Hier bleibt nichts haften

Projektteam entwickelt ein Verfahren zur Oberflächenoptimierung in Pharma-, Lebensmittel- und Verfahrenstechnik

Die chemischen und physikalischen Eigenschaften von Edelstählen werden ganz wesentlich von der Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst. In sensiblen Branchen, wie der Lebensmittel- und Pharmaindustrie, gewinnen Fachbegriffe wie das „Hygienic design“ immer mehr an Bedeutung. Denn Betreiber möchten eine Verschleppung von Partikeln und die damit verbundene Kontamination ihrer Charge tunlichst vermeiden. Einer der entscheidenden Faktoren ist dabei das Reinigungsverhalten von Oberflächen und das hiermit verbundene Anhaftverhalten von Partikeln. Doch welche Faktoren beeinflussen die Anhaftung von Partikeln an hygienischen Oberflächen und wie können diese Faktoren optimiert werden? Diese Frage hat sich der Edelstahlspezialist Bolz Intec aus Eisenharz/Argenbühl gestellt, der seit vielen Jahren Behälter und Sonderkonstruktionen aus Chrom-Nickelstählen produziert. In mehrjähriger Forschungsarbeit hat das Unternehmen gemeinsam mit der Hochschule Konstanz und dem Steinbeis-Transferzentrum Technologie – Organisation – Personal in Ravensburg die Eigenschaften von Oberflächen untersucht.

Derzeit wird als Hauptmerkmal bei der Beschreibung von Oberflächenqualität das Rauheitsprofil von Oberflächen verwendet. Das Forscherteam legte sein Augenmerk aber auch auf weitere Faktoren wie beispielsweise die finale Oberflächenenergie. Stand der Technik ist die derzeitige Beurteilung der Oberflächen mit zerstörungsfreien Prüfungen, wie der Rautiefenmessung zusammen mit einer optischen Prüfung. Doch daneben gibt es weitere wichtige Kriterien: Das ist beispielsweise die Art und Weise, wie die Oberfläche veredelt wird. „Wir haben herausgefunden, dass unterschiedliche Schleifmethoden in der Endbeurteilung der Oberfläche unterschiedliche Anhaftverhalten aufweisen, obwohl der Ra-Wert beider Oberflächen derselbe ist“, erläutert Steinbeis-Unternehmer Professor Edmund Haupenthal. Nun war klar, dass die Art und Weise, wie das Material abgetragen wird, eine wichtige Rolle spielt. Als Versuch wurde der Behälter über einen langen Zeitraum statt manuell mit einem automatisierten Schleifprozess geschliffen. Dieser feine Abtrag über einen längeren Zeitraum hatte eine geringere Anhaftung und somit eine bessere Reinigung zur Folge. Dies bezeichnete das Expertenteam als finale Oberflächenenergie.

OGF-Verfahren optimiert Oberflächen

Bolz Intec hat sich die gewonnenen Erkenntnisse zunutze gemacht und ein Verfahren entwickelt, mit dem der geringe konstante Abtrag über einen langen Zeitraum teilautomatisiert erreicht wird: das sogenannte Optimized-Grind-Finishing-, kurz OGF-Verfahren. Geometrisch unbestimmte Schleifkörper, die sich im Inneren des Behälters bewegen, erzielen dort den Abtrag. Großer Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die Oberfläche nicht nur von herausragender Qualität, sondern auch reproduzierbar ist. Bolz Intec ist unabhängig von unbestimmten Variablen, wie dem händischen Anpressdruck beim konventionellen Schleifen durch einen Mitarbeiter oder die Qualität von einzelnen Schleifmitteln. Als Ergebnis entsteht eine definierte Rautiefe bei geringer Tiefenbeeinflussung des Gefüges und mit einer optisch ansprechenden Oberfläche.

Die Unterschiede zu herkömmlichen Verfahren sind auch optisch zu erkennen. Das Projektteam hat dazu eine mit dem konventionellen Schleifverfahren erzeugte Oberfläche mit einer OGF-behandelten Oberfläche verglichen. Hierfür wurden die Oberflächen mit einem optischen 3D-Messsystem untersucht und anhand einer Falschfarbendarstellung visualisiert. Dabei zeigt sich: Beim OGF-Verfahren liegt keine lineare Schleifrichtung vor, deshalb fallen die Höhenunterscheide der Oberfläche deutlich geringer aus als beim Vergleichsmodell. Bei diesem treten außerdem Ungänzen in den Oberflächen auf, das lässt sich durch den sehr feinen und schonenden Abtrag beim OGF-Verfahren deutlich reduzieren.

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Optische und chemische Verbesserungen

Im weiteren Verlauf der Untersuchungen wurden die Oberflächen noch weiter veredelt und einem Elektropolitur-Verfahren unterzogen. Dabei werden die Spitzen in der Oberflächenstruktur weiter abgetragen, was neben optischen Vorteilen auch chemische Veränderungen, wie beispielsweise einen verbesserten Korrosionsschutz durch eine verstärkte Passivschicht, mit sich bringt.

In der finalen Beurteilung der Untersuchung zeigte das Projektteam auch das verbesserte Reinigungsverhalten mithilfe eines Versuchs in Anlehnung an die VDA19.1 (März 2015)/ISO16232 (Dezember 2018). Das OGF-Verfahren verringert die Restschmutzanhaftung in Behältern und verringert für den Betreiber das Risiko einer Kontamination zweier Chargen deutlich.

Die Projektpartner ziehen ein positives Fazit des Projekts: Die geforderten Parameter konnten nachgewiesen werden und mithilfe der Forschung entstand eine Oberfläche, die sowohl in ihrem Rauheitsprofil als auch in der optischen Beurteilung wiederholgenau erzeugt werden kann. Zusätzlich zeigt die Oberfläche Vorteile in der Reinigung. Gerade für kritische, sehr wertvolle oder sehr feine Partikel könnte dieser Mehrwert entscheidend sein: Für Branchen wie die Nano-, Bio- oder Pharmatechnologie stellt die Chargenreinheit und die Vermeidung von Kontaminationen einen ausschlagenden Punkt in der Produktion dar.

Kontakt

Prof. Edmund Haupenthal (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Technologie – Organisation – Personal (TOP) (Ravensburg)
www.stz-top.de


Literatur:
1.) P. Gümpel, sieben Mitautoren: Rostfreie Stähle, 5., durchgesehene Auflage 2015; expert-verlag GmbH; Renningen; ISBN 978-3-8169-3148-5
2.) A. Turnbull, K. Mingard, J. D. Lord, B. Roebuck: Sensitivity of stress corrosion cracking of stainless steel to surface machining und grinding procedure; Corrosion science 53, S. 349-355, 2012
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