© istockphoto.com/Ivan Bajic

„Die Fachkräfteproblematik ist für Innovationsthemen gefährlicher als der Zeitmangel“

Im Gespräch mit Professor Dr.-Ing. Thomas Ritz, Unternehmer am Steinbeis-Transferzentrum Usability und Innovative Interaktive Systeme zur Informationslogistik

Innovationen im Mittelstand – in der Theorie scheinen die Millionen kleiner Unternehmen in Deutschland prädestiniert für disruptive Ideen zu sein. Sie sind nah am Kunden, haben flache Hierarchien und kurze Entscheidungswege. In der Praxis stehen den innovativen Projektideen dann doch das zeitfressende Tagesgeschäft und insbesondere der Fachkräftemangel entgegen. Professor Dr.-Ing. Thomas Ritz beschäftigt sich am Steinbeis-Transferzentrum Usability und Innovative Interaktive Systeme zur Informationslogistik mit der Frage, wie insbesondere auch die Digitalisierung KMU dabei unterstützen kann, Raum für Innovationen zu schaffen.

Herr Professor Ritz, Ihr Steinbeis-Unternehmen versteht sich als Innovationsdienstleister und verlängerte Werkbank des Mittelstandes. Wie genau meinen Sie das?

Der Mittelstand in Deutschland ist enorm leistungsfähig und innovativ. Häufig sind die Unternehmen aber auf das Tagesgeschäft fokussiert und bekommen daher gerade große Transformationsthemen, wie beispielsweise die Digitalisierung, nicht so einfach untergebracht. Eine weitere Schwierigkeit ist, vielschichtige Transformationsthemen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Wir verstehen uns als erweiterte Innovationsabteilung und damit Werkbank des Mittelstands: Gemeinsam mit diesen Unternehmen schauen wir aus verschiedenen Blickwinkeln auf Innovationsfragestellungen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden, wenn es um Wissens- und Technologietransfer in KMU geht?

Eine der größten Hürden ist eindeutig der Zeitmangel. Wir erleben häufig eine große Innovationsbereitschaft bei KMU, aber letztlich fehlt es an der Ressource Zeit und oft auch am Impuls, worin eigentlich genau das Neue und die tiefgreifenden Paradigmenwechsel liegen. Transformation und Wandel sind inzwischen ständig präsente Begriffe. Die grundlegenden Gedanken dahinter sind aber oft unklar. Wir nutzen gemeinsame Projekte auch, um Impulse für eine mittel- bis langfristige Perspektive zu geben. Das will ich wieder am Beispiel Digitalisierung erklären: Eigentlich digitalisieren wir Unternehmen seit den 1970er-Jahren, indem wir das, was diese Unternehmen immer gemacht haben, mit „ein bisschen“ Digitaltechnik ausstatten. In der Vergangenheit lag der Fokus dabei auf der Effizienzsteigerung bestehender Prozesse. Digitalisierung als Paradigma ist aber viel mehr: Wenn beispielsweise durch neue Geschäftsmodelle Informationen offengelegt werden, die bisher nicht zugänglich waren, rüttelt das an den bisherigen Logiken. Hier geben wir Impulse, damit Unternehmen mit ihrer Erfahrung und ihrem Wertekanon ihre Position in solchen Fragestellungen erarbeiten können. Transformationen umfassen oft auch gesellschaftliche Trends, die nicht zum Kerngeschäft von Unternehmen gehören. Auch diese Perspektive bringen wir mit ein.

Sie beschäftigen sich seit Langem mit innovativen und interaktiven Systemen zur Informationslogistik. Welche Entwicklungen haben Ihrer Meinung nach diesen Bereich am nachhaltigsten geprägt?

