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Die Verpackung von morgen: Essen statt wegwerfen

Steinbeis-Experten initiieren ZIM-Netzwerkprojekt für essbare Lebensmittelbeschichtungen

Es geht nicht ohne: die Verpackung von Lebensmitteln. Zwar schützt sie ihren Inhalt und erhöht dessen Haltbarkeit, am Ende muss sie aber entsorgt werden, was die Umwelt stark belastet. Berücksichtigt man noch dazu die wachsende Weltbevölkerung und den dadurch steigenden Bedarf an Lebensmitteln sowie die gleichzeitige enorme Lebensmittelverschwendung, wird deutlich, dass wir umweltfreundliche Alternativen brauchen, die gleichzeitig die Haltbarkeit von Lebensmitteln erhöhen. Eine der möglichen Lösungen kann die essbare Verpackung sein. Hier setzt das von der Steinbeis 2i GmbH initiierte ZIM-Netzwerkprojekt an, mit dem Ziel, die optimale Rezeptur für essbare Beschichtungen zu entwickeln. Der Steinbeis-Experte Hartmut Welck erklärt, warum gerade die essbaren Verpackungen ein großes Potenzial besitzen und welche Herausforderungen bei der Projektumsetzung zu bewältigen sind.

In Deutschland werden Unmengen an Lebensmitteln weggeworfen: Laut des Thünen Instituts landen jährlich rund 12,7 Millionen Tonnen Essen im Wert von über 22 Milliarden Euro im Müll. Der Großteil der Abfälle entsteht mit 55 % (7 Mio. Tonnen) in privaten Haushalten. [1] Der größte Teil der vermeidbaren Lebensmittelabfälle in Privathaushalten entfällt auf Gemüse (26 %) und Obst (18 %), gefolgt von Backwaren (15 %) und Speiseresten (12 %). [2] Aktuelle Studien zeigen, dass eine Halbierung der Lebensmittelabfälle auf Einzelhandels- und Verbraucherebene bis 2030 (gemäß dem Ziel der Bundesregierung) die auf den Lebensmittelkonsum in Deutschland zurückzuführenden Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 2015 um 9,5 % sinken lassen würde. [1] Vor diesem Hintergrund ist es wichtig darüber nachzudenken, wie die Haltbarkeit von Lebensmitteln erhöht und damit der Anteil der Lebensmittelabfälle reduziert werden kann. Eine Möglichkeit hierfür bietet der Einsatz von neuen Verpackungen. Dazu kommt ein weiterer Aspekt, der die Notwendigkeit neuer Verpackungslösungen unterstreicht: das gestiegene Umweltbewusstsein der Verbraucher. Denn Kunden lehnen zunehmend die Kunststoffverpackungen von zum Beispiel Obst und Gemüse ab.

Essbare Verpackung: innovativ, umweltschonend, effizient
Verpackungen tragen wesentlich zur Haltbarkeit von Lebensmitteln bei, indem zum Beispiel Reifeprozesse und damit verbundene Qualitätsveränderungen verlangsamt werden. Um neue Verpackungslösungen – vor allem als Ersatz zu fossilen Verpackungen – zu finden, die über entsprechende Eigenschaften verfügen, müssen Alternativen entwickelt werden. Neben biobasierten und bioabbaubaren Verpackungen stellen essbare Verpackungen einen neuen, innovativen Ansatz dar. Durch die Beschichtung von Lebensmitteln mit essbaren funktionellen Überzügen wird erreicht, dass weniger Sauerstoff in das Innere gelangt und gleichzeitig weniger Feuchtigkeit entweicht. Auf diese Weise können die Zellatmung reduziert, der Reifeprozess herabgesetzt und damit die Produkte länger frisch gehalten werden.

Durch diesen Effekt kann auch fossile Verpackung eingespart werden. Hierfür stehen eine Reihe an natürlichen Roh- und Reststoffen zur Verfügung, mit denen verschiedene Schutzwirkungen erzielt werden können, wie zum Beispiel:

  • Chitosan von Schalen-/Krustentieren,
  • Alginat aus Algen,
  • Pflanzliche Fette (Lipide und Glycerolipide),
  • Pflanzliche Kohlenhydrate z. B. in Form von Fruchtzucker (Fruktose),
  • Tierische Proteine aus z. B. Milch­bestandteilen (Casein, Molke).

Neben diesem biologisch-funktionellen Schutz kann auch ein antimikrobieller Schutz durch natürliche Rohstoffe als Bestandteile einer Beschichtung erzielt werden, wie zum Beispiel bestimmte Inhaltsstoffe der Zitrone (wie Flavonoide), von Ingwer (wie Cineol) oder auch von Knoblauch, Pfeffer und Chili (wie Allicin) und ebenso durch Pflanzenextrakte, wie zum Beispiel von Traubenkernen. Dieser Aspekt gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund des zunehmenden Hygienebewusstseins der Bevölkerung an Bedeutung.

