Problemlose Nutzung des Rollators auf Schotteruntergrund und über Bordsteinkanten.

Mobil bleiben – auch im Alter

Reiser AG Maschinenbau und Steinbeis-Experten entwickeln Rollator mit elektrischem Antrieb

Der demographische Wandel führt zu einem Altern der Gesellschaft, dadurch wird das Thema Altersmobilität immer wichtiger. Das Steinbeis- Transferzentrum Verfahrensentwicklung in Reutlingen hat zusammen mit der Reiser AG Maschinenbau aus Veringenstadt und weiteren Partnern einen leicht adaptierbaren elektrischen Zusatzantrieb für Rollatoren entwickelt, um die Mobilität im Alter zu steigern und damit eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.

Rollatoren sind Gehhilfen für ältere oder behinderte Menschen, die in der Wohnung und im Außenbereich zum Einsatz kommen. Medizinisches Einsatzkriterium ist die Unterstützung des Gleichgewichtsvermögens unter der Bedingung ausreichender physischer und mentaler Leistungsfähigkeit. Immer mehr Menschen nutzen Rollatoren, was die Ansprüche an die Mobilität steigert.

Bei den momentan handelsüblichen Rollatoren handelt es sich in der Regel um ein Metallgestänge, an das drei oder vorzugsweise vier Räder befestigt sind, von denen meist zwei Stützräder starr angeordnet sind, die anderen dienen als vordere Lenkräder. Am oberen Ende des Metallgestells befinden sich ein Stützbügel oder zwei getrennte Stützgriffe sowie Klemmhebel zum Bedienen von Bremshebeln und Feststellbremsen an den starren Rädern.

Der große Nachteil aller bisher bekannten Rollatoren ist, dass im Falle von Untergrund-Widerständen (beispielsweise Kopfsteinpflaster) oder steilen Bergauf-Bewegungen die Schiebekraft für die ohnehin behinderte oder leistungsgeminderte Person sehr hoch oder die Bewegungsmöglichkeit gänzlich verhindert wird. Darüber hinaus spielt noch ein ganz anderer Aspekt eine große Rolle: REHA-Experten sind der Meinung, dass eine Wiederherstellung von Gelenksfunktionen mit geringer Muskelkraft von großem therapeutischem Vorteil ist, und dass Patienten nach Knieund Hüftoperationen es als angenehm empfinden, wenn die ersten Gehversuche ohne größere Kraftanstrengungen erfolgen können. Dies wird durch den von Steinbeis-Experten mitentwickelten elektrischen Zusatzantrieb möglich. Zur späteren Leistungssteigerung braucht man ihn nicht zu aktivieren.

Einsatztests mit den bisherigen konventionellen Rollatoren hinsichtlich der Geländegängigkeit zeigten einen weiteren gravierenden Nachteil. Alle bisherigen drei- oder vierrädrigen Rollatoren haben einen gefährlichen Konstruktionsmangel, der dazu führt, dass sie kippen: insbesondere beim Fahren über Bordsteinkanten. Der Effekt ist bekannt, vierbeinige Bürostühle können kippen, die fünfbeinigen nicht. Deshalb wird beim neuen Rollator mit der Handelsbezeichnung „e-buddy“ ein fünftes Rad, das zugleich das elektrisch angetriebene Zusatzrad ist, angebaut. So wird eine mögliche Kippachse vermieden, die Unfallgefahr ist somit gebannt.

Das Ziel der Projektpartner war es, möglichst alle handelsüblichen Rollatoren mit einem elektrisch angetriebenen Zusatzrad auszustatten, und zwar mit einfachster Technik und zu einem niedrigen Preis. Hierzu erfolgte zunächst eine Recherche und Analyse, strikt nach den Kriterien Fest-, Mindest- und Wunschanforderungen, unter dem zentralen Gesichtspunkt eines Nutzers mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Dabei hat die Funktionssicherheit höchste Priorität, selbst im Falle von Fehlbedienungen darf nichts passieren. Interessant war die erstrangige Wunschforderung der älteren Benutzer: Keine Elektronik und kein Over- Engineering, wie es heutzutage manchmal vom Automobil bis zu Geräten des täglichen Bedarfs üblich ist.

Das Projekt-Team legte großen Wert auf die Praxisnähe seiner Untersuchungen. Die Ergebnisse der durchgeführten Benutzerbefragung flossen daher ganz wesentlich in die Konzeption des Rollators ein:

  • Der Zusatzantrieb mit Batterie und Steuerungskasten wird tief gelegt, zwischen den beiden Lenkrädern untergebracht und mit Hilfe eines Tragrohrs mit dem vorhandenen Rohrrahmen des Rollators verbunden. Damit wird das Sicherheitsprinzip des „fünfbeinigen Bodenkontakts“ gewährleistet.
  • Konzeptionell werden nur wenige Bauteile benötigt und so ein geringes Gewicht von 6,9 kg erzielt, wobei der Großteil auf die Batterie entfällt.
  • Der gesamte Zusatzantrieb lässt sich mittels Kupplungselemente ohne Werkzeuge vom Rollator trennen und wie üblich für den Pkw- Transport zusammenfalten.
  • Mit Hilfe der im 3D-Druck hergestellten Kupplungselemente ist der Zusatzantrieb an alle handelsüblichen Rollatoren adaptierbar. Für die leichtere Montage sind die Kupplungselemente mit selbstzentrierenden Wirkflächen ausgestattet.
  • Der Benutzer kann den Rollator wie bisher auch ohne zugeschalteten Zusatzantrieb bewegen. Bei Talfahrt liefert dieser eine geringe Bremswirkung.
  • Der Rollator überwindet aufgrund der „ziehenden“ Funktion problemlos Bordsteinkanten.
  • Die Bedienung des Rollators ist denkbar einfach: Ein- oder Ausschalten über einen Knopf am Rollatorgriff, mit Daumenschalter am gleichen Griff die Vorschubgeschwindigkeit stufenlos regeln, Rückstellung selbsttätig. Die Bedienelemente können rechts oder links angebracht werden.
  • Die Batterie wird über einen Stecker am Griff geladen. Der Ladezustand wird mittels LEDs grün, gelb, rot angezeigt. Die Betriebsdauer beträgt je nach Geländeformation 2 bis 4 Stunden, die Ladezeit der Batterie 3 bis 6 Stunden.

Der neue Rollator stellt für die Reiser AG Maschinenbau, die bisher schwerpunktmäßig hochwertige Maschinenbaugruppen herstellte, eine wichtige Diversifikationsmaßnahme dar. Die Serienproduktion ist angelaufen und Schutzrechte wurden angemeldet. Das Entwicklungsvorhaben diente zugleich als Beispielprojekt für die neue Strategie Industrie 5.0: Sie ist durch die Simplifizierung der Funktion auf einfachste Technik, einfachste Bedienung und niedrige Herstellkosten gekennzeichnet.

Kontakt

Prof. Karl Schekulin leitet das Steinbeis-Transferzentrum Verfahrensentwicklung. Das Leistungsangebot des Steinbeis-Unternehmens umfasst technologisches Krisenmanagement, Beratung und Innovationsunterstützung, angewandte Forschung und Entwicklung, konstruktionssystematische Produktentwicklung sowie den Bau und die Erprobung von Prototypen. Karl Schekulin erhielt für seine Steinbeis- Leistungen im Wissens- und Technologietransfer den Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis 2016.

Professor Karl Schekulin
Steinbeis-Transferzentrum Verfahrensentwicklung (Reutlingen)

Reiser AG Maschinenbau (Veringenstadt)