Steigerung der betrieblichen Resilienz mit Simulationstools
Die Corona-Pandemie, der Zusammenbruch von Lieferketten, eine galoppierende Inflation oder die derzeitige Energiekrise: Unternehmen erleben stürmische Zeiten, ihr Überleben hängt unter anderem von einem professionellen Liquiditätsmanagement ab. Im vorigen Beitrag haben wir den Einsatz von Simulationstools im technischen Bereich gezeigt (siehe Beitrag S. 42 ff.), Simulationstools können aber auch dabei helfen, Liquiditätsprobleme rechtzeitig zu identifizieren und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Professor Dr. Alexander Baumeister, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Innovationszentrum Saarbrücker Förderinstitut für Controlling-Innovationen und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes, gibt für die TRANSFER einen Überblick über die Vorteile dieser Instrumente.
Die Flexibilisierung des Kurzarbeitergelds, steuerliche Liquiditätshilfen oder der erleichterte Kreditzugang waren Elemente des „Schutzschild“-Maßnahmenpakets der letzten Bundesregierung, um die Existenz von Unternehmen in der Corona-Pandemie unter anderem durch Liquiditätsbereitstellung zu sichern. Gegenwärtig wird mit dem „Abwehrschirm“ gegen die Energiepreisexplosion ein weiteres Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, das Unternehmen Liquiditätshilfen verspricht. Die Situation scheint also angespannt, im August 2022 erreichte der Anstieg der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte mit 45,8 % zum Vorjahr einen Rekordwert. Vielen Unternehmen droht daher eine Liquiditätsklemme: Ihre Beschaffungskosten explodieren, ohne dass sie dies in ihrer Preissetzung schnell genug an ihre Kundschaft weitergeben können. Eine fundierte Liquiditätsplanung ist daher unabdingbar, um rechtzeitig existenzbedrohende Liquiditätsengpässe erkennen und Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Auch im Klein- und Mittelbetrieb hilft dabei der Einsatz von Simulationsrechnungen, die Gegenstand des von der Staatskanzlei des Saarlandes geförderten Projekts InsoKURZ zur Entwicklung eines Simulationstools für die Insolvenzprognose waren, das von den Experten der Universität des Saarlandes und des Steinbeis-Innovationszentrums Saarbrücker Förderinstitut für Controlling-Innovationen realisiert wurde.
Frühzeitige Antizipation von Liquiditätsproblemen steigert Resilienz
Eine Erhöhung der betrieblichen Zahlungsmittel wird im Regelfall mit (Opportunitäts-)Kosten einhergehen: Verkürzte Kundenzahlungsziele können den Absatz belasten, die Einräumung eines Skontos als Anreiz zur schnelleren Rechnungsbegleichung geht mit Erlösschmälerungen einher und Sale-and-Lease-Back oder Forderungsverkauf führen zu entsprechenden Leasing- oder Factoringgebühren, um einige Beispiele zu nennen. Umgekehrt müssen die geplanten Zahlungsmittelbestände so bemessen sein, dass es (möglichst) nicht zu einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit nach § 17 (18) der Insolvenzordnung (InsO) kommt. Eine optimale Abstimmung der geplanten Zahlungsmittelbestände auf die Fälligkeitsstruktur von Verbindlichkeiten ist daher von existenzieller Bedeutung. Je früher in der betrieblichen Liquiditätsplanung mögliche Unterdeckungen antizipiert werden, desto mehr Vorlaufzeit bleibt für das Ergreifen notwendiger Anpassungsmaßnahmen. Eine entsprechende Planungsunterstützung steigert also direkt die betriebliche Resilienz.
