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Mehr Anstrengung, weniger Erfolg: Führen in Pandemiezeiten

Steinbeis-Studie untersucht, wie sich Teamarbeit und individuelle Leistung aktuell entwickeln

Umfragen im Auftrag des Robert Koch-Instituts zeigen, dass nach der Sorge um Ansteckung mit Corona nun inzwischen die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung unter den Befragten vorherrscht. Stimmungsbilder aus den Unternehmen sind widersprüchlich: Wirtschaftlicher Rückgang und teils willkommene Entschleunigung einerseits, steigende Leistungsanforderungen andererseits. In ihrer Studie zeichnen die Experten am Steinbeis-Forschungszentrum Management Analytics – Institut für Führung, Agilität und Digitalisierung und bei zeb.research ein objektives Bild darüber, ob Anforderungen aus Sicht der Unternehmen zu- oder abgenommen haben, um welche Aspekte es sich dabei handelt und welche Unternehmen mit mehr Erfolg und Widerstandskraft durch die Krise kommen.

Bisher gab es keine Studie, die die Veränderung der Anforderungen an Unternehmen durch die Corona-Pandemie mithilfe wissenschaftlich validierter Methoden erfasst und mit Erfolgsfaktoren in Zusammenhang bringt. Darüber hinaus gibt es im deutschsprachigen Raum bis dato keine Studie, die konkret auf individueller und Arbeitsteamebene die Auswirkungen des „Task loads“ sowie der Führungsarbeit auf die derzeitige Innovationsfähigkeit der Unternehmen erfasst. Dieser Herausforderung hat sich nun das Steinbeis-Team gestellt.

Systematische Untersuchung

Für ihr Luft- und Raumfahrtprogramm hat die NASA in den 1980er-Jahren ein Messinstrument zur Erfassung von Arbeitsbelastung entwickelt, den „NASA Task Load Index“ (TLX) (siehe https://go.nasa.gov/3d5BxVD), der heute weltweit in vielen Branchen eingesetzt wird. Dieser für Einzelpersonen entwickelte Test wurde in den letzten Jahren um eine Fassung für Teams erweitert.

Das Steinbeis-Projektteam hat auf Basis des TLX 176 Personen aus unterschiedlichen Unternehmen anonym dazu befragt, wie sie die mentale, körperliche und zeitliche Belastung vor und während der Corona-Pandemie einschätzen. Zusätzlich haben sie nach Faktoren gefragt, die laut wissenschaftlicher Metaanalysen erfolgreiche Teams auszeichnen (Fremdeinschätzung des Teamerfolgs), und wie erfolgreich sich die Teams selbst bewerten (Selbsteinschätzung des Teamerfolgs). Am Ende wurden Aspekte unterstützender Führung und soziodemografische Angaben erfragt.

Kernergebnisse

Bei der Analyse der Arbeitsanforderungen vor und während der Pandemie zeigt sich, dass die Arbeitsbelastung vor allem in der Teamarbeit steigt und teilweise auf individueller Ebene sogar sinkt. Die Innovationsfähigkeit steigt bei höherer Anstrengung, aber insgesamt bleibt es bei eher geringer Veränderung durch die aktuelle Krisensituation.

Verringerung vs. Anstieg der Arbeitsbelastung während der Corona-Pandemie (in % Veränderung) und Veränderung der Innovationsfähigkeit (in % vom Maximalwert).

 

Gute Führung scheint in einer Ausnahmesituation wie der momentanen eine Schutzfunktion zu haben. Wird die Führung als unterstützend bewertet, so verringert sich das Belastungserleben der Befragten, der Innovationserfolg verbessert sich jedoch nicht.

Gute Führungsbewertung führt zu geringem Belastungserleben (-10 %) aber nicht zu höherem Innovationserfolg (+2 %, in % Zustimmung).

