© Roland Halbe

Da steckt Energie drin!

campoV ist Deutschlands erstes als Plusenergie-Haus konzipiertes Studentenwohnheim

Dass ein Studentenwohnheim im übertragenen Sinne unter Strom steht, ist zunächst nicht ungewöhnlich. Wenn dort aber sogar Strom erzeugt wird, ist das doch einen genaueren Blick wert: Mit campoV ist im Stuttgarter Stadtteil Vaihingen das erste deutsche Studentenwohnheim entstanden, das als Plusenergie-Haus konzipiert ist – also als Gebäude, das mehr Energie erzeugen als verbrauchen soll. Entwickelt und umgesetzt von der Stuttgarter Planungsgesellschaft und dem Bauträger Wohnbau-Studio wurde das Projekt während Planung und Bau vom Steinbeis-Innovationszentrum energieplus begleitet und in einem detaillierten wissenschaftlichen Monitoring rund drei Jahre betreut.

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126 teilmöblierte Wohneinheiten bieten auf einer Fläche von knapp 3.000 m² Studierenden im Zentrum von Vaihingen Wohnraum, der dringend benötigt wird. Neben einer Erdwärmepumpe und einer Photovoltaik (PV)-Anlage (140 kWp) auf allen Dachflächen des Gebäudes bildet ein Lithium-Eisenphosphat-Stromspeicher (Speicherkapazität 100 kWh) die Basis für zukunftsweisende Energiekonzepte im Mikrowohnungsbau. Das Erdreich wird als Niedertemperaturwärmequelle für die Wärmepumpe genutzt. „Beengte Platzverhältnisse sind typisch für eine innerstädtische Bebauung. Deshalb wurde etwa die Hälfte der 14 Erdwärmesonden unter dem Gebäude in einer Tiefe von jeweils 140 Metern platziert“, erläutert Steinbeis-Unternehmer Dr.-Ing. Christian Kley eine der Herausforderungen des Projekts. Die Wärme wird über eine Sole-Wasser-Wärmepumpe bereitgestellt, an die die Niedertemperatur-Fußbodenheizung angeschlossen ist. Diese Wärmepumpe liefert fast die gesamte Wärme, die für Raumheizung und Warmwasser benötigt wird. In den Pufferspeichern sind nur zu Redundanzzwecken elektrische Heizstäbe eingebaut. In den Sommermonaten übernimmt die kombinierte Fußbodenheizung/-kühlung die passive Kühlung der Wohneinheiten über Erdwärmesonden und Wärmetauscher.

Herausforderung Plusenergie-Standard

Das Team des Steinbeis-Innovationszentrums energieplus führte nach Fertigstellung und Bezug des Gebäudes ein umfangreiches, öffentlich gefördertes Monitoring über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren durch, in dem es die Energienutzung des Gebäudes auswertete und analysierte. Denn die Anforderungen an ein Plusenergie-Gebäude sind hoch. So zeigten die Analysen des Verbrauchs aus Gebäudebetrieb und Nutzerstrom, dass die Nutzung des Solarstroms der PV-Anlagen zwischen 83 und 89 %, der Anteil der Solarenergie am Bedarf bei rund 35 % liegt. Mit diesen Ergebnissen wird der Plusenergie-Standard aktuell noch nicht erreicht, die PV-Anlage muss ausgebaut und der Verbrauch der Bewohner reduziert werden. „Wir stehen auch nach Abschluss unseres Monitorings im engen Austausch mit dem Bauträger und entwickeln gemeinsam innovative Konzepte zur Erhöhung der PV-Leistung“, erläutert Steinbeis-Projektleiterin Leonie Nietfeld. Der Stromspeicher des Gebäudes hat einen Wirkungsgrad von rund 80 %. Die Zwischenspeicherung des bei Spitzenerträgen erzeugten Stroms für den Einsatz in den Nachtstunden und damit die Reduzierung des Netzstrombezugs funktionieren gut und ermöglichen es, Lastspitzen im Bezug aus dem öffenltichen Stromnetz zu reduzieren. Der Betrieb der Wärmepumpe für Heizwärme und Warmwasser in Kombination mit einem großen Speichervolumen ermöglicht eine effiziente Wärmebereitstellung.

