Im Gespräch mit Prof. Dr. Rüdiger Haas, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS, und Oliver Brehm, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Innovation und Organisation
Wird der Mensch in Zeiten der Digitalisierung überflüssig? Die Steinbeis-Experten Prof. Dr. Rüdiger Haas und Oliver Brehm sind überzeugt, dass der digitale Wandel nicht ohne Menschen vollzogen werden kann, sie sehen den Faktor Mensch sogar als entscheidend für den Erfolg der digitalen Transformation. Wesentlich ist allerdings, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden auf die neue Situation vorbereiten. Wie das gelingt und welche Rolle Weiterbildungskonzepte dabei spielen, darüber haben die beiden Experten mit der TRANSFER gesprochen.
Herr Professor Haas, digitale Transformation sowie die weiter zunehmende Konvergenz von Technologiefeldern und Branchen gelten als die wichtigsten Faktoren der Wirtschaft X.0. Stimmen Sie dieser These zu und wenn ja, welche Herausforderungen und welche Chancen sehen Sie auf kleine und mittelständische Unternehmen zukommen?
Ja, diese Sichtweise teile ich. Daraus ergibt sich für die Unternehmen folgende Frage: Welche strukturellen Veränderungen werden damit einhergehen und wie sollen wir damit umgehen, damit wir den Wandel erfolgreich vollziehen. Die großen Unternehmen sind darauf deutlich besser vorbereitet als kleinere und mittlere. Ich greife hier nur beispielhaft zwei Bereiche auf, die die KMU vor besondere Herausforderungen stellen: zum einen die Qualifizierung der Mitarbeitenden und zum anderen der technologische Fortschritt. Meistern wir diese Herausforderungen, kann sich vielfacher Nutzen ergeben: eine höhere Produktionsflexibilität, schnellere Reaktionszeiten und eine bessere Gesamtanlageneffektivität.
Herr Brehm, Sie schmunzeln, sehen Sie das auch so?
Ich stimme Herrn Haas hier vollkommen zu. Aber ich finde, dass man die Wirtschaft X.0 grundsätzlich viel feingranularer betrachten muss. Ich glaube, ich kann für uns alle sprechen, dass wir den Faktor Mensch im Produktentstehungsprozess als heimlichen Erfolgsfaktor der digitalen Transformation für kleine und mittelständische Unternehmen favorisieren. Die personellen Ressourcen der Unternehmen sind begrenzt, trotzdem soll mit den Besten der Besten das Tagesgeschäft abgewickelt, die Marktfähigkeit des bestehenden Geschäftsmodells mit neuen State-of-the-Art-Technologien sichergestellt und gleichzeitig noch neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. Das ist schon ein bisschen mehr als ein Spagat. Zudem trifft es gerade bei kleinen Unternehmen immer dieselben Personen.
Auch in Zeiten der Digitalisierung bleiben die Mitarbeitenden also das höchste Gut. Viele Mitarbeitende scheuen sich aber vor den Herausforderungen, die sich mit der zunehmenden Digitalisierung ergeben. Herr Brehm, wie können Unternehmen damit umgehen?
Große Unternehmen verfügen bereits über eigene Akademien oder Schulungskonzepte, die auf eine langfristige Personalentwicklung abgestimmt sind. Das fehlt den meisten KMU, vor allem aber fehlt dort oftmals das Bewusstsein, dass Weiterbildung zum festen Bestandteil der Unternehmensentwicklung dazugehört. Sich weiterzubilden war bisher keine Selbstverständlichkeit. Nun wird aber nicht nur den Führungskräften, sondern auch der Belegschaft bewusst, dass sich das ändern muss. Dies verunsichert zunächst. Es ist wichtig, dass die Unternehmen diese Ängste ernst nehmen und die Mitarbeitenden möglichst früh in die Entwicklung von Weiterbildungskonzepten einbeziehen. Wir haben uns im Rahmen unserer Fachtagung „Faktor Mensch in Zeiten der Digitalisierung“ im Juli dieses Jahres mit dem Thema beschäftigt und waren vom Ergebnis der Veranstaltung nicht wirklich überrascht: Alles ist geprägt vom Spagat. Wir benötigen Experten, die gleichzeitig Generalisten sind. Wir müssen es schaffen, in interdisziplinären heterogenen Teams die Kommunikation sicherzustellen, obwohl die Mitglieder völlig unterschiedliche Sprachen sprechen. Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, konzeptionell zu arbeiten und sich unfallfrei im Spannungsfeld zwischen harter Spezifikation und agilen Methoden bewegen zu können. Die Eigenschaft sich aus der Komfortzone heraus zu wagen, sich an Grenzüberschreitungen heranzutasten, um auch mal zu einer radikal neuen Lösung zu kommen, ist manchen Mitarbeitern abhandengekommen. Daher muss sich in den Unternehmen erst eine Weiterbildungskultur entwickeln. Allerdings muss dies schnell geschehen, sonst wird man für den Wandel nicht gewappnet sein. Hier sehe ich außerordentlich gute Chancen gerade für kleine Unternehmen künftig stark zu punkten.
