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Der Weg zur Nachhaltigkeit: Herausfordernd, aber alternativlos

Die Zukunft unseres Planeten erfordert einen strukturellen, technologischen und geopolitischen Wandel

Die Brundtland-Kommission, benannt nach ihrer Vorsitzenden, der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, schuf 1992 einen heutigen Trendbegriff: Bei der damaligen Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro legte die Kommission ein Strategiepapier vor zur „nachhaltigen Entwicklung“ auf allen Ebenen der Gesellschaft – der Begriff der Nachhaltigkeit war geboren und überzeugend definiert: Eine nachhaltige Entwicklung ist eine soziale, ökonomische und ökologische Belange umfassende Entwicklung, die den Anforderungen der gegenwärtigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten und Bedürfnisse zukünftiger Generationen einzuschränken. Steinbeiser Prof. Dr.-Ing. Ferdinand Panik zeigt die damit verbundenen Herausforderungen auf.

Den Weg zur Nachhaltigkeit skizzierte die Kommission so einfach wie herausfordernd: Nötig sind ein Umstieg auf den Einsatz regenerativer Energiequellen und klimaneutrale Verwertungsprozesse. Angesichts des damit verbundenen umfassenden Technologie- und Strukturwandels war die Akzeptanz für den Brundtland-Ansatz zunächst gering. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Unternehmen erkannten, dass die zu bewältigende Technologiewende vielversprechende Chancen bietet. Der weltweite Wettbewerb um gute Ausgangspositionen im Bereich der Schlüsseltechnologien ist in vollem Gange, insbesondere in der Energie- und Automobilindustrie. Und er wird zügiger als erwartet zu emissionsfreien, hocheffizienten und klimaneutralen Systemen und Produkten innerhalb von einer bis maximal zwei Dekaden führen.

Strukturwandel und geopolitische Herausforderungen
Schwieriger und langwieriger wird sich vermutlich der Strukturwandel in den Kommunen gestalten. Notwendig sind neue Systeme der Energieerzeugung und des Energieimports sowie der Aufbau der benötigten Verteilernetze einschließlich dichter Tankstellennetze – und dies alles vor dem Hintergrund komplexer Genehmigungsverfahren und der notwendigen Zustimmung der betroffenen Bürger. Dabei ist die wesentliche Frage nach den zur Verfügung stehenden Mitteln und Finanzierungskonzepten noch nicht berücksichtigt. Will man Deutschland als Industriestandort weiterentwickeln, wird das nur möglich sein, wenn möglichst lange der Erfolg der traditionellen Technologien und damit die Finanzierung des Strukturwandels abgesichert wird und dabei gleichzeitig der Einstieg in neue Technologien zum Aufbau einer zukunftsfähigen industriellen Weiterentwicklung gelingt.

Dies alles geschieht dann vor dem Hintergrund eines weltweiten intensiven Wettbewerbs, der die traditionellen Industrieländer, aber gerade auch aufstrebende Regionen umfasst, die, ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen nehmen zu müssen, sich mit dem Einstieg in neue Technologien auf die Überholspur begeben. Deutschland hat auf dem Gebiet der nachhaltigen Energien (Sonne, Wasser- und Windkraft) und der benötigten Rohstoffe nur sehr begrenzte Ressourcen. Hier bahnt sich neben dem Struktur- und Technologiewandel ein geopolitischer Wandel an, der, wenn er intelligent und kooperativ umgesetzt wird, Hoffnung und Hilfe für viele ärmere Regionen verspricht. Anstatt die Rohstoffe auszubeuten, gilt es wesentliche Teile der Wertschöpfungsketten im Ursprungsland umzusetzen.

Ferner muss in diesen Ländern, die zumeist einen Überschuss an Sonne, Wind- oder Wasserkraft haben, zum Beispiel in Anlagen zur Wasserstofferzeugung und -verarbeitung investiert werden. Die Umsetzung des geopolitischen Wandels ist vermutlich die größte Herausforderung, aber der wohl wichtigste Schritt hin zu wirklichen Strategien für eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft.

Nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft
Wie die Wertschöpfung unter den Wirtschaftspartnern der neu zu strukturierenden Prozesse aufgeteilt wird, ist ein zentrales Thema in der Ausgestaltung einer nachhaltigen Wirtschaftsstruktur. Erste Überlegungen zur Versorgung Baden-Württembergs zeigen Ansätze für die Zukunft auf: Baden-Württemberg als Hochindustrieland wird auch zukünftig auf den Import von Energie angewiesen sein. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Rheintal, in dem von den großen Umschlaghäfen der Rheinmündung per Schiff, Pipeline, Güterbahn und Straße Waren und Güter in den Südwesten Deutschlands transportiert werden.

