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„Die Lebensmittelsicherheit sollte prioritär gewährleistet sein“

Im Gespräch mit Professor Dr. Christine Wittmann, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Transferzentrum Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion

Bio-Lebensmittel, Nudeln aus Insektenmehl oder Algenbier: Bevor wir neuartige Lebensmittel in den Ladenregalen finden, werden sie von Lebensmittelanalytikern genau unter die Lupe genommen. Welche Methoden die Wissenschaftler dabei einsetzen, welchen Einfluss die aktuellen und zukünftigen Ernährungstrends auf diesen Bereich haben und welche Aufgaben die Lebensmittelanalytik in Zukunft übernehmen wird – diese und weitere Fragen hat die TRANSFER Professor Dr. Christine Wittmann, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Transferzentrum Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion und Expertin für biochemische Schnelltests und Biosensoren, gestellt.

Frau Professor Wittmann, nachhaltig, gesund und für möglichst viele Menschen verfügbar soll die Ernährung der Zukunft sein und setzt dabei auf neue, unkonventionelle Nahrungsmittel wie Algenbrot, Insektenburger oder Steaks aus dem 3D-Drucker. Wie verändern diese Entwicklungen die Aufgaben der Lebensmittelanalytik?

Es gibt seit einigen Jahren zahlreiche Produktentwicklungen in der Lebensmittelindustrie, die sich zum Beispiel mit der Herstellung von Algenbier oder Nudeln aus Insektenmehl beschäftigen. Gleichzeitig hat der 3D-Druck, wie Sie erwähnt haben, auch Einzug in die Lebensmittelherstellung gefunden, allerdings in erster Linie bei Süßwaren. Dort existieren mittlerweile auch entsprechende Angebote für Verbraucher, um beispielsweise die eigenen Weingummi-Formen mit einem eigenen 3D-Drucker zu gestalten. Hinsichtlich der Rohstoffe, die bei der Lebensmittelherstellung zum Einsatz kommen, zeichnen sich gleich mehrere Trends ab: Vegane und vegetarische Lebensmittel sind zunehmend beliebt, so konnten sich zum Beispiel vegane und vegetarische Wurstwaren gut etablieren. Bei einer rein vegetarischen oder veganen Ernährung spielen vor allem der Vitamingehalt, bedingt durch den Mangel an Vitamin B12 in pflanzlicher Rohware, und auch eine potenzielle Unterversorgung an essenziellen Spurenelementen eine wichtige Rolle. So können unter anderem Algen wie die Spirulina-Alge einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen und gesunden Ernährung leisten, denn sie enthält Makro- und Mikronährstoffe sowie zusätzlich auch weitere Inhaltsstoffe wie Phycocyanine, die eine leuchtend blaue Einfärbung von Lebensmitteln erlauben. In diesem Zusammenhang sind auch Insekten zu nennen, die nicht nur einen hohen Eiweiß-Anteil haben, sondern auch zusätzlich ein interessantes Fettsäureprofil aufweisen. An dieser Stelle setzt die Lebensmittelanalytik mit klassischen und modernen Methoden zur näheren Charakterisierung der Inhaltsstoffe an.

Mir und natürlich den Lebensmittelherstellern geht es in erster Linie um die Sicherheit von Lebensmitteln. Dabei spielen diese zusätzlichen Aspekte von neuen Nahrungsquellen keine Rolle. Es gibt die vom Gesetzgeber vorgegebenen Grundlagen im Bereich Lebensmittelsicherheit. Diese gesetzlichen Vorschriften müssen alle Lebensmittel erfüllen und hier kommt die Lebensmittelanalytik ins Spiel. Wenn wir bei Algen bleiben, dann müssen diese zum Beispiel auf Cyanotoxine geprüft werden, die ab einer bestimmten Menge gefährlich werden können. Wenn wir Produkte aus Insekten, zum Beispiel Insekten-Burger, nehmen, werden hier unter anderem der Ursprungsort, die Haltung, aber auch die Tötungsart gesetzlich geregelt. Wenn es um einen ganz neuen Rohstoff für Lebensmittel geht, dann muss der Hersteller mithilfe zahlreicher Tests nachweisen, dass das Produkt sicher ist, dass es zum Beispiel keine Allergiereaktionen hervorrufen kann. Das sind die Aufgaben der Lebensmittelanalytik.

