Im Gespräch mit Professor Dr. Arnd Gottschalk, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Personal & Organisation in Kassel
Welche Rolle spielen die Personal- und Organisationsentwicklung in Zeiten der Digitalisierung? Welche Kompetenzen brauchen Mitarbeiter, um zukunftsfähig zu sein? Darüber und auch über die Aufgaben der Führungskräfte in der Arbeitswelt der Zukunft hat die TRANSFER mit Professor Dr. Arnd Gottschalk gesprochen.
Herr Professor Gottschalk, zu Ihren thematischen Schwerpunkten gehören Organisation und Organisationsentwicklung. Wie verändern sich diese im Zuge der Digitalisierung und was bedeutet diese Entwicklung für Unternehmen?
Digitalisierung trifft die Unternehmen je nach Branche und Produkt unterschiedlich. Ich empfehle hier das Prinzip „was vor wie“ anzuwenden: Es ist angebrachter, zuerst zu fragen, was sich im Zuge der Digitalisierung verändern wird, und erst danach, wie Unternehmen sich künftig entwickeln werden beziehungsweise müssen. Was ist also Digitalisierung? Mit dieser Frage sollten sich Unternehmen ganzheitlich und mehrdimensional auseinandersetzen, sonst besteht die Gefahr, dass dieses Thema unter der IT-Abteilung aufgehängt wird, und da gehört es meiner Meinung nach zuletzt hin! Digitalisierung ist für mich im Kern die Produktion und Verarbeitung digitaler Daten. Sie ist nicht nur Automatisierung, Hardwareentwicklung oder Robotik, sondern muss viel ganzheitlicher verstanden werden. Nach dem anfänglich diffusen Bild werden die Anforderungen an die Arbeitswelt der Zukunft allmählich klarer: Die Arbeit wird noch ganzheitlicher, vernetzter, verdichteter, beschleunigter und transparenter als bisher, da Daten in nahezu unbegrenzter Menge und in Echtzeit vorliegen. Hier ist die Personal- und Organisationsentwicklung gefragt!
Noch vor einigen Jahren stand die Frage im Raum, wohin die Organisationsentwicklung (OE) sich entwickeln wird und ob diese überhaupt noch gebraucht wird. Es braucht sie aktuell mehr denn je, und es braucht auch die Grundsätze der klassischen OE nach wie vor, wie zum Beispiel das Prinzip „Betroffene zu Beteiligten“ zu machen. Zu komplex und zu rasant sind die aktuellen Entwicklungen, als dass einzelne Unternehmenslenker oder Berater hier die richtigen Entscheidungen treffen oder vorbereiten können. Ich sehe für die Disziplin der Organisationsentwicklung einen hohen Bedarf darin, sich als Lernbegleiter für die Zukunft zu verstehen beziehungsweise solche Lernbegleiter im Unternehmen aufzubauen. Ich verwende hier den Begriff des „Future Designers“, also eines Experten, der die Organisation, die Führungskräfte, Mitarbeiter und Teams methodisch systematisch auf dem Weg in die Zukunft begleitet.
Digitalisierung ist allgegenwärtig und gestaltet die Arbeitswelten von Grund auf neu. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie sieht die Arbeit in einem Unternehmen 4.0 aus und welche Herausforderungen bringen diese Veränderungen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber mit?
„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, heißt es bekanntlich. Wie die Arbeitsweisen im Unternehmen 4.0 im Detail aussehen, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich – es gibt also keine Allgemeinformel. Dass einige Branchen und Unternehmen stärker von der Digitalisierung betroffen sein werden, als andere, ist auch klar. Die zentrale Forderung lautet daher, dass Führungskräfte und Mitarbeiter gleichsam noch viel mehr befähigt werden müssen, mit dem immer schneller voranschreitenden Wandel klar zu kommen. Lernfähigkeit und Zukunftsfähigkeit sind also meine beiden Schlagwörter. Viele Arbeitnehmer sind in die Falle der „erlernten Hilflosigkeit“ (Seligmann) getappt und gehen davon aus, das Unternehmen werde sich schon um sie kümmern. Falsch gedacht! Auch nicht alle Mitarbeiter sind dazu in der Lage, sich selbstständig berufliche Lernziele zu setzen, sich selbst zum Lernen zu aktivieren und schließlich die neu erworbenen Kompetenzen auch in die Praxis umzusetzen. Führungskräfte müssen daher ihre Führungsrolle viel stärker als bislang wahrnehmen. Personalentwicklung ist nicht die Aufgabe der Personalabteilung, sondern der Führungskräfte!
