Ein Standard macht’s möglich: klimaneutral bauen und sanieren

Steinbeis-Team entwickelt Systemstandards zur Umsetzung des „Green Deals“

In den letzten 30 Jahren hat sich beim energieoptimierten und ressourcenschonenden Bauen viel getan: Innovative Dämmprodukte bieten Effizienzpotenziale, ohne die Gestaltung einzuschränken. Beschichtete Verglasungen verringern die Wärmeverluste um mehr als 70 % und verbessern die Aufenthaltsqualität. Der technische Fortschritt macht Energieeinsparungen auch durch Hocheffizienzpumpen, LED-Beleuchtung und Gebäudeautomationssysteme möglich. Ganzheitliche Gebäudekonzepte führen diese einzelnen Bauteile energieoptimierter Gebäude durch den neuen Prozess der integralen Planung zusammen. Auch das Team am Steinbeis-Innovationszentrum energieplus hat schon in zahlreichen Demonstrationsgebäuden gezeigt, dass mit diesen neuen Lösungen hocheffiziente Gebäude umgesetzt werden können.

Die Herausforderung: Von der Nullserie in die Massenfertigung (Quelle: synavision GmbH und Steinbeis-Innovationszentrum energieplus)

 

Die große Herausforderung heißt jetzt von Einzel- und Demonstrationsprojekten zur seriellen Umsetzung in großer Stückzahl zu gelangen. Die Europäische Union hat sich mit ihrem „Green Deal“ zum Ziel gesetzt, ihren Gebäudebestand bis 2050 klimaneutral umzugestalten. Dazu müssen nahezu alle Bestandsgebäude in Europa innerhalb von 30 Jahren saniert oder signifikant modernisiert und anschließend optimal betrieben werden. Dies bedeutet eine Steigerung der aktuellen Sanierungsrate von rund 1 % auf mindestens 3 % des Gebäudebestandes pro Jahr – eine Verdreifachung der „Produktion“! Dabei sollte die Sanierung nach Möglichkeit Vorrang vor Abriss und Neubau haben, denn Neubauten müssen zusätzlich zum Betrieb auch immer noch den primärenergetischen Aufwand für ihre Erstellung kompensieren. Auch die Infrastruktur zur Energieversorgung wird ihren Beitrag leisten und dekarbonisiert werden müssen.

Lösungsansatz Standardisierung

Neben der Leistungssteigerung für eine beschleunigte Umsetzung muss jedoch auch die Qualität der Umsetzung massiv verbessert werden. Denn in der praktischen Anwendung der nachhaltigen Konzepte zeigt sich, dass Komplexität und Sensitivität energieoptimierter Gebäude zunehmen und wie anfällig sie für Qualitätsdefizite in Planung, Errichtung und Betrieb sind. Um die Lösungen erfolgreich zu skalieren, müssen nach den Einzelprojekten mit Demonstrationscharakter jetzt Konzepte für die Serienproduktion entwickelt werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Energieverbrauchsreduzierung und Emissionsminderung auch bei hoher Stückzahl und unter Beibehaltung der funktionalen Qualitäten erreicht werden.

Mit dem Forschungsprojekt „Förderzentrum auf der Bult“ haben das Steinbeis-­Innovationszentrum energieplus und die Region Hannover im Vorgriff auf die Vorgaben der EU-Richtlinie 2010/31/EU zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden Standards für Nearly-Zero-Energy-Gebäude entwickelt. Ziel war nicht das experimentelle Erproben neuer Technologien in einem Leuchtturmprojekt, sondern die Entwicklung von Standards, die es öffentlichen Bauherren ermöglichen soll, nachhaltige Neubauten und Sanierungen in den erforderlichen Stückzahlen erfolgreich umzusetzen. Die Region Hannover überträgt damit technologische Innovationen für die Transformation zu einem klimaneutralen Gebäudebestand konsequent in die notwendigen politischen Rahmenbedingungen.

Im Projekt wurden zuverlässige und wirtschaftlich skalierbare Systemstandards sowie ein darauf abgestimmtes Qualitätsmanagement für die Einführung von Nearly-Zero-Energy-Gebäuden als neuer Gebäudestandard der Region Hannover entwickelt und am Beispiel des Förderzentrums auf der Bult demonstriert. Eine gute Handhabung der Arbeitsunterlagen in der Baupraxis hatte dabei hohe Priorität. Die Potenziale der Standardisierung für Bauherren sind vielversprechend:

  • besseres technisches Verständnis auf Seiten der Bauverwaltungen
  • interne und externe Wissens­konsolidierung und Wissenstransfer
  • Konkretisierung der Anforderungsprofile für Architekten und Fachplaner
  • beschleunigte und qualitäts­gesicherte Projektbearbeitung
  • standardisierte Prüfprozesse, weniger „Nachweis-Bürokratie“
  • geringere Kosten
  • bessere Gebäudeperformance
  • zufriedenere Nutzer
  • höhere „Schlagzahl“ bei der Transformation des Gebäudebestandes

Die letzten Arbeitsschritte des Projekts fielen zusammen mit der Veröffentlichung des „Green Deals“ der Europäischen Union und den ersten Entwürfen für die EU-Taxonomie. Die Politik setzt damit den Rahmen für den umfassenden nachhaltigen Umbau des europäischen Gebäudebestands. Die Ergebnisse dieses Projekts können ein Baustein für die ambitionierte praktische Umsetzung insbesondere im öffentlichen Bauen sein.

Die Transformation nimmt Fahrt auf

Als nächsten Schritt der Transformation in Richtung eines klimaneutralen Gebäudebestands haben das Steinbeis-­Inno­vationszentrum energieplus und die Klima­schutz- und Energieagentur Niedersachsen in Zusammenarbeit mit der Region Hannover und zahlreichen anderen Kommunen und Städten in Niedersachsen im Februar 2021 das Folgeprojekt zur Entwicklung eines Anwendungswerkzeugs für die technischen Standards und das Qualitätsmanagement für öffentliche Bauverwaltungen gestartet: Im Mittelpunkt des Projekts „Starke Bauherren – Gute Gebäude“ steht der Bauherr als starker und kompetenter Auftraggeber und „Besteller“ von Gebäuden auf der Grundlage der von ihm definierten Standards. Das Projekt stößt auf außerordentlich großes Interesse bei öffentlichen Bauherren. Der große Zuspruch bestärkt das Steinbeis-Team in der Anwendung technischer Standards und effektiver Qualitätsmanagementprozesse für klimaneutrale Gebäude.


Das Projekt „Förderzentrum auf der Bult“ wurde gefördert im Rahmen der Forschungsinitiative Eneff.Gebäude.2050 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (FKZ: 03EGB0003A) sowie durch den proKlima-Fonds Hannover. Das Projekt „Starke Bauherren – Gute Gebäude“ wird gefördert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) (AZ: 37104/01) und durch den proKlima-Fonds Hannover. Weitere Infos unter www.starkebauherren-gutegebäude.de

Kontakt

Dr.-Ing. Stefan Plesser (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (Braunschweig)

Martin Laatsch (Autor)
Mitarbeiter
Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (Braunschweig)

Thomas Wilken (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (Braunschweig)

215405-81