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Mein Kollege, der Roboter

Ein Essay über Herausforderungen und Lösungen für den Mittelstand in den nächsten Jahrzehnten

Er ist inzwischen da – der demografische Wandel. Unsere Steinwurf-Autoren Dr.-Ing. Jürgen Jähnert und Moritz Stahl (bwcon research gGmbH) gehen davon aus, dass er unsere Sozialsysteme sprengen wird, und nehmen in ihrem Beitrag den Fachkräftemangel in den Betrieben des Mittelstands ins Visier. Ihr zukunftsgerichteter Lösungsvorschlag: der Einsatz von KI, Robotik und Automatisierungstechnik.

In der Tagespresse der 1980er- und 90er-Jahre kam Automatisierung und Robotisierung in der öffentlichen Wahrnehmung überwiegend einer Vernichtung von Arbeitsplätzen gleich. Dies war der Situation geschuldet, dass es ein Überangebot an Arbeitskräften gab, Natur- und Ingenieurwissenschaften bei Studierenden noch beliebte Fachrichtungen und dementsprechend an Universitäten und Hochschulen sehr gefragt waren. Die schon damals prognostizierten Folgen des demografischen Wandels wurden von weiten Teilen der Gesellschaft verdrängt. Und auch im Jahr 2018 stimmten in einer Umfrage des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) noch 69 % der Aussage zu „Die Vorstellung, dass in Zukunft viele Arbeitsplätze von Robotern, künstlicher Intelligenz oder Algorithmen übernommen werden könnten, bereitet der Mehrheit der Bevölkerung Sorgen.“

Herausforderung Fachkräftemangel

Inzwischen finden Unternehmen keine gewerblichen Auszubildenden mehr, Hochschulen keine Studierenden für ingenieurwissenschaftliche Studiengänge und in zahlreichen Unternehmen verlassen bis zu 30 % der Mitarbeiter in der Fertigung das Unternehmen altersbedingt in den nächsten fünf bis acht Jahren. In zahlreichen Regionen werden Fachkräfte aus dem Handwerk durch höhere Löhne in die Industrie abgeworben. Der Mittelstand mit seiner soliden Basis und sehr viel geringeren durchschnittlichen Margen hat hier wenig entgegenzusetzen und wird den Kampf um bessere Bezahlung gegen Großkonzerne nicht gewinnen können. Erschwerend kommt hinzu, dass die Politik noch immer großzügige Vorruhestandsregelungen auch in den Wirtschaftsbereichen begünstigt, die bereits unter massivem Fachkräftemangel leiden. Die Argumentation, dass die Fähigkeiten der freigesetzten Mitarbeiter nicht zu den zukünftigen Anforderungsprofilen passen, greift zu kurz. Es ist absehbar, dass man bei immer kürzeren Technologiezyklen Fachkräfte nicht immer früher in den Ruhestand verabschieden kann. Hier sind in den Unternehmen neue Konzepte der betrieblichen Weiterqualifikation und des berufsbegleitenden, lebenslangen Lernens gefragt. Ein „Sich-darauf-verlassen“, dass die Politik über großzügige Steuerregelungen diesen Prozess begünstigt und somit den Vorruhestand befördert, erhöht den Fachkräftedruck auf den Mittelstand. Bisher scheint das Problem nur punktuell in der Politik aufgegriffen zu sein. Unsere klare Handlungsempfehlung: eine sehr viel systematischere Herangehensweise an die Themen Robotisierung und Automatisierung in allen Bereichen von Organisationen, von der Verwaltung über das Marketing bis in die Produktion.

Robotik und Automatisierung etablieren

Das Wichtigste in diesem Veränderungsprozess: Den Mitarbeitern in den Unternehmen muss gezeigt werden, dass die über Jahrzehnte vermittelte Angst vor Robotern und Automatisierungstechnik in Zukunft nicht mehr berechtigt ist. Der Roboter ist zukünftig elementarer Bestandteil der mittelständischen Unternehmen, um die bestehenden Arbeitsplätze in der Summe abzusichern. Alle Tätigkeiten, die heute ein Roboter übernehmen kann, sollten von ihm übernommen werden. Mitarbeiter in den Organisationen sollten systematisch für diejenigen Tätigkeiten weiterqualifiziert werden, für die der Roboter noch keine wirtschaftliche Lösung bietet. KI, Robotik und Automatisierungstechnik werden sich kontinuierlich verbessern und dem Mittelstand in den nächsten Jahren wirtschaftliche Optionen liefern. Was aktuell in zahlreichen Betrieben des Mittelstandes fehlt, ist ein systematisches Herangehen aus der Perspektive der Personalpolitik. Es braucht ein neues Denken im Mittelstand, bei dem die Interaktion und das Zusammenspiel zwischen Mensch und Roboter/Maschine Hand in Hand auf eine neue Ebene gehoben wird. In den Verwaltungen bedeutet das zum Beispiel, dass Jahresabschlüsse automatisch erstellt werden können oder organisatorische Abläufe über Workflows abgewickelt und automatisiert werden. Der jüngst veröffentlichte Chatbot ChatGPT hat uns vor Augen geführt, dass auch bestimmte kreative Tätigkeiten durch Automatisierung von Maschinen und Hard- sowie Software gelöst werden können.

