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„Aufmerksam, offen und bereit sein, sich auf Neues einzulassen“

Im Gespräch mit Steinbeis-Unternehmerin Professor Susanne Radtke

Bei der Betrachtung der Bildung und Arbeitswelt der Zukunft darf aufgrund der fortschreitenden Globalisierung auch der Blick über den eigenen kulturellen Tellerrand nicht fehlen: Denn auch wenn wir in einer globalen Welt agieren, agieren wir doch mit Menschen, die in unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen und von diesen geprägt worden sind. Die TRANSFER hat sich darüber mit Susanne Radtke unterhalten, die in ihrem Berufsalltag als Professorin für Gestaltung und Mediendesign an der Hochschule Ulm und Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Beratungszentrum Intercultural & Corporate Design (I&CD) diese Herausforderung jeden Tag erlebt. Im Interview sprach sie über die Rolle der Interkulturalität, insbesondere im Design-Bereich, und darüber, wie Gesellschaft, aber auch Wirtschaft diese Aufgabe erfolgreich lösen können.

 

Frau Professor Radtke, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Interkulturalität: Welche Rolle spielt diese aktuell in der Bildung, aber auch in der Arbeitswelt?

In einer globalen Welt, wo räumliche Entfernungen oder unterschiedliche Sprachen kaum noch eine Rolle spielen, kommt niemand an dem Thema vorbei. Die Welt ist ein Dorf geworden und jeder glaubt, alles und jeden zu verstehen. Das ist jedoch ein Irrtum: Es gibt zahlreiche Dinge und Handlungen, die wir nicht verstehen und noch öfter fehlinterpretieren. Beispielsweise wird Zustimmung bei uns mit einem Kopfnicken ausgedrückt, während man in Asien oder auch Bulgarien mit dem Kopf nach rechts und links wackelt – was wir eher mit einem Nein assoziieren.

Das ist im Design ähnlich: Farben, Farbkombinationen, Schriften oder Formen bedeuten nicht überall auf der Welt dasselbe. Das haben gute globale Branding- und Marketingagenturen längst verstanden, indem sie die Werbung für ein Produkt lokal unterschiedlich gestalten. So werden in Japan die Labels von Deodorants mit weichen Formen und Pastellfarben gestaltet, in den USA bevorzugt man eine dominante Typografie und bedient sich hier durchaus auch lauter Farben. Es gibt auch bestimmte kulturunabhängige Farben wie zum Beispiel Grün: Das wird dann für Gemüse-Konservendosen in China, Südkorea, Deutschland und USA eingesetzt, da die Farbe weltweit mit der Natur in Verbindung gebracht wird. Viele Menschen gehen davon aus, dass in einer globalen Welt Empfindungen, Geschmäcker und Wertungen auch überall gleich sind. Was gut, schlecht, hübsch oder hässlich ist, hängt jedoch vor allem vom Kulturkreis ab. Genau das möchte ich meinen Studierenden, aber auch Berufstätigen, die beabsichtigen, in anderen Kulturkreisen tätig zu werden, vermitteln.

Sie setzen in der Design-Ausbildung auf interkulturelle Design-Basics: Was ist damit gemeint?

Design-Basics sind, wie der Name schon sagt, die Grundlagen oder einzelnen Attribute, aus denen sich ein Design zusammensetzt, wie Form, Farbe und Schrift. Da Design im Gegensatz zur Kunst stets anwendungsorientiert ist, spielen vor allem seine Funktionen für den Betrachter beziehungsweise Verbraucher eine Rolle. Die Informationsübermittlung durch sogenannte Zeichen, beispielsweise die Signalfarbe Rot, soll zielführend sein, also die Zielgruppe erreichen. Die Studierenden sollen lernen, ein Kulturplakat, eine animierte Werbung oder ein komplexes Branding so zu gestalten, dass diese auch von unterschiedlichen Zielgruppen verstanden werden. Dazu ist es notwendig, deren visuelle, auditive und stilistische Vorlieben im Vorfeld zu recherchieren und analysieren.

Wie wirkt sich die Globalisierung auf die Arbeit und auch Zusammenarbeit von Design-Teams aus? Was beobachten Sie dabei in Ihren Workshops?

In einer globalisierten Welt beziehen sich Zeichen und Zeichensysteme stets auf einen kulturellen Kontext und können nur über diesen verstanden und interpretiert werden. Deshalb erkunden meine Studierenden schon im ersten Semester internationale Designs und Stile, die vielen weniger bekannt sind. Asiatische, afrikanische, lateinamerikanische und arabische Designerinnen und Designer regen zur Auseinandersetzung mit unserer – vom Bauhaus geprägten – minimalistischen Formensprache an. Zuvor erlernte Gestaltungsregeln wie Eindeutigkeit, Prägnanz, gezielte Blickführung und „weniger ist mehr” werden in der Gegenüberstellung in Frage gestellt.

