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Agile Teams: Erfolgsfaktor für die digitale Transformation in Wertschöpfungsnetzwerken

Ferdinand-Steinbeis-Institut begleitet unternehmens- und branchenübergreifende Kooperationen

Die digitale Transformation fordert Handwerks- und Industrieunternehmen heraus: Sie müssen gewohnte Denk- und Handlungsmuster infrage stellen und sich an ein kontinuierlich veränderndes Marktumfeld wie auch veränderte Anforderungen an ihre eigene Arbeitsorganisation und ihres strategischen Managements anpassen. Der Mittelstand, insbesondere das traditionelle Handwerk, ist damit konfrontiert, dass Kunden zunehmend ganzheitliche Lösungen verlangen – nicht zuletzt als Folge der Digitalisierung und neuer Servicegewohnheiten aus anderen Branchen. Doch wie geht man solche Anforderungen an, die die ganze Wertschöpfungskette und nicht mehr nur das eigene Unternehmen betreffen? Das Ferdinand-Steinbeis-Institut hat gemeinsam mit Projektpartnern im Projekt „Agile Teams“ gezeigt, wie unternehmens- und branchenübergreifende Kooperationen funktionieren können.

Vor allem die Digital Natives erwarten smarte, das heißt digital erweiterte Systemlösungen. Das Denken in Branchen, Segmenten und Gewerken ist immer weniger zeitgemäß. Zwar geht mit der Digitalisierung eine zunehmende Spezialisierung des Mittelstands und auch des Handwerks und seiner Gewerke einher, doch das ist für den Kunden meist nachrangig. Für ihn stehen Nutzen, Einfachheit und Service an vorderster Stelle.

Dieser Kundennutzen, insbesondere bei komplexen Produkten und Dienstleistungen, lässt sich meist nur noch in Kooperationen realisieren oder steigern. Kommunikationsfähigkeit, Beratungskompetenz und Koordinationsfähigkeit als Soft Skills gewinnen an Bedeutung. Daten bilden die Basis für smarte Dienstleistungen, von denen der Kunde heute noch nicht weiß, dass er sie morgen nachfragen wird.

Netzwerke und Kooperationen gewinnen an Bedeutung

Damit wird auch für den Mittelstand und das Handwerk die Bedeutung der Zusammenarbeit in neuen, heterogenen Wertschöpfungsnetzwerken und festen Kooperationspartnerschaften stark zunehmen. Es zeichnet sich ab, dass sich der Fokus dieser Wertschöpfungsnetzwerke nicht auf den eigenen Sektor beschränken, sondern auch IT-Unternehmen, handwerkliche und nicht-handwerkliche Gründer, Technologie-Start-ups oder sonstige KMU einschließen wird. Neben der Leistungsumsetzung sind vor allem in Produkt- und Dienstleistungsentwicklung, Einkauf, Marketing und Weiterbildung hohe Kooperationspotenziale erkennbar.

Mittel- bis langfristig werden sich daher zunehmend neue, unternehmens- und branchenübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke formieren, in die sich gerade auch die kleinen und mittleren Betriebe integrieren müssen. Der häufig, aber nicht nur, im Handwerk verbreitete „Kastengeist“ hemmt jedoch Kooperationen, gerade mit Nicht-Handwerkern oder anderen Branchen und Sektoren: Ein tiefgreifender Kulturwandel in Handwerk und Mittelstand ist notwendig. Für traditionell geprägte Unternehmen bedeutet das große Anstrengungen und erfordert ein umsichtiges Change- und Transformationsmanagement. Der Übergang von tradierten hin zu neuartigen, netzwerkorientierten Wertschöpfungsprozessen wirkt dabei in organisatorischer, kultureller und technologischer Hinsicht auf die Unternehmen ein. Bislang steht keine validierte Methode zur Verfügung, um ein solches Zusammenwirken von Akteuren mit unterschiedlicher Unternehmens- und Fachkultur, aber auch unterschiedlicher Sprache und unterschiedlichem Zugang zu Methoden und Werkzeugen zu moderieren.