Das Monitoring des Projekts machte vor allem eines hilfreich deutlich: Theorie und Praxis weichen häufig voneinander ab. Im Vergleich zu den Planungsparametern zeigte sich, dass der tatsächliche Strom- und Warmwasserverbrauch der Bewohner deutlich höher ist. Die Gebäudenutzung und auch die technische Ausstattung der Studierenden geht deutlich über die bisherigen Erfahrungen hinaus. In Gebäuden mit hoher Belegungsdichte wie einem Studentenwohnheim ist der extreme Einfluss des Nutzers auf die Energiebilanz des Gebäudes deutlich zu erkennen und höher als zunächst angenommen. Die aufgetretenen Mehrverbräuche gegenüber der Planung sind in großen Teilen auf das erhöhte Verbrauchsverhalten der Bewohner zurückzuführen – die Optimierung der technischen Anlagen war erfolgreich, sodass diese mit hoher Effizienz laufen.

Energienutzung auf dem Smartphone im Blick

Auch die Pandemiezeit trug mit dazu bei, dass der Verbrauch im Gebäude deutlich anstieg – über lange Zeit befand sich ein Großteil der Bewohner dauerhaft zuhause und nahm online an den Vorlesungen teil, zudem waren Heimatbesuche der größtenteils internationalen Bewohner nicht möglich. Bauherr und Betreiber arbeiten seitdem an verschiedenen Konzepten, um gemeinsam mit den Bewohnern die Energienutzung stärker ins Visier zu nehmen. Denn das Thema Energie ist auch im Bereich der besonderen Wohnformen angekommen und wird den Bewohnern von campoV über die eigens entwickelte Nutzer-App des Stuttgarter Hard- und Softwaredienstleisters mondayVision vermittelt. „Die App erhielt nach und nach weitere Funktionen, die den Usern den verantwortungsbewussten Umgang mit Energie erleichtern sollen. Die individuelle Anzeige des Strom- und Heizwärmeverbrauchs, ein Ranking zum Vergleich mit anderen Bewohnern oder auch die Kopplung mit den Waschmaschinen und Trocknern, um freie Kapazitäten im Waschkeller zu sehen, sind nur ein paar Beispiele“, zeigt Leonie Nietfeld auf. Zudem wurden über den Zeitraum des Forschungsprojektes diverse Wettbewerbe gestartet, die einen besonders geringen Energieverbrauch oder eine deutliche Einsparung gegenüber dem vorherigen Verbrauch belohnten, Infoveranstaltungen für die Bewohner durchgeführt und Verbesserungen an der Beleuchtung und den Warmwasserentnahmestellen umgesetzt.

Die Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt und das gewonnene Know-how aus Planung, Bau und Betrieb zeigen neben den Herausforderungen aber auch: Studentenwohnheime können im Sinne der Klimaneutralität zukunftssicher gestaltet werden. Allerdings muss die im Vergleich zu anderen Wohngebäuden besonders intensive Nutzung aufgrund der hohen Belegungsdichte berücksichtigt werden. Die in der Planung üblicherweise verwendeten flächenbezogenen Verbrauchswerte sind auf diese spezielle Nutzungsform nur bedingt anwendbar. Das erfordert besondere Maßnahmen zur Sensibilisierung der Bewohner und zur Reduzierung des Verbrauchs. Weiterer Forschungsbedarf besteht aus Sicht der Steinbeis-Experten vor allem darin, das Bewusstsein für das Konsumverhalten der Bewohner zu erhöhen, Funktionen und Betriebsarten für eine standardisierte Umsetzung vorzubereiten und die Marktakzeptanz durch evaluierte Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu steigern.


Weitere Details zum Forschungsprojekt finden Sie unter https://tinyurl.com/2qxx9bu6



 

Kontakt

Leonie Nietfeld (Autorin)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (Stuttgart)
www.steinbeis.de/su/1725
www.siz-energieplus.de

Dr.-Ing. Christian Kley (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (Stuttgart)
www.steinbeis.de/su/1725
www.siz-energieplus.de

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