Gebrauchssimulationsstand für Testanlagen mit textilem Innensonnenschutz

SONNENSCHUTZ NACHHALTIG GEDACHT

Ein Steinbeis-Team ist an der Entwicklung einer Methodik zur Auswahl von Sonnenschutzlösungen beteiligt

Im Fokus der Öffentlichkeit stehen immer mehr nachhaltige Produkte und Systeme, die nicht nur ihren eigentlichen Zweck erfüllen, sondern daneben auch ressourcen- und energiesparend sind und effizient wiederverwertet werden können. Diese Anforderungen werden auch an Gebäudeprojekte gestellt. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) entwickelte ein Nachhaltigkeitskonzept zur Bewertung und Zertifizierung von solchen Projekten. Es betrachtet sechs wesentliche Eigenschaftskomplexe: Ökologie, Ökonomie, soziokulturelle und funktionelle Aspekte, Technik, Prozess- und Standortqualität. Die vielfältigen in Gebäuden zum Einsatz kommenden Produkte sollten da­ran gemessen und ausgewählt werden. Das Sächsische Textilforschungsinstitut, ein An-Institut der Technischen Universität Chemnitz, und das Chemnitzer Steinbeis-Transferzentrum Antriebs- und Handhabungstechnik im Maschinenbau haben gemeinsam untersucht, wie bei der Auswahl des Sonnenschutzes in einem Gebäude Nachhaltigkeitskriterien und Funktionalität in Einklang gebracht werden können.

Eine Gebäudeverglasung mit innen- oder außenliegendem Sonnenschutz ist ein sich funktionell ergänzendes System. Mit Sonnenschutzanlagen kann der thermische Komfort in den Räumen reguliert werden, sie sind ein Teil des Designs, reduzieren die sommerliche Wärmebelastung und unterstützen die Energieeinsparung bei der Klimatisierung von Räumen. Am Arbeitsplatz trägt ein textiler Sonnenschutz auch dazu bei, die nach der DIN EN ISO 9241-6 geforderten Kriterien zur Arbeitsplatzbeleuchtung zu erfüllen. Durch die Optimierung der Beleuchtungsverhältnisse kann ein Sonnenschutz sogar zur Steigerung der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz beitragen. Zusätzlich lässt sich die benötigte Beleuchtungsenergie durch eine optimale Tageslichtausnutzung minimieren.

In Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Forschungsvorhaben (FKZ: MF­150060) haben das Sächsische Textilforschungsinstitut und das Steinbeis-Transferzentrum Antriebs- und Handhabungstechnik im Maschinenbau eine Methodik entwickelt, mit der textile Son­nenschutzmaterialien anhand der für ein Gebäudeprojekt relevanten Parameter ausgewählt und in die Nachhaltigkeitsbetrachtung einbezogen werden können. Neben den Nachhaltigkeitsaspekten im Hinblick auf Technik oder auch Ökologie spielt für den textilen Sonnenschutz auch die Beständigkeit und damit die Nachhaltigkeit bei den gebäudebezogenen Kosten im Lebenszyklus eine wesentliche Rolle. 

Gebrauchssimulationsstand für
Testanlagen mit textilem Innensonnenschutz

BELASTUNGEN VON SONNENSCHUTZMATERIALIEN

In vorausgegangenen Untersuchungen war die Beständigkeit von Sonnenschutz an Gebäuden im Vergleich zu Tests im Labormaßstab schon genauer betrachtet worden: Im Gebrauch wirken die Faktoren Strahlung, Temperaturwechsel, Luftfeuchte und mechanische Belastung als Komplex auf die Materialien ein. Deshalb wurden für die Labortests zyklische Belastungsverfahren entwickelt, mit denen realitätsnahe Gebrau­chs­belastungen an textilen innenliegenden Sonnenschutzmaterialien, wie beispielsweise Plissees, Rollos, Flächenvorhänge oder Vertikallamellen, nachgestellt werden können. 

PRÜFSTÄNDE FÜR TEXTILE MATERIALIEN

Um diese komplexen Prüfabläufe umzusetzen, hat das Steinbeis-Transferzentrum Gerätetechnik konstruiert und gebaut. Die entwickelten Belastungsteststände bestehen aus einer wärmegedämmten Probenkammer mit aufgesetztem Fenster. Pneumatik bewegt in den Testanlagen die zu untersuchenden textilen Materialien (Format 600 x 600 mm²): Das simuliert das Öffnen und Schließen der Materialien im Gebrauch. Innerhalb der Kammer werden zusätzlich Temperatur- und Feuchtezyklen gefahren. Eine über dem Fenster montierte „künstliche Sonne“ bestrahlt die Proben mit einem sonnenähnlichen Spe­ktrum. Je nach Anforderungen und Dauerhaftigkeit der Materialproben sind Prüfzeiten von drei Tagen bis zu einer Woche üblich. Ein kompletter Testzyklus entspricht etwa einer Gebrauchsdauer von zwei Jahren. 

