Systemische Ansätze für ein ressourcenschonendes Wirtschaften
Mit dem „Green Deal“ nimmt sich die EU Großes im Hinblick auf die Nachhaltigkeit vor: Bis 2050 wollen die Mitgliedsstaaten klimaneutral sein. Ein wichtiger Baustein dabei ist die Kreislaufwirtschaft – Abfälle werden wieder zu Wertstoffen. Das klingt gut, doch in der Regel ist dazu ein Umwandlungsschritt notwendig. Zu Wertstoffen werden Abfälle erst dann, wenn sie einfach und günstig aufbereitet und zu einem Produkt veredelt werden können. Inwieweit Abfall auch einen Wertstoff darstellt, hängt entscheidend von der Qualität der Abfallstoffe und deren Veredelbarkeit ab. Das Steinbeis-Transferzentrum Ressourcen-Technologie und Management in Halle arbeitet an Fragestellungen rund um Recycling, nachwachsende Rohstoffe und regenerative Energiesysteme.
In einer tatsächlichen Zero-Waste-Strategie muss die Entwicklung und Produktion von Gütern schon die Verwertbarkeit nach der Nutzung im Auge haben. Der Aufwand der Wiederaufbereitung muss abschätzbar sein und ins Produktdesign einfließen. In Deutschland fordert das Verpackungsgesetz ab 2022 eine Recyclingquote für Verpackungskunststoffe von 63 %. Derzeit werden aber immer noch mehr als die Hälfte aller gesammelten Kunststoffabfälle energetisch verwertet oder exportiert. Konkret bedeutet dies, dass rund 5,35 Mio. t/a Post-Consumer-Kunststoffabfälle gesammelt werden [1]. 2,06 Mio. t/a werden einer stofflichen Verwertung zugeführt. Diese Menge wird jedoch noch nicht stofflich genutzt. Nach Exporten ins Ausland mit zum Teil unsicherem Verbleib gehen 1,33 Mio. t/a der Post-Consumer-Abfälle in Recyclingbetriebe, die daraus 1,02 Mio. t/a Rezyklate (Stoffe oder Gegenstände aus recycelten Materialien) herstellen. Besonders positiv ist hier das PET-Flaschenrecycling hervorzuheben. Weil die Flaschen über den Handel sortenrein gesammelt werden, können diese zu fast 100 % zu Rezyklaten verarbeitet werden. Gleiches gilt für Post-Industrial-Abfälle (z. B. Verschnitt aus der Produktion), wodurch weitere 0,93 Mio. t Rezyklate verfügbar sind. Derart hohe Recyclingquoten wie für reine Abfallströme aus dem PET-Flaschenrecycling sind bei den meisten Post-Consumer-Abfällen, wie etwa Verpackungsabfälle aus der Gelben Tonne, unmöglich [1].
Sehr viele Verunreinigungen aus dem Gebrauch, der Sammlung oder der Kunststoffzusammensetzung bilden ein unüberschaubares Stoffgemisch, das die Herstellung von definierten, sortenreinen Rezyklaten erschwert. Der Sortier- und Reinigungsaufwand sowie die Menge der nicht stofflich verwertbaren Sortierreste ist hoch. Als Produkte für die so gewonnenen Rezyklate kommen bestimmte Anwendungsbereiche wie Verpackungen, die in Kontakt mit Lebensmitteln kommen, oder Produkte mit hohen technischen Anforderungen und Gewährleistungsgarantie nur selten infrage. Als Ausweg wird derzeit das chemische Recycling gesehen. Verunreinigte Kunststoffabfälle sollen so wieder zu Kunststoffneuware verarbeitet werden. Auch wenn es noch keine Berücksichtigung dieser Variante bei der Recyclingquote nach dem Verpackungsgesetz gibt, versuchen international viele Unternehmen thermochemische Verfahren zu etablieren.
Ist das chemische Recycling also eine Universallösung?