Herr Professor Haas, wenn die Unternehmen eigene Weiterbildungskonzepte entwickeln sollten, erfordert dies entsprechende Kompetenzen der Führungskräfte. Sind diese denn der Aufgabe gewachsen?
In der Regel nicht, aber sie können hierfür fremde Hilfe holen, wie sie das schon beim Steuerberater, Rechtsanwalt und im Bereich der klassischen Unternehmensführung tun. Allerdings ist der Gedanke, dass man sich nun Hilfe von pädagogisch geschulten Fachkräften holen müsste, für viele neu. Und dann kommt noch eine weitere Schwierigkeit hinzu, denn solche Experten sind auf dem Markt kaum vorhanden. Die Pädagogik, auch Berufspädagogik und Technikdidaktik, fokussierten sich bisher nicht auf die Lebens- und Arbeitsabschnitte der Menschen, die bereits seit vielen Jahren im Berufsleben stehen und sich lebenslang weiterbilden wollen und sollen. Wir widmen uns nun seit mehreren Jahren dem Thema „Technische Bildung im industriellen Kontext“, denn diesen Bereich gilt es sowohl theoretisch als auch praktisch zu ergründen, um für die kommenden Herausforderungen gewappnet zu sein.
Herr Brehm, welche Methoden setzen Sie bei der Umsetzung Ihrer Projekte im Bereich der Personalentwicklung und Managementberatung ein?
In unserem Transferzentrum haben wir auf Basis vieler Projekte, beispielsweise von CAD- und PLM-Systemen, über einen Zeitraum von 20 Jahren eine Methode entwickelt, um Veränderungen im Unternehmen nachhaltig und mit höchster Akzeptanz durch die Mitarbeiter umzusetzen. Wir nennen es „Smart Benchmarking“. Unabhängig von der Tatsache, ob es sich um eine System-, Organisations-, Prozess- oder Technologieinnovation handelt, haben wir das Vorgehen so weit systematisiert, dass Qualifizierung, Lösungsfindung und Implementierung der Veränderung weitestgehend in der Hand der betroffenen Mitarbeiter liegen.
Herr Professor Haas, inwiefern ist technologischer Fortschritt eine Herausforderung für die deutsche Wirtschaft, sind wir hier nicht seit vielen Jahren Vorreiter?
Unsere Vorreiterrolle ist keine Selbstverständlichkeit. Gute Indikatoren für die Innovationsfähigkeit eines Landes sind beispielsweise Patentanmeldungen und die Anzahl der Publikationen. Setzt man diese Zahlen in Relation mit der Anzahl der Einwohner, so hinken wir bei den Publikationen EU-Ländern wie Dänemark, Finnland, Luxemburg, die Niederlande, Schweden und einigen mehr hinterher. Auch der Anteil der weltweit relevanten Patente ist in Ländern wie Schweden, der Schweiz und Japan größer. Und dies, obwohl sich zum Beispiel Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung in den letzten 20 Jahren in der Wirtschaft verdoppelt haben. Wir dürfen uns also nicht ausruhen und sollten an den Hochschulen mehr und intensivere Forschung betreiben. Damit dies gelingt, benötigen wir aber auch an den Hochschulen andere Rahmenbedingungen und strukturelle Veränderungen.
Kontakt
Prof. Dr. Rüdiger Haas (Autor)
Leiter
Steinbeis-Transferzentrum Institute for Transfer Technologies and Integrated Systems SITIS (Karlsruhe)
www.sitis-steinbeis-haus.de
Oliver Brehm (Autor)
Leiter
Steinbeis-Transferzentrum Innovation und Organisation (Eislingen)
www.stzio.de