Um Verpackungen auch beim Transport zu reduzieren, können Lebensmittelbeschichtungen durch natürliche Ausgangsstoffe/Rohstoffe zusätzlich einen mechanischen Schutz vor Transportschäden (zum Beispiel durch natürliche Wachse, Harze etc.) erhalten.

Steinbeis-Experten setzen auf essbare Beschichtungen
Das Interesse des deutschen Lebensmitteleinzelhandels an solchen Lösungen zeigt sich an den ersten essbaren Beschichtungen, die beispielsweise bei Avocados von der US-amerikanischen Firma Apeel Science angeboten werden. EU- beziehungsweise deutsche Anbieter für solche Lösungen gibt es zurzeit noch nicht. Um dies zu ändern und eine deutsche Alternative für essbare Verpackungen als Beschichtung von zum Beispiel Obst und Gemüse mit den entsprechenden funktionellen Wirkungen anzubieten, wird gerade durch die Steinbeis 2i GmbH ein ZIM-Netzwerkprojekt aufgesetzt. Sein Ziel ist es, eine optimale Rezeptur zu entwickeln, die den lebensmittelzulassungsrechtlichen Voraussetzungen entspricht und eine verfahrenstechnische und kostengünstige Umsetzung ermöglicht. Zudem sollen das Bewusstsein und die Wertschätzung für Lebensmittel gesteigert und die Verbraucher über diese Innovation aufgeklärt werden, um eine entsprechende Verbraucherakzeptanz und Verhaltensänderung zu erreichen. Dadurch soll ein Beitrag zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und des fossilen Plastikaufkommens geleistet werden.


„Der Kunde soll organ­oleptisch und optisch nichts merken“

Im Gespräch mit Hartmut Welck, Senior Project Manager der Steinbeis 2i GmbH

Herr Welck, die Idee einer essbaren Verpackung ist an sich nicht neu, so entwickelte zum Beispiel das italienische Kaffeeunternehmen Lavazza bereits 2003 den „Cookie Cup“ für seinen Espresso. Aber bis jetzt fand diese Art von Verpackungen keine breite Anwendung. Woran lag es Ihrer Meinung nach und wie wollen Sie in dem von der Steinbeis 2i initiierten Projekt die Akzeptanz dafür schaffen?

Die Lebensmittelverschwendung ist derzeit ein großes Thema, allein in Deutschland werden rund 13 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich weggeworfen, das sind im Durchschnitt etwa 85 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf. Viele von den weggeworfenen Lebensmitteln sind aber weiter verwendbar, da oft nur das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder die Lebensmittel optische Fehler haben. Die weggeworfenen Lebensmittel haben zudem eine negative Implikation auf den CO2-Ausstoß.

Neben dem Ziel der Reduktion von Nahrungsmittelverschwendung, dem sich auch die Bundesregierung verpflichtet hat, hat sich aktuell eine klimafreundliche Ernährung – möglichst verpackungsarm/-frei – zu einem Trend entwickelt. Dies ist nicht mit 2003, als Lavazza die Idee des „Cookie Cups“ präsentierte, zu vergleichen. Nach einer Umfrage von Statista im Jahr 2017 wollen 87 % der Deutschen verpackungsfrei einkaufen, wenn es die Möglichkeit dazu gäbe.

An dieser Stelle kommen wir mit unserer essbaren Beschichtung ins Spiel: Sie soll zunächst für frisches Obst als geschmacksneutraler Überzug entwickelt werden und nur aus lebensmittelrechtlich zugelassenen natürlichen Inhaltsstoffen bestehen. Der Kunde soll also organoleptisch und optisch nichts merken.

Welche Chancen, aber auch Risiken bieten essbare Verpackungen?

Essbare Beschichtungen können einen großen Vorteil in Sachen Haltbarkeitsverlängerung, aber auch Reduktion von Verpackungsmaterial, zum Beispiel bei der Lagerung und beim Transport, bewirken. Die Risiken liegen eher bei der Verbraucheraufklärung, aber auch hier haben wir gute Argumente für essbare Beschichtungen. Wir wollen über eine Lebenszyklus-Analyse aufzeigen, wieviel CO2 eingespart worden ist.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?

Die größte Herausforderung liegt bei der Entwicklung einer optimalen Formulierung und des exakten homogenen Auftragens der essbaren Verpackung auf die unterschiedlichen Oberflächengegebenheiten. Ebenso müssen bisherige Verfahren der Beschichtung, wie zum Beispiel Spritz-/Sprüh-/Walz-/Tauchtechnik, auf die ausgewählten Medien angepasst beziehungsweise weiterentwickelt werden. Projekte in diesem Bereich benötigen daher immer einiges an Test- und Entwicklungsaufwand.

Kontakt

Hartmut Welck (Autor)
Senior Project Manager
Bioökonomie, Ernährung, industrielle Biotechnologie und Innovationsmanagement
Steinbeis 2i GmbH (Stuttgart)
www.steinbeis-europa.de


Quellen
[1] Thünen Institut, Lebensmittelverschwendung befeuert Klimawandel, Pressemitteilung vom 2.10.2019
[2] DLR, 2020, Lebensmittelverschwendung in Deutschland