Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Klaus Schlickenrieder, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Produktionsverfahren, Robotik und Agilität
Roboter, die ganz selbstverständlich Hand in Hand mit Menschen arbeiten, so sieht die Produktion der Zukunft aus. Bis es aber soweit ist, muss noch einiges passieren: Die Sicherheit muss gewährleistet werden, vor allem aber müssen die Mitarbeiter von Anfang an bei dieser Entwicklung miteinbezogen und ihre Ängste ernst genommen werden. Wie das gelingen kann und warum Agilität alleine nicht alle Probleme lösen kann, erklärt Prof. Dr.-Ing. Klaus Schlickenrieder im Gespräch mit der TRANSFER. Er beschäftigt sich mit dem Thema intensiv sowohl in seiner Rolle als Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Produktionsverfahren, Robotik und Agilität als auch als Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkstoffprüfung an der Technischen Hochschule Ulm.
Herr Professor Schlickenrieder, die Digitalisierung und Automatisierung von Produktionsprozessen schreitet voran, immer mehr Roboter übernehmen die menschliche Arbeit, welche Folgen hat das für die Wirtschaft?
Ich denke, damit die Produktion in Deutschland bleiben kann und in einem weltweiten Vergleich Bestand hat, braucht man die Automatisierung. Und gerade Roboter können meines Erachtens einen sehr großen Beitrag dazu leisten: Sie sind als Chance zu sehen, da sie Menschen von körperlich schweren, monotonen Aufgaben entlasten können und den Menschen quasi dafür frei machen, dass er andere, anspruchsvollere Aufgaben übernehmen kann. Ich glaube auch, dass der Produktionsstandort Deutschland Robotik braucht, um aktuell schon ins Ausland verlagerte Produktion wieder zurück nach Deutschland zu bringen.
Problematisch sehe ich die Automatisierung für Menschen, die einen sehr geringen Bildungsstand haben und genau diese einfachen Tätigkeiten momentan ausführen. Natürlich weckt die Automatisierung Ängste bei den Mitarbeitern, daher ist es wichtig, diese von Anfang an mitzunehmen: Wenn Unternehmen automatisieren, müssen sie gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern dafür sorgen, dass man Arbeitsplätze schafft, bei denen die Mitarbeiter sich selbst wiederfinden, eine Verbesserung für sich erkennen. Gelingt dies, dann stehen die Chancen meiner Meinung nach gut, dass die Mitarbeiter die Automatisierung akzeptieren. Ich denke nicht, dass durch Robotik mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, aber die momentan bestehenden Arbeitsplätze können gehalten werden.
Zu Ihren thematischen Schwerpunkten gehört auch die Mensch-Roboter-Kollaboration, kurz MRK: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, aber auch die Chancen?
Eine der größten Herausforderungen, die ich in Deutschland in diesem Zusammenhang sehe, ist die Sicherheit. Es ist sehr wichtig, dieses Thema gut abzudecken. Andere Länder sind in diesem Bereich weniger strikt, weniger fordernd, was meines Erachtens nicht richtig ist, denn ich sehe die Sicherheit des Menschen als das höchste Gut. Aber aktuell ist es schwierig ein sicheres Arbeitsumfeld aufzubauen, in dem Unternehmen Roboter zusammen mit Menschen einsetzen können, denn die Normung dazu ist erst im Entstehen. Daher tun sich meines Erachtens viele Firmen momentan schwer damit das Thema MRK anzugehen.
Die zweite große Herausforderung sehe ich bei den Mitarbeitern. Diese sind meines Erachtens anfangs sehr skeptisch gegenüber den Robotern, der MRK, was verständlich ist, denn sie befürchten dadurch ihren Job zu verlieren. Es ist sicher eine Herausforderung diese Menschen mitzunehmen, aber notwendig. Mitarbeiter müssen die Chancen aufgezeigt bekommen, die sich durch MRK ergeben, wie zum Beispiel die Entlastung von physisch belastenden, monotonen Tätigkeiten, die Entlastung von gefährlichen Tätigkeiten durch kollaborative Roboter – sogenannte Cobots. MRK-Maschinen können genauer arbeiten, sie können gleichmäßiger arbeiten, sie können schneller arbeiten. Der Mensch kann aber besser entscheiden, der Mensch kann beurteilen, der Mensch sollte auch die Entscheidungen treffen. Die MRK kann diese Vorteile aus beiden Welten, aus der menschlichen Welt und aus der Roboter-Welt, vereinen.
Welche Trends werden Ihrer Meinung nach die Zukunft der industriellen Robotik bestimmen und was bedeuten diese für die Arbeitswelt?