„Agile Projektteams“ als Moderationskonzept

Das Ferdinand-Steinbeis-Institut hat daher gemeinsam mit einem Projektteam der bwcon gGmbH, der Steinbeis 2i GmbH und des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT) ein solches Moderationskonzept entwickelt und prototypisch in der Praxis getestet. Ziel des vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg geförderten Pilotprojekts „Agile Teams – Erfolgsfaktoren unternehmens- und branchenübergreifender Kooperationen in der digitalen Transformation“ ist es, für Unternehmen in sehr kurzer Zeit einen konkreten, substanziellen Mehrwert zu erarbeiten.

Aufbau eines „agilen Teams“

 

Ein agiles Team besteht zunächst aus mindestens drei Mitgliedern eines Wertschöpfungsnetzwerks oder eines Kooperationsprojektes. Darüber hinaus wird jedes Team von mindestens einem Tandem von Moderatoren begleitet, auch um komplementäre Moderationsansätze in die Teams einbringen zu können. Und schließlich gehört auch mindestens ein Intermediär zu jedem agilen Team, der oder die die Perspektive und die Erfahrungen der Wirtschaftsakteure im Land einbringt und die Schnittmenge zu den spezifischen Unterstützungs- und Förderangeboten in den jeweiligen Bereichen sowie zu weiteren Akteuren im Land herstellen kann. Das macht mindestens sechs Personen, die in einem agilen Team zusammenarbeiten. Drei solche agile Teams hat das Projektkonsortium initial im geförderten Projekt durch drei unterschiedliche Projektphasen begleitet.

Um einen möglichst schnellen und konkreten Mehrwert zu erarbeiten, entstand ein eigenes Workshopkonzept für die agilen Teams. Es besteht aus drei Workshops, die an die drei Phasen im Design-Thinking-Prozess (doppelter Diamant) angelehnt sind: Problemraum, Konzeptraum und Lösungsraum. Diese Workshopsequenz inklusive Vorlauf, Zwischenschritten und Nachbereitung ist auf rund sechs Monate angelegt und wird inhaltlich durch ein sogenanntes „sensibilisierendes Konzept“ strukturiert, das die Positionierung und Entwicklung des agilen Teams im Thema ermöglicht. Für den Themenbereich Unternehmenskultur ist hierzu beispielsweise das „Kulturmodell der vier Quadranten“ entwickelt worden.

Das agile Team „Schreinerhelden“

Eines der betreuten agilen Teams ist das der „Schreinerhelden“. Die Schreinerei Mario Esch im baden-württembergischen Murrhardt hat sich auf die Herstellung von hochwertigen Wohnmöbeln spezialisiert und ist bei der Digitalisierung Vorreiter in der Region Stuttgart. 2017 investierte sie in die nahezu lückenlose Digitalisierung ihrer internen Prozesse. Aufmaßtechnik von Flexijet ermöglicht die Erfassung aller Maße beim Kunden per Knopfdruck. Im 3D-CAD-System von RSO werden alle Möbelstücke konstruiert und visualisiert. Die CNC-Maschine Dynestic7535 mit einem Nextec 4.0-Leitrechner erlaubt durch sogenannte Nesting-Programme die Fertigung mit minimalem Verschnitt über mehrere Aufträge hinweg. Nach dem Zuschnitt erhalten alle Möbelteile automatisch ein Label mit Barcode.

Die Schreinerei arbeitet mittlerweile nicht mehr nur im Privatkundensegment, sondern auch als Auftragsfertiger für andere Schreinereien in der Region. Obwohl sie fortschrittlich und aktuell sehr erfolgreich wirtschaftet, sucht Mario Esch kontinuierlich nach neuen Möglichkeiten das Geschäftsmodell systematisch weiterzuentwickeln. Im Rahmen eines TREND-Workshops entwickelte er die Idee, eine Plattform zur Koordination seiner Auftragsfertigungen zu entwickeln, die auch in Richtung Endkunden erweitert werden kann. Wenn noch weitere Partner aus anderen Bereichen des Schreinerhandwerks hinzukommen, ist seine Vision, dem Kunden alles, was er mit dem Beruf Schreiner in Verbindung bringt, auf einer Plattform anzubieten. Eine weitere Idee ist eine Art Outfittery für Inneneinrichtung: Dem Kunden werden verschiedene Bilder von Einrichtungsvarianten gezeigt und er entscheidet jeweils, ob es ihm gefällt oder nicht. Ein KI-gestütztes Programm erlernt so den Geschmack des Kunden und unterstützt ihn beim Entscheidungsprozess. Für den Schreiner soll sich so die Zeit der Beratung verkürzen.