 

Wie entwickeln sich nun aktuell individuelle und Teamanstrengung? Die Corona-Pandemie führt vor allem zu mehr Anstrengung in der Teamarbeit (79 %), aber auch zu stärkerem individuellem Einsatz (64%). Damit erlebt rund die Hälfte aller Befragten gestiegene Anforderungen gleichzeitig auf individueller und Teamebene (51%) und nur eine Minderheit eine echte Entschleunigung (8 %). Eine aus objektiven Erfolgskriterien und Selbsteinschätzung kombinierte Erfolgsbewertung zeigt: Doppelte Anstrengung erzeugt ein „Strohfeuer“. Nachhaltig, mit „ruhiger Kraft“ arbeitet nur eine Minderheit von 13 % mit erhöhtem individuellem Engagement und niedrigem Koordinationsaufwand.

Mehr Anstrengung führt nicht zu mehr Erfolg: Nur 13 % sichern hohes individuelles Engagement ohne Reibungsverluste im Team (in % Zustimmung, größenkorrigierte Werte).

 

Doppelte Anstrengung, das „Strohfeuer“, führt außerdem zu schlechteren Werten in fast allen Erfolgskategorien von Teamarbeit. Effektive Teams („ruhige Kraft“) zeigen vor allem Vorteile bei der Beteiligung der Mitarbeitenden und der Qualität der Arbeit. Zur idealen Erfolgskurve ist es noch ein weiter Weg: Innovation, Motivation und vor allem Kundenorientierung haben durch die Pandemie nachgelassen.

Mehr Anstrengung führt nicht immer zu mehr Erfolg: Individuelles Engagement erhöht den Erfolg, Anspannung im Team verringert ihn (in % Zustimmung, größenkorrigierte Werte).

 

Das ernüchternde Fazit, das das Steinbeis-Team aus den Umfrageergebnissen zieht: Führung engagiert sich in der Krise, verändert sich aber nicht, sondern arbeitet weiter nach „Schema F“. Viel Aufwand wird in die individuelle Unterstützung und zur Organisation der Arbeit aufgewendet. Zwar sinkt die empfundene Belastung, aber eine zukunftsgerichtete Verbesserung der Innovationsfähigkeit und der Teamarbeit fehlen. Schlimmer noch: Selbst bei gut funktionierenden Teams wird der Aufwand vor allem in die weitere Steigerung der Arbeitsqualität gesteckt. Innovationsbereitschaft, Arbeitsmotivation und vor allem Kundenorientierung fallen zurück.

Der Eindruck, dass es besser läuft als erwartet und die Produktivität teilweise wider Erwarten sogar steigt, beruht letztlich auf einem „Strohfeuer“: Für die meisten der befragten Unternehmen sind individuelle und Teamanstrengung gestiegen, das Leistungsniveau wird durch hohe, teils unproduktive Aufwände hochgehalten und in Arbeitsqualität, aber nicht in Erneuerung und Kundenorientierung gesteckt.


Die zentralen Aussagen der Studie

  1. Belastung („Task load“): Die Belastung im Team steigt stärker als die individuelle Belastung (79 % vs. 64 %). Zusätzliche Anstrengungen im Team beruhen auf steigendem Aufwand für Technik und Koordination.
  2. Innovationsfähigkeit: Die Innovationsfähigkeit steigt, sobald sich die individuelle Anstrengung erhöht. Die koordinativen Kosten im Team zehren diesen Vorteil wieder auf: Die Innovationsfähigkeit nimmt ab.
  3. Führungswirkung: Je besser die Führung bewertet wird, desto geringer wird die Belastung durch die Pandemiesituation bewertet. Die Innovationsfähigkeit erhöht sich aber durch gute Führung nicht.
  4. Belastung und Erfolg: In den meisten Unternehmen sind individuelle und Teamanstrengung gestiegen (51%) und werden vor allem in unproduktiven Koordinationsaufwand gesteckt. Nachhaltige Erfolgsvoraussetzung durch individuelles Engagement und funktionierende Teams haben nur 13 %.

Kontakt

Prof. Dr. habil. Joachim Hasebrook (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Forschungszentrum Management Analytics – Institut für Führung, Agilität und Digitalisierung (München)
www.management-analytics.de

Prof. Dr. Benedikt Hackl (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Forschungszentrum Management Analytics – Institut für Führung, Agilität und Digitalisierung (München)
www.management-analytics.de

Dr. Sibyll Rodde (Autorin)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin zeb.research
zeb.rolfes.schierenbeck.associates gmbh (Münster)

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