Speziell für die Untersuchung von großformatigen Sonnenschutzanlagen mit einer Gesamtbreite von 1 m und einer Länge über 2 m hat das Steinbeis-Transferzentrum für Antriebs- und Handhabungstechnik im Maschinenbau eine weitere Anlagenteststrecke konstruiert und gebaut. Die Anlage funktioniert ähnlich wie die Belastungsteststände. Die Materialproben werden in vier Prüfkammern zeitgesteuert mit variierenden Lufttemperaturen, relativen Luftfeuchten, künstlicher Sonnenbestrahlung und mechanischer Bewegung (öffnen und schließen) belastet. 

Das Projektteam beurteilt den Probenzustand jeweils vor und nach dem Testablauf sowie nach jedem Testtag. Visuell wahrnehmbare Kriterien, wie Welligkeit, oberflächige Strukturänderungen, Ablösungen von Verklebungen oder Rissbildungen, werden jeweils erfasst und klassifiziert. Außerdem gehen Maßänderungen und Veränderungen der Masse in die Klassifizierung ein. Die Klassifizierungskriterien hatte das Projektteam gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe des Industrieverbands innenliegender Sicht- und Sonnenschutz erarbeitet.

Modellierungs- und Auswahlsystem

 

WEITERENTWICKLUNGEN IM FORSCHUNGSPROJEKT

Nachdem die grundlegenden Projektanforderungen erfolgreich erfüllt sind, ist das Projekt noch längst nicht abgeschlossen: Erst vor kurzem hat das Projektteam die Anlagenteststrecke ergänzt, so dass nun auch die Simulation von Gebrauchsbelastungen für außenliegende Sonnenschutzmaterialien durchgeführt werden kann. Realisierbar sind Biegebelastungen während der Einwirkung von Strahlung oder Regen sowie Temperaturen nahe 0°C. Die Prüfverfahren und Geräte wurden inzwischen akkreditiert und werden in Industrieaufträgen an die Prüfstelle des Sächsischen Textilforschungsinstituts schon rege genutzt. Für die Einbindung der textilen Sonnenschutzmaterialien in die Nachhaltigkeitsbetrachtung von Gebäudeplanungen – ganz gleich ob Neubau oder Sanierung von Altbauten – entwickelte das Projektteam im Rahmen des Forschungsprojekts ein mathematisches Modell. Damit erhalten Planer, Architekten und Gebäudeausrüster ein Entscheidungsinstrument an die Hand, um Sonnenschutzmaterialien auszuwählen, die individuell auf die Erfordernisse des Gebäudes und des Gebäudenutzungskonzepts ausgelegt sind. Dazu werden die Parameter der Sonnenschutzmaterialien, wie visuelle, thermische und akustische Kenndaten sowie Beständigkeiten, mit Gewichtungsfaktoren belegt und über Korrelationen und Zuordnungsalgorithmen klassifiziert (Entwicklungsphase, Lernphase). In der darauf folgenden Nutzungsphase des Systems werden nur Materialien, die den gewünschten Anforderungen entsprechen, für Planer und Gestalter zur Auswahl gestellt. Die Methodik ist so gewählt, dass andere Anwendungsfälle und auch andere Materialgruppen (beispielsweise Bodenbeläge) damit bearbeitet werden können.

Der Transfer der Lösung in die Praxis bestätigt das Projektteam: Bei einem zur Sanierung anstehenden Schulgebäude wurde eine textile Sonnenschutzlösung unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte eingebunden. Aufgrund des Denkmalschutzes der Fassade war ausschließlich die Anbringung einer innenliegenden Sonnenschutzlösung möglich. 

Kontakt

Rainer Klitzsch
Projektmitarbeiter
Steinbeis-Transferzentrum Antriebs- und Handhabungstechnik im Maschinenbau (Chemnitz)
www.stz122.de

Heidrun Mehlhorn (Autorin)
Sächsisches Textilforschung­sinstitut e.V., An-Institut der Technischen Universität Chemnitz
Abteilung Prüfverfahrensentwicklung

Patrick Reinhardt (Autor)
Sächsisches Textilforschung­sinstitut e.V., An-Institut der Technischen Universität Chemnitz
Abteilung Prüfverfahrensentwicklung