttechnik gleich mitzuliefern. Gut daran ist, dass Reinraumtechnik dadurch in der Regel energieeffizienter wird, weil nicht der gesamte Reinraum, sondern nur der Bereich um die Produktionsmaschine die hohen Reinheitsanforderungen erfüllen muss.

In den letzten Jahren hat die Digitalisierung der Prozesse sowie die Verfügbarkeit und Integrität der Daten immer mehr an Bedeutung gewonnen. Auch wir sind gerade dabei, das in unserem Transferzentrum für unsere Prozesse umzusetzen, ansonsten befürchte ich, dass wir als Dienstleister in spätestens fünf Jahren nicht mehr vom Markt akzeptiert werden.

Aus der Sicht unserer Kunden haben sich besonders die regulatorischen Anforderungen erhöht. Es ist immer mehr Dokumentation erforderlich, speziell im Lifesciences-Bereich, was bis zu einem gewissen Maß sinnvoll ist, aber darüber hinaus eher für abnehmende Qualität sorgt. Außerdem hat sich der Zeitdruck insbesondere bei Neu- und Umbauprojekten stark erhöht. Terminpläne werden ohne ausreichende Reserven verdichtet, was ebenfalls zu schlechterer Qualität, Nachbesserungen und weniger Energieeffizienz führt. Was ich zudem als nachteilig empfinde, ist, dass immer mehr Projektbeteiligte mitreden und zu wenig beziehungsweise zu langsam zielgerichtete Entscheidungen getroffen werden. Ich glaube, wir brauchen wieder mehr Macher – Menschen, die Verantwortung übernehmen und Entscheidungen fällen dürfen.

Sie sind Experten für Lüftungs- und Klimatechnik, die bekanntlich sehr energie- und gerade jetzt sehr kostenintensiv ist. Wie reagieren insbesondere KMU auf diese Entwicklung und wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Michael Kuhn:
Für viele KMU ist die Lüftungs- und Klimatechnik eine Blackbox, die hoffentlich die gewünschten Raumklimaparameter liefert. Mit welchem Energieaufwand, zum Beispiel für Heizen, Kühlen, Befeuchten, Entfeuchten und Luftförderung, sie das tut, ist unbekannt und damit auch das mögliche Einsparpotenzial. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, für Transparenz zu sorgen, die Energieströme zu messen und einen Soll-Ist-Vergleich durchzuführen. Dadurch können wir unserem Kunden aufzeigen, ob eine Anlage aktuell mehr Energie benötigt, als dies bei optimierter Betriebsweise erforderlich wäre. Damit berechnen wir die mögliche Energie- und Kosteneinsparung und liefern dem Kunden konkrete Optimierungsvorschläge, um diese Einsparungen zu realisieren. Unsere Erfahrungswerte aus über 15 Jahren zeigen, dass durch Betriebsoptimierungen der Lüftungs- und Klimatechnik im Bereich der Reinraumtechnik Energieeinsparungen zwischen 20 und 40  % erzielt werden können.

Benjamin Pfändler:
Leider sind sich viele KMU dieser Einspareffekte nicht bewusst, obwohl sie unter dem Kostendruck der hohen Energiepreise leiden. Vereinfacht gesagt: Der Auftragseingang in diesem Bereich ist noch steigerungsfähig.

Welche technologischen Lösungen bieten Sie Ihren Kunden hierfür an?

Benjamin Pfändler:
Im Sinne von Industrie 4.0 nutzen wir die vorhandene Sensorik für die Luftstrom-, Druck-, Temperatur- und Volumenstrommessung zur Berechnung der Energieströme. Die Daten bekommen wir über die Gebäudeautomation digital übertragen. Aus diesen Daten berechnen wir zeitlich hochaufgelöst die Energieströme und können gleichzeitig die korrekte Betriebsweise und die Regelfunktionen der Lüftungs- und Klimatechnik überprüfen.

Michael Kuhn:
Somit können unsere Kunden auf die Nachrüstung teurer Energiezähler verzichten und das Geld zielgerichtet für den Soll-Ist-Vergleich mit Schwachstellenanalyse und für Optimierungsmaßnahmen einsetzen. Übrigens, der Soll-Ist-Vergleich lohnt sich nicht nur für Bestandsanlagen. Auch neu errichtete Anlagen sind häufig aufgrund des Zeitdrucks und des Fachkräftemangels schlecht in Betrieb genommen und benötigen mehr Energie als geplant. Über zehn Jahre Laufzeit können je nach Anlagengröße sechsstellige Eurobeträge pro Anlage eingespart werden. Hinzu kommt die Reduzierung der CO2-Emissionen.

Überall wird derzeit von Lieferengpässen und steigenden Kosten gesprochen. Welche Herausforderungen sehen Sie zudem auf Ihr Steinbeis-Unternehmen und die gesamte Branche zukommen?

Michael Kuhn:
Da wäre der Fachkräftemangel. Für uns ist dieser glücklicherweise kein allzu großes Problem durch die Nähe zur Hochschule Offenburg. Wir haben unseren Sitz auf dem Hochschulcampus und können durch Praxissemester und Abschlussarbeiten rechtzeitig neue Mitarbeiter gewinnen. Für die gesamte Branche wird das auf jeden Fall ein Problem. Ich kann den Unternehmen nur empfehlen, sich rechtzeitig an der Ausbildung des Nachwuchses zu beteiligen.

Benjamin Pfändler:
Ich denke, neben dem Fachkräftemangel sind die Digitalisierung und die damit verbundenen Investitionen und Prozessanpassungen eine große Herausforderung. Auch der Wunsch der Mitarbeiter nach flexiblen Arbeitszeiten, Work-Life-Balance und gleichzeitig abwechslungsreicher Tätigkeit gestaltet sich sehr schwierig, insbesondere für Kleinunternehmen. Wir versuchen das bestmöglich umzusetzen. Das bedeutet für uns, dass wir mehr Mitarbeiter für die gleiche Arbeitsleistung benötigen, und es wird uns nur durch Effizienzsteigerung und Mitarbeiterbindung gelingen, das Unternehmen erfolgreich weiterzuführen.

Michael Kuhn:
Wir sind dennoch zuversichtlich, dass wir die angesprochenen Problemstellungen und die derzeitigen Krisen erfolgreich bewältigen werden und daraus gestärkt hervorgehen.

Kontakt

Michael Kuhn (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Energie-, Umwelt- und Reinraumtechnik (Offenburg)
www.stz-euro.de

Benjamin Pfändler (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Energie-, Umwelt- und Reinraumtechnik (Offenburg)
www.stz-euro.de

223074-28