Simulationstools helfen bei der Liquiditätsplanung
Künftige Aus- und Einzahlungen sind stets risikobehaftet, Ursachen können zum Beispiel Wechselkursschwankungen, Rohstoffpreisänderungen oder ein verändertes Zahlungsverhalten von Kunden sein. Die oft im Klein- und Mittelbetrieb aus Aufwandsgründen verwendete Liquiditätsplanung auf Basis erwarteter oder wahrscheinlichster Werte ist kritisch, da sie das Risiko weitgehend ausblendet und die Unternehmung daher einer wertvollen Steuerungsinformation beraubt. Zwar ist für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 InsO zu prüfen, ob Liquiditätsreserven und entstehende Überschüsse aus dem operativen Geschäft vorhandene Zahlungsverpflichtungen überwiegend wahrscheinlich abdecken [1], in die Liquiditätsplanung sollten jedoch auch künftige Zahlungsverpflichtungen sowie die Wahrscheinlichkeit möglicher Unterdeckungen eingehen, um entscheiden zu können, ob Erfolgspotenzial zugunsten der Liquiditätssicherung aufgegeben werden soll. Eine Simulationsrechnung bietet hierfür eine geeignete Informationsgrundlage: Unterschiedliche Prognoseannahmen zu den betrieblichen Zahlungsströmen lassen sich flexibel erfassen und selbst mit gängiger Anwendungssoftware auswerten. Sie vermittelt dem Nutzer ein Bild über die Liquiditätsentwicklung im Zeitablauf und unterlegt dieses mit Wahrscheinlichkeiten. Verdichtet man die Simulationsergebnisse, lassen sich Aussagen etwa über drohende Zahlungsengpässe und notwendige Planänderungen gewinnen.[2]
Mit Simulationsrechnungen Liquiditätsmaßnahmen beurteilen
Erfolgsbeiträge für eine höhere Liquiditätsvorhaltung aufzugeben empfiehlt sich nur, wenn dem eine entsprechende Verringerung in der Wahrscheinlichkeit von Liquiditätsengpässen gegenüber-steht. Wie bei jeder Art von Versicherung hat der Entscheidungsträger die Absicherungsprämie der Risikoreduktion gegenüberzustellen, um nach seiner Risikoeinstellung Maßnahmen abwägen zu können. Hierzu sind jedoch fundierte Wahrscheinlichkeitsprofile der Anpassungsalternativen nötig, die selbst im Klein- und Mittelbetrieb mit Simulationsrechnungen etwa in Microsoft Excel gewonnen werden können.[3] Grundlage der Gestaltung des Simulationsmodells ist eine klassische Liquiditäts- beziehungsweise Finanzplanung, wie sie im Betrieb ohnehin vorliegen sollte. Falls bislang – wie häufig im Klein- und Mittelbetrieb – kein ausgeprägtes Risikomanagement vorliegt, ist besonderes Augenmerk auf eine fundierte Auswahl relevanter Risikofaktoren zu legen. Hier ist mitunter ein Kompromiss aus Realitätsnähe der Modellierung und leistbarem Rechenaufwand erforderlich. So wird es bereits eine deutliche Verbesserung zu einer rein deterministischen Liquiditätsplanung sein, wenn beispielsweise anstelle beschaffungsmaterialspezifischer Risikoprognosen zumindest eine aggregierte für einzelne Materialgruppen oder die gesamten Materialausgaben getroffen wird. Bei der Anlage des Simulationsmodells sollte darauf geachtet werden, dass zu prüfende Anpassungen der Liquiditätsentwicklung, etwa die Ausnutzung von Zahlungszielen unter Verzicht auf Skontoabzug, flexibel erfassbar sind. Bereits in Standardsoftware wie Microsoft Excel lassen sich aus dem Vergleich der Kennwerte für die Simulationsergebnisse unterschiedlicher Anpassungsmaßnahmen die für die Risikoneigung der Entscheidungsträger passenden auswählen.
Die Abbildung oben zeigt beispielhaft eine simulierte Liquiditätsentwicklung eines Klein- und Mittelbetriebs auf Sicht eines Jahres in monatlicher Detaillierung. Lässt man die in der Simulation errechneten maximalen und minimalen monatlichen Liquiditätssalden anzeigen, erhält man einen Szenariotrichter, der im Worst-Case-Szenario ab August eine Unterdeckung befürchten lässt. Da der Erwartungswert positiv ist, hängt es von der Risikoeinstellung ab, ob antizipativ gegengesteuert werden soll. Das vorliegende Beispiel zeigt die Auswirkung einer Ausnutzung von Zahlungszielen unter Verzicht auf Skontoabzug: Der positiven Veränderung dieser Anpassungsmaßnahme auf die Liquiditätsunterdeckung steht eine Einbuße im erwarteten Liquiditätssaldo gegenüber. Ob diese sinnvoll ist, kann der Entscheidungsträger nur durch Auswertung der in der Simulationsrechnung erzeugten Risikoprofile beurteilen. Dem einmaligen Aufwand zur Einführung einer simulationsgestützten Liquiditätsplanung steht damit ein hoher dauerhafter Nutzen gegenüber.
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Alexander Baumeister (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum Saarbrücker Förderinstitut für Controlling-Innovationen (saar#cinnovation) (Saarbrücken)