In einer von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Studie gingen die Hochschule Merseburg und das Steinbeis-Transferzentrum Ressourcen-Technologie und Management dieser Frage nach. Das Projektteam untersuchte für zwei Verfahren, inwieweit diese auch mit realen Abfällen gute Produkte liefern. Dabei zeigten sich enorme technologische Herausforderungen. Unter anderem stören Ablagerungen jeglicher Art, Korrosion und die Aufbereitung der Abfälle. Der Aufwand ist im Vergleich zum mechanischen Recycling deutlich höher und das technische und kaufmännische Risiko darf nicht unterschätzt werden. Versuche zeigten, dass bereits geringe Mengen an Verunreinigungen den chemischen Recyclingprozess stark beeinflussen können, wodurch die Wirtschaftlichkeit für den Betrieb einer Anlage mit thermochemischer Umsetzung gefährdet ist [2]. Das bedeutet, dass neben robusten, technischen Verfahren auch die Zusammensetzung der Kunststoffabfälle eine entscheidende Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg und die effiziente Etablierung einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft spielt. Genauso wie sortenreine Kunststoffabfälle ein gutes werkstoffliches Recycling zur Herstellung von hochwertigem Regranulat erleichtern, ermöglichen definierte Kunststoffabfallfraktionen beim chemischen Recycling eine effiziente Betriebsweise.
Die Verfügbarkeit möglichst reiner Kunststoffabfallströme für das mechanische und chemische Recycling kann gesteigert werden, wenn Produkte nach Designrichtlinien, die ein effizientes Recycling ermöglichen (Design for Recycling [3, 4]), produziert und spätere Abfälle möglichst umfassend und sortenrein erfasst sowie sortiert werden. Darüber hinaus können weitere Maßnahmen dazu beitragen, eine Circular Economy zu fördern (z.B. [5,6]).
Das Ergebnis der Studie überraschte das Steinbeis-Team nicht und kann für ein ressourcenschonendes Wirtschaften verallgemeinert werden. Wer zu Hause Ordnung hält und Dinge sauber und getrennt aufbewahrt, muss weniger Aufwand betreiben sie zu suchen und zu reinigen. Ist alles leicht voneinander unterscheid- und trennbar, dann reicht im Idealfall ein Griff aus, um Sachen wieder zu nutzen. Dieser banale, aus dem täglichen Leben gegriffene Vergleich hat eine enorme Bedeutung für den Aufbau einer Circular Economy. Zugunsten einer hohen Recyclingquote müssen gegebenenfalls bestehende Produkt- und Prozessanforderungen, wie optisches Erscheinungsbild, Funktionalitätsanspruch, Kostenoptimierung beim Herstellungsprozess oder das bequeme Alles-in-eine-Tonne-Entsorgen, angepasst werden.
Grundsätzlich gilt:
- Je einfacher ein Produkt aufgebaut ist (aus wenigen Komponenten und Stoffen) und je einfacher die Produkte sortenrein in ihre Bestandteile aufgetrennt werden können, desto einfacher können sie mit wenig Aufwand gereinigt, getrennt und wiederverwendet werden.
- Je höher die Qualität der Abfälle, desto besser kann der Restwert durch Wiederverwertung erhalten bleiben. Die Wiederverwertung, wie durch Reparatur und Mehrwegpfandsysteme, ist dabei einem Recycling vorzuziehen (Abfallhierarchie).
- Je einfacher der Verbraucher Abfälle unterscheiden und entsorgen kann und je mehr Anreize bestehen, dies richtig zu tun (Geld zurück), desto geringer sind Fehlwürfe und illegale Entsorgung.
- Je sortenreiner gesammelt und/oder sortiert wird, desto einheitlichere Materialien können aufbereitet, gehandelt und den Recyclern und Verarbeitern zur Verfügung gestellt werden, sodass sich Stoffkreisläufe etablieren können.
Recycling- und Produktionsbetriebe können so sicher auf eine breite und definierte Materialauswahl zurückgreifen, um daraus wieder recyclinggerechte Produkte herzustellen, so wie es beim PET-Flaschenrecycling im Wesentlichen schon der Fall ist. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft!
Zum Weiterlesen
Im Rahmen der Studie für die DBU haben die Hochschule Merseburg und das Steinbeis-Transferzentrum Ressourcen-Technologie und Management in der Steinbeis-Edition Empfehlungen für den Ansatz des chemischen Recyclings veröffentlicht:
Mathias Seitz, Valentin Cepus, Markus Klätte, Dirk Thamm, Martin Pohl
Evaluierung unter Realbedingungen von thermisch-chemischen Depolymerisationstechnologien (Zersetzungsverfahren) zur Verwertung von Kunststoffabfällen
2020 | E-Book (pdf) | ISBN 978-3-95663-234-1 | kostenfrei
Erhältlich auf www.steinbeis-edition.de/shop
Kontakt
Prof. Dr.-Ing. Mathias Seitz (Autor)
Freier Projektleiter
Steinbeis-Transferzentrum Ressourcen-Technologie und Management (Halle)
www.steinbeis-rtm.com