Es ist notwendig, sich auf interkulturell unterschiedliche Designs einzulassen, da Designteams zunehmend international tätig sind und nicht mehr nur für den heimischen Markt gestalten. In meinen interkulturellen Workshops erleben sich die Teilnehmenden in international gemischten Teams, wodurch sie im Verlauf der Zusammenarbeit ihre anfängliche Zurückhaltung verlieren und selbstsicherer werden. Sie entdecken neue Stärken und entwickeln bestenfalls eine Motivation, sich auch auf unbekannte Arbeitszusammenhänge mit Teammitgliedern aus anderen Kulturen einzulassen. Letztlich können sie sich später auf dem internationalen Arbeitsmarkt besser orientieren und bewähren.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen in der Aus- und Weiterbildung der Zukunft, insbesondere im interkulturellen Zusammenhang?

Da fällt mir als Erstes die Umstellung auf den Online-Lehrbetrieb während der Corona-Pandemie ein. Alle pädagogisch Tätigen hatten anfangs damit zu kämpfen, aber in interkulturell gemischten Teams ist die Online-Lehre eine noch komplexere Herausforderung. Sie hat zwar den zeitlichen und finanziellen Vorteil, dass die Teilnehmenden eines Workshops nicht mehr reisen müssen – aber auch den Nachteil, dass ein großer Teil der Körpersprache, die bei der Wissensvermittlung eine tragende Rolle spielt, wegfällt. Zudem sind die Teilnehmenden stärker isoliert und die Teamarbeit muss aufwendig inszeniert werden, interaktive Eisbrecher und Warm-up-­Games sind dabei unabdingbar. Ebenso wichtig ist, dass jedem international Lehrenden klar sein muss, dass die Studierenden im Umgang mit einem Lehrenden ganz unterschiedlich sozialisiert sind. In den USA ist man fast ein Kumpel, in Indonesien eine sehr starke Autorität und wird auch dementsprechend behandelt. In der langen Zeit, in der ich schon Workshops durchführe, habe ich einige diese Besonderheiten kennen- und mit ihnen umzugehen gelernt.

Was kann die Gesellschaft, aber auch die Wirtschaft tun, um die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften zu gewährleisten und die Arbeitswelt der Zukunft erfolgreich zu gestalten?

Hinter der Wirtschaft wie auch der Gesellschaft stehen immer Menschen, die ganz unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Prioritäten haben. Der Wirtschaft verdanken wir global agierende Konzerne, außerdem ist sie in der Lage, viel schneller auf neue Anforderungen zu reagieren als die Gesellschaft. Um bestehen zu können, muss sie Probleme am besten lösen, bevor sie entstehen. Die Gesellschaft hinkt meistens hinterher und agiert häufig erst dann, wenn ein Problem bereits vor ihr steht. Ein Beispiel: Während der Corona-­Pandemie haben Firmen sehr schnell auf Online-Meetings und Home­office umgestellt und die dafür notwendigen Strukturen geschaffen sowie Soft- und Hardware bereitgestellt. In den Schulen, die ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft und der Politik sind, lief das nicht so schnell: Als auf Online-Unterricht umgestellt werden musste, wurde erst einmal festgestellt, dass weder ausreichend Hardware noch anwendbare Software sowohl in den Schulen als auch bei den Schülern zu Hause vorhanden sind. Ende 2021 waren erst 1,27 Milliarden Euro der bewilligten 6,5 Milliarden Euro Bundesmittel abgeflossen. Das sind nicht einmal 20 %! Das zeigt deutlich, wie unterschiedlich Wirtschaft und Politik agieren – zumindest in ihrer Geschwindigkeit. Sie haben jedoch in Bezug auf Interkulturalität eine Gemeinsamkeit: Sie sind beide nicht per se interkulturell, sondern werden es erst durch die Menschen, die sich dieses Verhalten im Kindesalter automatisch und unbewusst angeeignet haben. Sprach- und Kulturerwerb sind eng miteinander verbunden und werden in der Interaktion mit Eltern und Umwelt erlernt.

Wenn wir in einem für uns neuen Kulturraum erfolgreich agieren wollen, sollten wir zuallererst unsere eigenen Verhaltensnormen, unser Wertesystem und auch unsere kulturellen Muster erkennen und deren Nützlichkeit im neuen sowie fremden Kontext hinterfragen. Aufmerksam, offen und bereit sein, sich auf Neues einzulassen und den anderen mit Respekt begegnen – das sind gute Voraussetzungen.

Interkulturelle Bildung ist nicht nur Teil meiner Lehrtätigkeit, sondern kommt auch bei der Arbeit in meinem Steinbeis-Unternehmen zur Anwendung. Ich möchte das Wissen um die Notwendigkeit des kultursensiblen Handelns und Arbeitens vermitteln. Für mich sind es drei Eigenschaften, die jeder von uns beibehalten muss: neugierig sein auf das Fremde, es mutig erforschen und danach entschlossen und kultursensibel handeln!

Kontakt

Prof. Susanne Radtke (Interviewpartnerin)
Steinbeis-Unternehmerin
Steinbeis-Beratungszentrum Intercultural & Corporate Design (I&CD) (Ulm)

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