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„Eine Technologie ist kein Selbstzweck, sondern ein Innovationsmotor“

Im Gespräch mit Professor Dr. Ralf Kindervater, Geschäftsführer der BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

Welche Aufgaben erfüllt die BIOPRO Baden-Württemberg GmbH, was sind ihre Ziele und wie sieht deren Umsetzung in der Praxis aus – das und vieles mehr erklärte Professor Dr. Ralf Kindervater im Gespräch mit der TRANSFER.

Herr Professor Kindervater, BIOPRO wurde 2002 als Landesgesellschaft zur Förderung der Biotechnologie gegründet. Welches Ziel verfolgte man damals mit dieser Gründung?

BIOPRO wurde als eine reine Biotechnologie-Agentur im Rahmen der Zukunftsoffensive Biotechnologie gegründet, die Themen Bioökonomie und Gesundheitsindustrie kamen zehn Jahre später dazu. Das Ziel war, die vier Bioregionen zu einer Landesinitiative zu bündeln. Es gab bereits zwei Vorläuferorganisationen, die das versucht haben, allerdings erfolgslos. Der dritte Versuch bestand darin, mit BIOPRO eine Landesagentur zu gründen, um mit ihrer Hilfe die vier Bioregionen in Baden- Württemberg – Heidelberg, Freiburg, Ulm und Großraum Stuttgart – zu vernetzen. Zum damaligen Zeitpunkt kannte man eigentlich in der Biotechnologielandschaft nur Bayern, NRW und Berlin. Baden-Württemberg hatte zwar viele renommierte Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie eine Firmenlandschaft mit rund 130 Biotechfirmen, diese waren aber so gut wie nicht miteinander vernetzt. Daher war eine der zentralen Aufgaben von BIOPRO mit den existierenden vier Bioregionen ein einheitliches Gesamtbild von Baden-Württemberg im Bereich der Biotechnologie zu erschaffen.

BIOPRO hat sich seit der Gründung sehr erfolgreich gewandelt. Was waren die Gründe für den Wandel, welche sind die Ziele heute?

Uns war klar, dass unsere Aufgabe nicht nur darin bestand, uns einzig und alleine um die Biotechfirmen zu kümmern und die Bürger über den aktuellen Stand der Forschung zu informieren, diesen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen wir mittlerweile mit zwei Landesportalen. Gerade bei den neuen Technologien ist das Informieren sehr wichtig, um der Gesellschaft ein objektives Bild zu vermitteln. Aber eine Technologie ist eigentlich kein Selbstzweck, sondern ein Innovationsmotor. Daher stellten wir uns die Frage, welche Industriesektoren können durch (neue) Biotechnologien innoviert werden. Wir haben uns in die Landesspezifika eingearbeitet und wussten einerseits, in welchen Forschungseinrichtungen an welchen Fragestellungen geforscht wird, und andererseits, in welchen Unternehmen diese Forschungsergebnisse umgesetzt werden können. Der nächste Schritt bestand darin, das Ganze in die Anwenderbranchen zu bringen. Die erste Branche, mit der wir dabei gearbeitet haben, war die Pharmaindustrie, man spricht dabei von der Biologisierung der Industrie – ein Thema, das heute wieder tagesaktuell ist. Damals ging es darum, die Forschungserkenntnisse und in diesem Zusammenhang auch die entsprechenden Biotechfirmen in die Pharmaindustrie zu vermitteln. Der zweite Sektor, den wir in den Jahren 2006/2007 angegangen haben, war die Medizintechnik. Dieser Bereich gehört nämlich zu denen, in denen die radikalen Innovationen stattfinden. Als Beispiel kann man die Aesculap AG nennen, die sich schon vor vielen Jahren an der Firma TETEC im Bereich biologische Knie-Knorpelund Bandscheiben-Implantate beteiligt hat. Das sind die Partnerschaften, die zeigen, dass auch ein klassisches Medizintechnik-Unternehmen erfolgreich die aktuellen Biotechnologietrends umsetzen kann. Dann folgte die Chemieindustrie, eines der erfolgreichen Beispiele dazu ist unser Cluster Biopolymere/ Biowerkstoffe, dessen Ziel darin besteht Kunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe zu entwickeln. Aber eine erfolgreiche Innovationsagentur muss den anderen immer einen Schritt voraus sein. Gerade mit unserem Cluster Biopolymere/Biowerkstoffe waren wir eigentlich der ideale Wegbereiter, um Baden-Württemberg auch im Bereich der Bioökonomie nach vorne zu bringen. Ab dem Jahr 2010 wurde das umgesetzt und führte dazu, dass es im Jahr 2013 eine entsprechende Satzungsänderung gab. Damit war die BIOPRO nicht mehr nur eine reine Biotechnologieagentur, sondern ist zum ausführenden Partner für die Entwicklung der Gesundheitsindustrie und der Bioökonomie im Land geworden. Seit 2017 sind wir daran beteiligt, eine Landesstrategie für die nachhaltige Bioökonomie zu entwickeln. Der weitere wichtige Schritt, mit dessen Umsetzung wir 2018 begonnen haben, betrifft die Gesundheitsindustrie. Sie steht auf Platz drei der Industrien in Baden-Württemberg (nach Maschinenbau und Automobilindustrie), wenn man die Exportleistung anschaut. Die Landesregierung hat das erkannt und einen Prozess gestartet, der im Juli auch öffentlich werden wird – den Dialog zum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg: ein gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Dialog, um die Zukunft der Gesundheitsindustrie in Baden-Württemberg zu sichern. Auch in diesem Bereich gibt es mit der Digitalisierung, Personalisierung und den neuen Technologien einen radikalen Wandel. Dazu kommen noch EU-Regularien, wie die neuen Medizinprodukteverordnungen und die In-vitro-Diagnostika-Verordnung, die für unsere üblicherweise eher kleinen und mittelständischen Unternehmen eine große Bedrohung darstellen. Alle diese Themen werden den Dialog mitbestimmen, den wir mitgestalten werden.