Die OECD fasst aktuell folgende drei Kompetenzen für die Zukunftsfähigkeit zusammen: die Fähigkeit, Neues zu schaffen und kreativ zu denken, die Fähigkeit, mit Spannungsverhältnissen umzugehen, in neuen und komplexen Zusammenhängen zu denken, und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, selber Dinge zu initiieren, zu entscheiden (und scheitern zu lernen), Akteur zu sein – nicht passiv zu bleiben. Mitarbeiter müssen also mit zukunftsfähigen Kompetenzen ausgestattet werden. Hier besteht ein enormer Weiterbildungsbedarf für Führungskräfte und Mitarbeiter. Aus meiner Sicht sind also künftig vor allem methodische Kompetenzen für Führungskräfte notwendig: Es liegen in Unternehmen kaum oder nur in ausgewählten Abteilungen besondere methodische Kenntnisse vor, sich selbst und ihren Bereich zukunftsfähig zu halten. Innovation und Zukunftsfähigkeit ist nicht allein auf die Strategieabteilung delegierbar, sondern geht jeden etwas an und braucht einen entsprechenden organisationalen Rahmen, in dem Scheitern und Lernen möglich sind.
Um die neue digitalisierte und virtualisierte Arbeitswelt gestalten zu können, bedarf es unter anderem einer Neuausrichtung der Personalstrategien im Unternehmen. Was bedeutet das konkret für Personalmanager und Führungskräfte?
Zunächst braucht es überhaupt erst einmal eine Personalstrategie, die sich, ähnlich wie eine Innovations- oder Marktstrategie, als Teil der Unternehmensstrategie versteht und aus dieser abgeleitet wird. Viele Unternehmen im Mittelstand verfügen über keine explizite Personalstrategie beziehungsweise eine strategische Ausrichtung der Personalarbeit (vgl. Gottschalk / Vögele: Steinbeis Engineering Studie, 2012). Ich unterscheide die Personalstrategie in zwei Dimensionen: die Strategie für den Personalbereich und die Personalstrategie des Unternehmens. Für die Digitalisierung bedeutet das konkret: Wie sieht die Digitalisierungsstrategie für den Personalbereich aus? Wie geht der Personalbereich in Sachen Digitalisierung voran? Die zweite Dimension fragt nach der Digitalisierungsstrategie für das Unternehmen: Wie verändern sich die Prozesse und Tätigkeiten und wie verändert sich das Netzwerk aus Kunden und Lieferanten? Digitalisierungsstrategien sind somit keine stand alone-Einzelstrategien, sondern müssen immer im Kontext des internen und externen Unternehmensumfeldes betrachtet werden. Die Kernfragen der Personalstrategie für das von der Digitalisierung stark betroffene Unternehmen sind wohl diese: Wie schnell können wir voran gehen? Wie stark sind die treibenden und hemmenden Kräfte? Schaffen wir die digitale Transformation mit der bestehenden Belegschaft und wie gehen wir mit den Mitarbeitern um, die den Weg nicht weiter mitgehen können? Flexible, befristete Arbeitsverträge sind ein Mittel, doch es dauert eine Generation von Arbeitnehmern, um den Wandel auf diese Weise zu vollziehen. Personaler sollten daher fragen, welcher Bedarf an Anpassungsqualifizierung, fachliche und methodische Kompetenzen sind gleichsam gefragt, und welcher Neupersonalbedarf entsteht. Wie können wir die notwendigen Kompetenzen entwickeln oder einkaufen? Wie verschieben sich aktuelle Berufe? Welche neuen Berufsfelder entstehen? Da wir nicht genau wissen, wie die Zukünfte – ich spreche bewusst nicht von der einen Zukunft – aussehen, bedarf es eines sehr wachsamen und partizipativen strategischen Managements. Hier kann der Personalbereich künftig gewinnen, indem er Formate für die Zukunftsgestaltung bereit hält und diese pro-aktiv umsetzt.