Anpassung des Bildungssystems

Um sowohl die technischen Fähigkeiten als auch Kompetenzen wie Kreativität, kritische Denkfähigkeit und problembasiertes Lernen zu vermitteln, ist eine Anpassung des Bildungssystems erforderlich. Es ist wichtig, dass (junge) Menschen lernen, wie sie mit Automatisierung und Robotern nutzbringend zusammenarbeiten können, anstatt gegen sie anzutreten. Eine kontinuierliche Weiterbildung wird unerlässlich sein, um sicherzustellen, dass die Menschen immer auf dem neuesten Stand bleiben und ihre Fähigkeiten im Einklang mit der sich ständig weiterentwickelnden Technologie verbessern können. Außerdem sollten Bildungsinstitutionen den Studierenden ein Verständnis für Ethik und Verantwortung im Umgang mit Technologien vermitteln.

Automatisierungslösungen für KMU

In der Fertigung sind zahlreiche Aufgaben, die vor fünf Jahren noch händisch vollzogen werden mussten, inzwischen von Robotern leistbar. Mittelständische Unternehmen tun gut daran, in einem regelmäßigen Turnus systematisch zu erheben, in welchen Bereichen Arbeitsschritte durch Automatisierungslösungen wirtschaftlich abbildbar sind. Da dieser kontinuierliche Robotisierungs- und Automatisierungsdruck in Organisationen Unsicherheit erzeugen kann, ist die ständige Kommunikation mit den Mitarbeitern entscheidend. Nur so werden Robotik, KI und Automatisierungstechnik von Gefährdern zu Rettern der Arbeitsplätze. Um die vollen Potenziale von Automatisierung und Robotik zu nutzen, ist die Entwicklung einer ganzheitlichen Strategie für mittelständische Unternehmen unabdingbar. Hierbei ist es wesentlich, die Mitarbeiter aktiv in den Veränderungsprozess einzubeziehen und auf die neuen Technologien, Interaktionsformen und Mensch-­Maschine-Schnittstellen vorzubereiten. Außerdem sollten mittelständische Unternehmen die notwendigen Bildungs- und Kompetenzprogramme implementieren, um ihren Mitarbeitern die notwendigen Fähigkeiten für den Umgang mit den neuen Technologien zu vermitteln.

Handlungsempfehlungen

Die Einflüsse von Robotisierung und Automatisierung in der Arbeitswelt sind ein Beispiel für eine Landschaft, die sich verändert hat, und mittelständische Unternehmen stellen nun fest, dass ihre über Jahrzehnte bewährte „Landkarte“ nun nicht mehr zur Landschaft passt. Eine ganzheitliche, solide Bildungs- und Kompetenzstrategie im Mittelstand wird Kapital und Ressourcen binden. Diejenigen Unternehmen, die sich diesem Prozess verweigern, laufen Gefahr, dass sie die Marktnachfrage nicht mehr bedienen können und über diesen Weg an Wettbewerbsfähigkeit verlieren werden. Darüber hinaus müssen politische Maßnahmen ergriffen werden, um die Arbeitsbedingungen und Sozialversicherungssysteme an die Veränderungen anzupassen, die die fortschreitende Automatisierung und Robotisierung verursachen. Nur durch eine kluge Politik, die die wirtschaftlichen Chancen und die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellt, kann eine erfolgreiche Integration von Automatisierung und Robotik in die Arbeitswelt garantiert werden. Am langen Ende wird die Politik in Erwägung ziehen, die „Fachkraft Roboter“ mit Steuern zu belegen, damit ein Staat die Sozialsysteme, aber auch die Bildungssysteme finanzieren kann. Der demografische Wandel wird sich auch auf der Einkommensseite des Staates bemerkbar machen und somit gilt auch hier: Eine neue Technologie ersetzt vielleicht eine alte Technologie im ersten Schritt eines Transformationsprozesses, im zweiten Schritt wird sich ein im Gleichgewichtszustand befindliches System aber auf die Suche nach einem neuen Gleichgewichtszustand begeben müssen.

Kontakt

Dr.-Ing. Jürgen Jähnert (Autor)
Geschäftsführer
bwcon research gGmbH (Stuttgart)

Moritz Stahl (Autor)
Mitglied der Geschäftsleitung
Berater Geschäftsentwicklung
bwcon research gGmbH (Stuttgart)

Dr.-Ing. Jürgen Jähnert ist Geschäftsführer der bwcon research gGmbH im Steinbeis-Verbund. Das Unternehmen fokussiert die angewandte Forschung mit Schwerpunkt auf den Feldern Mobilität, Gesundheitswesen, Energie und Produktion. Moritz Stahl ist innerhalb der Geschäftsleitung der bwcon research als Berater für die Geschäftsentwicklung aktiv.

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