Die Biotechnologie gehört zu den Schlüsseltechnologien mit enormen Innovations- und Konvergenzpotenzialen, aber wo es Chancen gibt, gibt es auch Risiken. Welche Trends bestimmen die Zukunft der Branche und welche Herausforderungen bringen diese mit?

Wie alle neuen Schlüsseltechnologien, bringt die Biotechnologie enorme Potenziale aber auch Risiken mit. Nehmen wir als Beispiel das Genome Editing auf Basis von CRISPR/Cas9: Man kann damit DNA gezielt schneiden und verändern und das quasi auf Garagen-Labor-Niveau, wo man die Auswirkungen noch nicht abschätzen kann. Natürlich hat diese Methode Potenzial, denn man kann damit Erkrankungen erkennen und heilen, wenn sie genomisch verursacht sind. Aber welche Nebenwirkungen kann eine solche Therapie haben? Und natürlich gibt es auch ethische Bedenken dazu. Das sind die Themenstellungen, die kommen, wenn sich die Technologien neu und weiterentwickeln, und mit denen sich die Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft auseinandersetzen sollen. Die Aufgabe einer Landesagentur, also unsere Aufgabe, besteht darin, einen gesellschaftlichen Dialog zu diesen Themen anzustreben. Bei der Bioökonomie ist das genauso: Man muss sich die Frage stellen, ob unser konsumorientiertes Leben die wahre Art zu leben ist, um unseren Planeten für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Hier kommt die Responsible Innovation ins Spiel – nicht Innovation um jeden Preis, sondern eine Innovation, die mit einer gewissen Verantwortung und Berücksichtigung von deren Auswirkungen verbunden ist. Und hier sind wir wieder beim Thema Technologiefolgenabschätzung.

Die Bioökonomie schlägt eine Brücke zwischen Technologie, Ökologie und effizienter Wirtschaft und ermöglicht damit biobasiertes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Das klingt gut, aber wie lässt sich dies in der Praxis und insbesondere in Baden-Württemberg umsetzen?

In einer voll durchentwickelten Ökonomie, also in einer geschlossenen und hochkonjunkturlaufenden Wirtschaft wie Baden-Württemberg, ist eine solche Umstellung nur in relativ kleinen Schritten möglich. Es gibt zum Beispiel die eine oder andere ländliche Region, die sich schon seit vielen Jahren mit Biotechnologie beschäftigt und danach strebt sich autark energetisch zu versorgen, mit Solar-, Wind- und Bioenergie. Solche kleinen Regionen sind natürlich prädestiniert dafür, aus einem Bioenergie-Dorf ein Bioökonomie-Dorf zu machen. Auch im städtischen Bereich gibt es solche bioökonomische Ansätze, wie zum Beispiel Kaskadenwirtschaft zur Nutzung von Resthölzern. Hierbei muss man natürlich mit den öffentlichen oder auch privat-wirtschaftlichen Akteuren immer im Gespräch sein, was wir auch tun. Wo wir denken, dass es in der Interaktion mit uns und unseren Maschinen-/Anlagenbauern für bioökonomische Systeme schneller gehen wird, sind die Partnerschaften, die wir über EU-Projekte haben. Ein gutes Beispiel dazu ist unser INTERREG-Projekt mit dem Titel “DanuBioValNet” im Donauraum: Dort versuchen wir in der Interaktion mit Nicht-Bioökonomie- Clustern bioökonomisches Gedankengut in klassische Industriesektoren zu bringen. Wir müssen diejenigen sein, die die bioökonomische Anlagentechnik herstellen und dahin liefern, um mit den örtlichen Unternehmen bioökonomische Partnerschaften zu schließen. Dann kommen die Zwischen- oder Endprodukte aus bioökonomischer Produktion am Ende des Tages wieder nach Baden-Württemberg zurück. Wir müssen also mit kleinen dezentralen Ansätzen und eng mit uns zusammenarbeitenden Partnerländern Bioökonomie-Entwicklung so steuern, dass Baden-Württemberg in einer mehrfachen Win-Win-Situation davon profitieren kann. Auch das Thema Digitalisierung ist wichtig, denn wir können jetzt viele Szenarien von Rohstoffgewinnung über Konversion, Umwandlung zu Zwischenprodukten und dann Weiterverarbeitung zu Endprodukten mit Öko-Bilanzen, Lifecycle-Analysen, Bio-Diversitäts- Analysen simulieren und modellieren, um auf dieser Basis die richtigen Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes zu treffen.

Kontakt

Professor Dr. Ralf Kindervater

Professor Dr. Ralf Kindervater ist Geschäftsführer der BIOPRO Baden- Württemberg GmbH und Honorarprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in der Fakultät für Chemieingenieurwesen und Verfahrenstechnik. BIOPRO Baden-Württemberg ist die Landesgesellschaft für die Themen Bioökonomie und Biotechnologie, Pharmazeutische Industrie und Medizintechnik (Gesundheitsindustrie) und hat sich zum Ziel gesetzt, diese Themen in der Öffentlichkeit zu vertreten und den Nutzen von Innovationen aufzuzeigen.

Professor Dr. Ralf Kindervater
BIOPRO Baden-Württemberg GmbH (Stuttgart)