Aus meiner Sicht haben in den letzten 15 Jahren zwei Trends maßgeblich für Innovationen im Bereich der interaktiven Systeme gesorgt. Der eine ist die Vernetzung, die heute durch Internettechnologien möglich ist. Wir können inzwischen eigentlich alles mit jedem vernetzen. Der andere Trend ist die Durchdringung mit interaktiven Systemen in weiten Bereichen und vielen Gesellschaftsschichten. Gerade durch die Einführung von Smartphones ist die Interaktion mit Maschinen kein Nischenwissen mehr, sondern Normalität. Daher sind wir heute vernetzte Systeme gewöhnt, die als einfach und bequem wahrgenommen werden. Wir fragen uns vielmehr, warum die Interaktion mit Maschinen im Privatleben so einfach läuft und im Arbeitsumfeld die Denke vieler Anwendungen immer noch ein wenig in der Zeit um den Jahrtausendwechsel verhaftet ist. Im Geschäftsfeld unseres Steinbeis-Transferzentrums konzentrieren wir uns auf die Konzeption von interaktiven Systemen, die am Ende ein hohes Level an Innovation, aber auch an Benutzerakzeptanz aufweisen.

Welche Themen beschäftigen aktuell den Mittelstand und wie kann Ihr Steinbeis-Unternehmen hier unterstützen?

Den Mittelstand beschäftigen alle Transformationsthemen, die wir gerade in der Gesellschaft wahrnehmen. Das sind beispielsweise Mobilitätsfragestellungen, die nicht nur Unternehmen aus dem klassischen Mobilitätssektor betreffen. Mobilität ist mittlerweile selbstverständlich, allerdings auch großen Änderungen unterworfen. Auch Energiefragen treiben den Mittelstand um. In unserem Steinbeis-Transferzentrum liegt der Fokus auf der Frage, welche Innovationen, welche Transformationen sich durch Digitalisierung ergeben. Es zeigt sich immer deutlicher und hat sich wohl in der Corona-Krise verstärkt, dass Digitalisierung auf der einen Seite enorme Chancen bietet, auf der anderen Seite aber auch Limitationen hat. Im Moment treffen wir auf einen deutlich besseren Playground, um solche Themen zu diskutieren, weil der Erfahrungsschatz mit aus der Digitalisierung entstehenden Innovationen viel größer ist als vor der Pandemie. Von daher können wir Innovationsprozesse auch viel partizipativer gestalten, weil wir auf mehr Menschen mit Erfahrungen – guten wie schlechten – treffen.

Zu Ihren Dienstleistungen gehört auch Innovationsberatung. Haben KMU gerade jetzt, wo eine Krise die nächste jagt, überhaupt noch Zeit, sich damit auseinanderzusetzen?

Ich habe den Zeitmangel ja schon als generelles Mittelstandsproblem beschrieben. Es ist wichtig, dass wir in Deutschland Förderkulissen haben, die es uns erlauben gemeinsam mit dem Mittelstand Innovationen voranzutreiben. Über Förderprogramme kann dem Mittelstand Zeit gegeben werden. Es ist nicht so, dass der Mittelstand Innovationsprojekten gegenüber nicht aufgeschlossen wäre. Durch pragmatische und weniger verwaltende Strukturen zeichnen sich mittelständische Unternehmen oft dadurch aus, dass sie Innovationen sehr schnell umsetzen können. Die aktuellen Krisen können eine Chance sein: Sie machen deutlich, dass wir uns um bestimmte Thematiken stärker kümmern müssen. Der Wohlstand, den wir haben, ist keine Selbstverständlichkeit.

Ein weiteres großes Problem neben der fehlenden Zeit besteht darin, die richtigen Leute für Innovationsprojekte in Unternehmen zu finden. In Zeiten des Fachkräftemangels klingt das wie eine Plattitüde. Aber gerade Innovationsprojekte brauchen erfahrene Leute, die gleichzeitig bereit und fähig sind, in die Zukunft zu schauen, und technische, juristische, ethische und andere Perspektiven kompetent vertreten können. Die akuten Krisen zeigen, dass die Fachkräfteproblematik für Innovationsthemen gefährlicher ist als der Zeitmangel.


3 Fragen an… Prof. Dr.-Ing. Thomas Ritz

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Thomas Ritz (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Usability und Innovative Interaktive Systeme zur Informationslogistik (Aachen)
www.stz-uiis.de

223074-31