Im Gespräch mit Professor Dr. Mario Schmidt vom Steinbeis-Transferzentrum Marketing, Logistik und Unternehmensführung an der Hochschule Pforzheim
Nachhaltigkeit, Industrial Ecology, Circular Economy und Ressourceneffizienz – diese Themen machen den Alltag von Steinbeis-Experte Professor Dr. Mario Schmidt aus. Mit der TRANSFER hat er darüber gesprochen und deutlich gemacht, dass es Nachhaltigkeit ohne Effizienz nicht geben kann und wie wichtig es ist, sich schon jetzt mit den zukünftigen Veränderungen auseinanderzusetzen.
Herr Professor Schmidt, Sie beschäftigen sich mit Industrial Ecology, können Sie uns kurz erklären, was das Besondere daran ist?
Der Begriff kommt aus dem Amerikanischen, im Deutschen ist er kaum bekannt. Wir beschäftigen uns mit dem Stoffmetabolismus unserer Industriegesellschaft. Es geht dabei um die Fragen, welche Materialien und Energien die Produktion und der Konsum brauchen, welche Emissionen und Abfälle dabei entstehen und wie wir das ökologisch bewerten müssen. Dazu gibt es Methoden, Software-Tools und Datenbanken, die wir über die letzten Jahrzehnte teilweise mitentwickelt haben und die wir in speziellen Studiengängen bei uns an der Hochschule Pforzheim lehren. Und wir denken darüber nach, wie wir Umweltbelastungen verringern können, insbesondere bei den Unternehmen. Unsere Besonderheit ist, dass wir nicht im Vagen über Nachhaltigkeit referieren, wie das meistens üblich ist, sondern quantitativ ausgerichtet sind. Bei uns zählen Fakten und Zahlen.
Welche Bedeutung kommt dabei der Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz zu?
Die Ressourceneffizienz hat zwei Dinge im Blick: Einerseits brauchen wir weiterhin Produkte und Dienstleistungen, denn darauf baut unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Andererseits wollen wir das mit möglichst wenig Einsatz natürlicher Ressourcen erreichen und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit liefern. So haben wir das auch in der VDI-Richtlinie 4800 zur Ressourceneffizienz formuliert. Effizienz als solche wird zwar in umweltbewegten Kreisen gerne diskreditiert. Aber Nachhaltigkeit ist ohne Effizienz nicht denkbar, alles andere wäre Verschwendung ohne Nutzen.
Was die Kreislaufwirtschaft angeht, so hat sich im Sprachgebrauch der Begriff „Circular Economy“ eingebürgert: Man will unterstreichen, dass heute mehr als nur Recycling zählt, was bei der Kreislaufwirtschaft in Deutschland in den 1980er- und 90er-Jahren noch im Mittelpunkt stand. Dazu gehören auch Reduce, Reuse, Repair, Refurbishing und so weiter. Das ist tatsächlich eine wichtige Strategie, wahrscheinlich die wichtigste neben der Energiewende, und sie wird unsere Gesellschaft und Wirtschaftsweise substanziell verändern. Aber wir müssen aufpassen: Ich bin kein Freund von dem Schlachtruf „Closing the Loop“. Dazu bin ich zu sehr Naturwissenschaftler und weiß, dass das schlicht Unsinn ist. Ab einer bestimmten Recyclingquote steigt der Aufwand fürs Sammeln und Aufbereiten ins Unermessliche. Und damit auch die Umweltbelastungen! Sie können dann negativer ausfallen als die Primärgewinnung von Rohstoffen aus Bergwerken.
Aber die Rohstoffe auf der Erde sind begrenzt. Müssen wir nicht versuchen, alles im Kreislauf zu fahren?
Wenn Sie sich die Fakten anschauen, dann ist das ein Narrativ oder auch ein Mythos, der wichtig für die Gründung der weltweiten Umweltbewegung war. Aber er lässt sich nicht belegen. Ich erkenne nirgends echte geologische Knappheiten. Das sind menschengemachte Engpässe durch geopolitische oder wirtschaftliche Einflüsse. Mehr Sorgen bereiten mir die sozialen und ökologischen Abbaubedingungen. Aber die kann man verbessern. Vor allem trägt aber die Gewinnung von Rohstoffen – Metallen, Baumineralien, aber auch biotischen Stoffen – zur Hälfte zu den globalen Treibhausemissionen bei.
Wo sehen Sie die größten Hürden sowohl in Wirtschaft als auch in der Gesellschaft, wenn es um das Thema Circular Economy geht?
Es ist – wie bei der Energiewende oder dem Klimaschutz – vor allem ein Preisproblem. Die Primärrohstoffe sind zu billig, die Sekundärrohstoffe zu teuer. Das müsste natürlich global geregelt werden, weshalb sich die einzelnen Nationalstaaten in einer vernetzten Weltwirtschaft schwertun. Außerdem unterliegen alle der „end-of-history-illusion“: Man glaubt, es wird sich in Zukunft schon nicht so viel ändern. Das ist aber ein großer Irrtum. Die Änderungen werden gewaltig sein.
Wie können diese Hürden Ihrer Meinung nach überwunden werden?
Wichtig ist, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen und mutig voranzuschreiten, als Unternehmen zu den Trendsettern und nicht zu den abgehängten Trend Followern zu gehören. Wir erleben gerade einen Boom bei der Frage, wie der Carbon Footprint der Unternehmen aussieht. Wer hier zu spät reagiert, hat im Wettbewerb schlechte Karten, weil es bald zum Standard gehören wird, zu den Klimafolgen seines Handelns Rechenschaft abzuliefern.
Kontakt
Prof. Dr. Mario Schmidt (Interviewpartner)
Freier Projektleiter
Steinbeis-Transferzentrum Marketing, Logistik und Unternehmensführung an der Hochschule Pforzheim (Pforzheim)