Ergebnisse des Pilotprojektes

Die drei begleiteten agilen Teams zeigen eindrücklich, dass sich das Konzept umfassend bewährt. In allen drei Teams konnte das gewählte Moderationskonzept in Analogie zum Design-Thinking-Prozess mit dem Dreiklang Problemraum – Konzeptraum – Lösungsraum realisiert werden. Alle Teams konnten sich in der kurzen Begleitungsphase sichtbar und konkret weiterentwickeln und haben konstruktive Lösungen erarbeitet, Meilensteine erreicht oder Artefakte gestaltet.

Beginnend mit dem „Kulturmodell der vier Quadranten“ bekam in allen Teams das Thema Unternehmenskultur in heterogenen Kooperationsnetzwerken eine Bedeutung. Dieses im Projekt entwickelte und erprobte Instrument hat sich vor allen mit seiner an der Praxis orientierten Operationalisierung bewährt. Bestehende Stärken und Herausforderungen wurden herausgearbeitet und die Teilnehmer für das Thema, seine Bedeutung für den Erfolg des Netzwerkauf- und -ausbaus und vor allem seine Facetten sensibilisiert.

Die begleiteten Teams sind im Laufe der Projektlaufzeit merklich zusammengewachsen. Die Sensibilisierung auf zentrale Herausforderungen, die explizite Betrachtung von Friktionen und potenziellen Konflikten, das gemeinsame Erlernen von Strategien, die gemeinsame Anwendung von Instrumenten und Konzepten, die gemeinsame Gestaltung von Artefakten, das Infragestellen von vermeintlichen Gewissheiten sowie die professionell moderierten Diskussionen in den Teams fanden die betreuten Unternehmen außerordentlich hilfreich und zielführend.

Auch die Rolle des Intermediärs hat sich bewährt. Über sie konnten wichtige zielgruppenspezifische Impulse, Ansätze und Instrumente in der Arbeit mit den Teams einbezogen werden. Zudem wurden weitere spezifische Unterstützungsmöglichkeiten eingebracht, die den begleiteten Akteuren auch nach Projektende weiterhelfen können.

Auch das Moderationskonzept hat sich als leistungsfähig herausgestellt. Tandems aus jeweils zwei unterschiedlichen Organisationen des Konsortiums konnten ihre Moderationserfahrung triangulieren und pragmatisch zu neuen Konzepten zusammensetzen und Synergien nutzen. Die durch die Corona-Bedingungen notwendig gewordene Umstellung auf Online-Formate hat sich bewährt und die anvisierten Projektziele nur bedingt beeinträchtigt. Von Vorteil ist, dass in diesem Zuge Online-Moderationsformate und darauf abgestimmte Instrumente und Methoden entstanden sind, die auch zukünftig eine wichtige Rolle bei digitalen Formaten der Begleitung von Kooperationsnetzwerken spielen können. Das Projektteam hat die im Pilotprojekt gewonnenen Erkenntnisse und entwickelten Instrumente und Konzepte in einem Maßnahmenkatalog zusammengeführt, der für Folgeprojekte auch in anderen Themenbereichen jenseits der Unternehmenskultur nutzbar sein soll.


Hier finden Sie den Maßnahmenkatalog des Pilotprojekts.


 

„Die Arbeitsweise in einem agilen Team ist eine ganz besondere Art der Zusammenarbeit“

Im Gespräch mit Schreiner Mario Esch

Herr Esch, welche Bedeutung haben digitale Plattformlösungen für das Handwerk allgemein und für das Schreinergewerk im Speziellen?