Der Hafen von Rotterdam gilt als Tor für die Energieversorgung Westeuropas, durch das jährlich 8.800 Petajoule Energie mit Schiffen an- und abtransportiert werden. Am Umbau des Rotterdamer Hafens zu einer Wasserstoffdrehscheibe für ab 2040/50 jährlich 20 Millionen Tonnen Wasserstoff wird seit fünf Jahren intensiv gemeinsam mit den Nutzern des Hafens gearbeitet. Daneben wurden auch potenzielle Kunden entlang des Rheins wie auch Erzeuger und Exporteure grünen Wasserstoffs in Übersee einbezogen. Das anspruchsvolle Ziel: ein kohlenstofffreier Rhein-Korridor. Im ersten Schritt wollen die Partner den Aufbau von Wasserstoff-Produktionsstätten entlang des Rheins zwischen Rotterdam und Köln vorantreiben. Bis 2025 soll deren Kapazität 1.950 Tonnen Wasserstoff betragen. Die Kosten pro kg importierten Wasserstoffs sollen bis 2030 am Anlieferungsort Rotterdam knapp über 2 Euro/kg liegen gegenüber rund 3 Euro/kg bei der Fertigung in Europa mit Offshore-Windkraft der Niederlande. Der Transport aus Übersee erfolgt per Schiff mit Ammoniak als Energieträger. Die reinen Transportkosten einschließlich der Wandlung und Rückwandlung des Wasserstoffs/Ammoniak-Prozesses sind mit 0,5 bis 0,6 Euro/kg Wasserstoff im Anlieferpreis enthalten.

Die Weiterverarbeitung des importierten Wasserstoffs erfolgt schwerpunktmäßig im industriellen Bereich. Der Energiekonzern Enertrag hat dieses Jahr die folgenden Zahlen für die zukünftig zu erwartenden Jahresumsätze veröffentlicht: Düngemittel 80 Mrd. Euro, Kraftstoffe für Flugzeuge 500 Mrd. Euro, Kraftstoffe für Transatlantikschiffe 259 Mrd. Euro, Stahlwerke 1.500 Euro. Für die Einsätze im Automobilbereich werden vor 2035 noch keine vergleichbaren Mengen erwartet.

Was wäre nun, wenn man in den Erzeugerländern wie Afrika und Südamerika in Produktionsanlagen für Düngemittel, synthetische Kraftstoffe für Flugzeuge und Lastschiffe und in Anlagen zur Stahlveredelung investieren würde? Man würde dann die Wertschöpfung in den Erzeugerländern deutlich erhöhen und so zur Schaffung nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen beitragen. Sicherlich würden sich auch die Gesamtkosten reduzieren, unter anderem durch den Ersatz des aufwendigen Transports des Wasserstoffs durch die traditionelle Güterverschiffung zur See.

Das gilt in gleicher Weise für die Ausbeutung der Rohstoffe. Die Lithiumgewinnung in den Anden und die Kobaltgewinnung in Zentralafrika sollten von Investitionen in Fertigungs- und Recyclinganlagen für Batteriekomponenten, Brennstoffzellen und Elektrolyseure begleitet werden. Statt sich über Kinderarbeit in den Minen der Rohstoffländer nur zu empören, stünden auf diese Weise die Mittel zum Aufbau von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zur Verfügung, die in diesen Regionen fehlen. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Schaffung einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft auf globaler Basis. Die Einbeziehung des Recyclings in diesen Prozess ist wegen der zumeist endlichen Rohstoffreserven wichtig und sollte weitestgehend in der Verantwortung der Förderländer bleiben, um so die Rohstoffversorgung aus deren Regionen langfristig sicherzustellen.

Regionale Konzepte einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft
Die Kosten von in Baden-Württemberg erzeugtem Wasserstoff hängen wesentlich von denen der für die Elektrolyse benötigten elektrischen Energie ab. Diese liegen in Baden-Württemberg deutlich höher als in den sonnenreichen Importländern. Um dennoch konkurrenzfähig zu sein, gilt es eine intelligente Vernetzung der Energienutzung in Form der Sektorenkopplung zu schaffen. Hier ist das Steinbeis-Transferzentrum EGS in Stuttgart erfolgreich aktiv, unter anderem in einem Wohnbauprojekt in der Esslinger Weststadt, das mit der Zielsetzung der Klimaneutralität und En­er­gieeffizienz wirtschaftlich betrieben wird. Elektrische Energie kommt sowohl über Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Wohnblocks als auch über das Management des Strombezugs aus dem Netz in Niedrigpreisphasen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Kraft-Wärme-Kopplung. Die Wasserstofferzeugung über Elektrolyse hat Wirkungsgrade von 60 bis 80 %. Die anfallende thermische Energie wird dem Wärmenetz der Wohnanlage zugeführt. Wasserstoff ist ein guter Langzeitspeicher von elektrischer Energie, die bei Bedarf über Brennstoffzellen wieder in Strom rückgewandelt und genutzt werden kann. Daneben gibt es Möglichkeiten der Sektorenkopplung mit mobilen Anwendungen, beispielsweise der Belieferung von Tankstellen von Brennstoffzellenfahrzeugen. Mit 4 Euro/kg Wasserstoff wäre man in diesem Sektor wettbewerbsfähig. Obwohl die Arbeiten in Esslingen noch nicht abgeschlossen sind, zahlt sich die Pionierarbeit des Stuttgarter Steinbeis-Teams bereits in Form von Folgeaufträgen von Land und Bund aus. Ziel ist es, nachhaltige Entwicklungen für den regionalen Bereich weiter voranzutreiben.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Ferdinand Panik (Autor)
Freier Projektleiter
Steinbeis-Transferzentrum Fahrzeugtechnik Esslingen (Waiblingen)
www.stz-fahrzeugtechnik.de

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