Wie jede Veränderung bringt die digitale Transformation im Unternehmen Mitarbeiterängste, ja sogar -widerstände hervor. Wie können beziehungsweise sollen Personalmanager und Führungskräfte mit diesen umgehen?
Widerstände können auf emotionaler, rationaler und politischer Ebene entstehen. Emotionaler Widerstand entsteht meist durch die Angst vor dem Ungewissen: Was kommt auf mich zu? Was bin ich mit meiner Qualifikation noch wert? Kann ich in der digitalen Welt noch mithalten? Auf diese Fragen sollten Personaler und Führungskräfte vorbereitet sein, auch wenn sie darauf manchmal keine Antworten haben. Rationaler Widerstand entsteht indes durch ein Unverständnis oder eine Fehlinterpretation von Zahlen, Daten und Fakten: Warum brauchen wir Digitalisierung? Welchen Nutzen bringt sie uns? Es geht hier also um die Frage nach dem „Warum“. Bei politischen Widerständen hingegen geht es um Machtverhältnisse: Wer ist für Digitalisierung zuständig? Wer erhält die Budgets? Wer versucht sich mit dem Thema zu profilieren? Hier können Personalmanager die Rolle des Moderators übernehmen. Widerstand wird im Allgemeinen als negativ und als Verzögerungstaktik wahrgenommen, muss aber in jedem Fall ernstgenommen werden! Wenn Sie mich nach einer Pille gegen Widerstand fragen würden, müsste diese aus folgenden Substanzen bestehen: Aufklärungsarbeit, Kommunikation, Information, Partizipation, Qualifikation und Integration.
Ein weiterer Punkt: Arbeitgeber, Führungskräfte und Mitarbeiter müssen Digitalisierung lernen, hier kann die Organisationsentwicklung helfen, den richtigen Weg zu gehen. Flexibilität, Agilität, Lernbereitschaft, all diese Forderungen an die Belegschaft, „fit“ zu bleiben, müssen sich auch Arbeitgeber und Führungskräfte zu Herzen nehmen! Nicht nur einfordern, sondern auch vorleben, was Digitalisierung im Einzelfall für das Unternehmen und die Mitarbeiter bedeutet. Aber Vorsicht vor Lagerbildung: Die Digitalisierung spaltet meines Erachtens nach aktuell die Lager und baut erhebliche Widerstände auf, die im Prozess der digitalen Transformation bearbeitet werden müssen. Die Organisationsentwicklung und das Change Management halten hierfür sehr wirksame Formate und Interventionen bereit, wie zum Beispiel die Zukunftswerkstatt, die Kraftfeldanalyse, die Stakeholder-Map oder auch ein auf den Change Prozess bezogenes Design Thinking Format, mit dem wir erfolgreich digitale Veränderungsprozesse starten und steuern. Das Partizipationsprinzip, also die Betroffenen zu Beteiligten zu machen, sie schrittweise an die Veränderung heranzuführen, sie mitzunehmen und sie mitgestalten zu lassen, sollte beherzigt werden.
Kontakt
Professor Dr. Arnd Gottschalk ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Personal & Organisation. Zum Dienstleistungsangebot des Steinbeis-Unternehmens zählen individuelle Personalentwicklung und Coaching, Personalstrategie, Qualifizierungs- und Trainingsprogramme, strategische und operative Organisationsentwicklung, Arbeitsorganisation und Arbeitssicherheitsberatung, Qualitätsmanagement sowie die Erstellung von Benchmarking- und wissenschaftlichen Studien.
Professor Dr. Arnd Gottschalk
Steinbeis-Transferzentrum Personal & Organisation (Baunatal)