Mario Esch: Seit Jahren geht der Trend zu Onlinekäufen. Auch Informationen und Dienstleistungen werden zunehmend online beschafft. Diese Entwicklung hat bereits viele Branchen grundlegend verändert. Die Reisebranche, aber auch der Buchhandel und der Einzelhandel generell sind in einer Umstrukturierungsphase. Auch im Handwerk kommt diese Entwicklung nach und nach an. Digitale Lösungen ermöglichen großen Herstellern und der Industrie, individualisierte Waren und Dienstleistungen direkt im Customer-Bereich zu platzieren. Auch im Tätigkeitsbereich der Schreinereien ist dieser Trend zu beobachten. Das eingesetzte Marketingbudget der „großen Player“ und die damit verbundene Strahlkraft einzelner Marken ist im Vergleich zu einzelnen Handwerkern ungleich größer. Horizontale aber auch vertikale Handwerkerplattformen und Kooperationen können dafür sorgen, dass die Handwerker für die Kunden sichtbar bleiben.

Ist das Handwerk in Baden-Württemberg auf diesen Wandel ausreichend eingestellt? Welche Kompetenzen benötigen die Betriebe, um den Wandel meistern zu können?

Ich denke, diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Auf der einen Seite gibt es Betriebe, die die Weichen stellen und sich die Kompetenzen aneignen oder beschaffen. Auf der anderen Seite wird die Entwicklung von den Betrieben zwar wahrgenommen, laut einer Umfrage aus 2020 von Bitkom und ZDH glauben aber lediglich 19 %, dass sich ihr Geschäftsmodell aufgrund der Digitalisierung ändern wird. Bei den verarbeitenden Handwerkern gibt es schon einige Zeit computergesteuerte Maschinen und Software. Doch eine CNC-Maschine oder ein CAD-Programm alleine macht keine Digitalisierung aus. Meiner Meinung nach sollte die Begriffsdefinition „Digitalisierung“ deutlicher beschrieben werden. Hier braucht es dringend Unterstützung von der Politik, den Verbänden und auch der Wissenschaft.

Wie wichtig ist der Faktor „Unternehmenskultur“ für das Gelingen von Kooperationen auf Plattformen?

Die Festlegung einer gemeinsamen, für alle Partner tragfähigen Unternehmenskultur ist aus meiner Sicht elementar für eine erfolgreiche Gründung einer Kooperation und Plattform. Ohne diese „Spielregeln“ ist eine nachhaltige Zusammenarbeit nicht möglich.

Hat Sie die Arbeit im Projekt „Agile Teams“ vorangebracht? Und wäre das Konzept auch für andere Betriebe oder Plattformen geeignet?

Das Arbeiten in einem interdisziplinären Team war eine tolle Erfahrung. Besonders wertvoll war es bei unserem Projekt, die unterschiedlichen Gewerke dabei zu haben. Der Blickwinkel wird größer und die verschiedenen Interessen werden besser abgebildet. Es gibt immer wieder Situationen, in denen eigene Erwartungen und Ansprüche nicht erfüllt werden. Hier fängt einen das Team auf und es wird gemeinsam eine Lösung erarbeitet. Die Arbeitsweise in einem „Agilen Team“ ist auf jeden Fall für andere mittlere und große Betriebe alleine, oder auch für Handwerker-Kooperationen und -Plattformen einsetzbar und sinnvoll.

Eine letzte Frage: Wie wichtig ist eine professionelle Moderation, die den Prozess begleitet?

Die Arbeitsweise in einem agilen Team ist eine ganz besondere Art der Zusammenarbeit. Hier war es extrem hilfreich professionelle Hilfe und Moderation dabei zu haben. Es wurden Tools vorgestellt und eingesetzt, die mit der Hilfe unserer Moderatoren schnell und sicher verwendet werden konnten. Im Selbststudium wäre dies sehr viel aufwendiger und weniger präzise gewesen. Auch die Sicht von außen, gepaart mit Analysen und Zusammenfassungen wurde professionell und zielführend aufbereitet. Ohne Moderation wäre das Projekt am einen oder anderen Punkt vielleicht gestrandet. Ich würde eine Moderation auf jeden Fall empfehlen.

Kontakt

Dr. Michael Ortiz (Autor Beitrag)
Senior Research Fellow, Leitung Forschungsbereich Innovations- und Transfermanagement
Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)
https://steinbeis-fsti.de/agile-projektteams

Mario Esch (Autor Interview)
Geschäftsführer
Schreinerei Mario Esch – Ihr Möbel Schreiner (Murrhardt)

 

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