Ich sehe drei große Themenbereiche, der erste ist die klassische Industrierobotik. Hier beschäftigen sich aktuell schon zahlreiche Experten mit dem wichtigen Thema, dass die Programmierung von klassischen Industrierobotern schneller und einfacher wird. Wenn dies gelingt, wird sich das Anwendungsspektrum deutlich erweitern. Momentan sind Industrieroboter sehr stark in der Serien- bis Großproduktion eingesetzt, also in großen Firmen, die hohe Stückzahlen produzieren müssen. Kleine und mittelständische Unternehmen und das Handwerk tun sich sehr schwer, weil es aktuell zu lange dauert einen Roboter zu programmieren. Wird dies einfacher und schneller, wird der Einsatzbereich der Industrierobotik größer werden und auch KMU können davon profitieren. Der zweite große Trend sind mobile Robotik und mobile Manipulatoren, das heißt MRK-fähige Roboter auf einer mobilen Plattform. Damit können zum Beispiel die Transportlogistik und der innerbetriebliche Warenverkehr, in denen momentan sehr stark Menschen eingesetzt werden, schnell und erfolgreich automatisiert werden. Der dritte Trend sind die bereits erwähnten Cobots. Hier arbeiten die Menschen mit den Robotern zusammen, so dass sich die Chance ergibt, die Vorteile beider Seiten zu nutzen.
Wie bereits erwähnt werden die Entscheidungen aktuell immer noch von Menschen getroffen und das wird meines Erachtens in der absehbaren Zeit auch so bleiben. Ich beobachte aufmerksam die Entwicklung der künstlichen Intelligenz, sehe es aber noch skeptisch, wann sie ausgereift sein wird. Ich denke, ich werde diesen Zustand noch erleben, aber für die nahe Zukunft sind die Menschen in der Produktion unumgänglich, um Entscheidungen zu treffen.
Die Digitalisierung bringt Unternehmen dazu, ihre Geschäftsfelder zu hinterfragen und ihre Organisationsformen an die neuen Herausforderungen anzupassen. Dabei setzen viele Unternehmen auf Agilität und Wertschöpfungsnetzwerke. Worauf sollten sie bei der Umsetzung besonders achten?
Ich kann hier aus eigener Erfahrung berichten: Der Mensch, die Mitarbeiter sind die wichtigsten Faktoren. Viele Unternehmen haben den Standpunkt: „Agil ist hip, agil machen momentan alle, also muss ich das auch machen.“ Sie unterschätzen aber dabei, welchen kulturellen Wandel im Unternehmen diese Entwicklung eigentlich bedeutet. Man sollte nicht glauben, dass Agilität alle Probleme löst. Dies ist einfach eine andere Herangehensweise, die Probleme sind nach wie vor da, sie werden nur agil gelöst, und das dauert. Wer glaubt mit Agilität sofort eine Gewinnsteigerung zu haben, wird schwer enttäuscht sein. Ich empfehle, auch hier die Mitarbeiter von Anfang an miteinzubeziehen, in kleinen Schritten zu arbeiten und vorab zu versuchen zu verstehen, was es bedeutet agil zu sein und was das für einen Impact, für einen Einfluss auf die Unternehmenskultur hat. Ich sehe bei kleinen Firmen, die viel wandlungsfähiger sind, dass sie einfacher von der bisherigen auf die agile Entwicklungsweise umsteigen. Große traditionsreiche Unternehmen, die lange Jahre hierarchisch geprägt waren, werden sich sehr schwer mit dieser Umstellung tun. Dazu kommt, dass man einen langen Atem haben muss. Nach meiner Erfahrung dauert es rund fünf Jahre, bis sich die Kultur im Unternehmen verändert hat.
Was die Wertschöpfungsnetzwerke angeht, so adressiert das Thema Industrie 4.0 horizontale, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke. Ich denke, in der Praxis ist das noch sehr schwer umzusetzen. Gleichwohl sehe ich es als notwendig an, dass man sich als Firma in Netzwerken engagiert und in Netzwerken denkt, weil man nicht mehr alles unternehmensintern leisten kann. Und mit Netzwerken haben die Unternehmen die Chance, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren und als gemeinschaftliche Einheit am Markt zu bestehen. Agile Technologien können helfen diese Unternehmensnetzwerke zu bilden und auch dort gut zu agieren, aber sie sind nicht das alleinige Hilfsmittel.
Agilität kann nicht verordnet werden, sie muss gelebt werden. Es wird nie funktionieren, wenn sie nur von oben oktroyiert wird, die Mitarbeiter müssen sie wollen und verstehen, wie sie davon profitieren können. Meines Erachtens sind die Vorteile groß. Aber der Weg dorthin ist erst einmal steinig: Die Unternehmensleitung muss den Prozess unterstützen, aber sie muss auch loslassen können. Häufig sehe ich die Probleme nicht bei Mitarbeitern, sondern eher vor allem im mittleren, aber auch im oberen Management.
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Prof. Dr.-Ing. Klaus Schlickenrieder (Autor)
Leiter
Steinbeis-Transferzentrum Produktionsverfahren, Robotik und Agilität (Horgau)