Ein anderer Aspekt, bei dem die Lebensmittelanalytik eine große Rolle spielt, ist das gestiegene Gesundheitsbewusstsein. So soll die Lebensmittelindustrie in vielen Produkten zum Beispiel Zucker- und Fettgehalt reduzieren. Mit dieser Aufgabe ist viel Forschung verbunden, die von der Lebensmittelanalytik übernommen wird. Auch der Trend zu Bio-Produkten verlangt nach einer Lebensmittelkontrolle, die durch die Lebensmittelanalytik zu gewährleisten ist.

Als Lebensmittelanalytikerin befassen Sie sich vor allem mit der heute notwendigen Sensorik, die auch zu einem Teil die sehr dezentrale Produktion von Nahrungsmitteln berücksichtigt – Stichwort „ökologische Landwirtschaft“. Können Sie aus Ihrem eigenen wissenschaftlichen Umfeld einen Trend für die Zukunft ableiten? Werden wir eher noch mehr dezentrale, regionale Erzeuger haben – oder geht die Entwicklung hin zu wenigen großen Fabriken?

Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten, da nicht zuletzt bedingt durch die Corona-Pandemie der Blick insbesondere auf die fleischverarbeitende Industrie noch einmal verschärft wurde. Auch die Diskussion um ein zusätzliches Label „Aktion Tierwohl“ hat die Verbraucher noch einmal zum Nachdenken darüber angeregt, ob neben höheren Preisen für Lebensmittel tierischer Herkunft nicht auch die Haltungsbedingungen der Tiere für die Lebensmittelproduktion noch weiter verbessert sowie bestimmte Vorgehensweisen, wie die Kastration männlicher Ferkel und das „Schreddern“ männlicher Küken, eindeutig gesetzlich geregelt werden müssen. Neben der Tierhaltung sind auch potenzielle Risiken für die Verbraucher noch weiter zu minimieren. Es wird leicht vergessen, dass neben der aktuellen Bedrohung durch die afrikanische Schweinepest durchaus auch endemische Viren, wie zum Beispiel Hepatitis E-Viren, bei der Schweinehaltung ausgeschlossen werden sollten, um auf diese Art und Weise das Risiko für Zoonosen noch weiter zu reduzieren. Im Hinblick auf den Einsatz der Gentechnik bei Pflanzen existieren bereits zahlreiche Schnellmethoden um auszuschließen, dass Öko-Landwirten ein Schaden entsteht, wenn ihre Ackerflächen an konventionell bewirtschaftete Flächen angrenzen. Hier können vor allem sogenannte Lateral Flow Assays auf Basis spezifischer Antikörper eingesetzt werden, um ein rasches Ergebnis zu erhalten. Dies gilt auch dann, wenn Futtermittel wie Soja-Extraktionsschrot von Öko-Landwirten zugekauft werden und die entsprechenden Erzeugnisse mit dem Bio-Label gekennzeichnet werden sollen.

Was Ihre Frage nach den Erzeugern angeht, so muss man bedenken, dass wir in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Bedingungen haben. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zum Beispiel sehr große Agrarflächen. Dazu stehen einige Flächen unter Naturschutz. Ich denke, dass hier der Trend eher zu größeren Fabriken geht. Aktuell haben wir durch die Corona-Pandemie bedingt verstärkt Rufe nach mehr regionalen Erzeugern. Auch die steigende Nachfrage nach Bio-Produkten spielt eine wichtige Rolle. Ich denke, dass sich in der Landwirtschaft zwei extreme Entwicklungen herauskristallisieren: Zum einen die Landwirtschaft 4.0 mit viel Hightech und zum anderen nachhaltig betriebene ökologische Landwirtschaft. Diese beiden Entwicklungen befinden sich in zwei unterschiedlichen Preissegmenten. Allerdings wollen immer mehr Verbraucher wissen, wo Produkte herkommen und was die Haltungsbedingungen von Tieren sind. Auch die Frage der Rentabilität für die Landwirte spielt eine große Rolle. Und man darf natürlich die politischen Entscheidungen in diesem Bereich nicht vergessen. Ich denke, man kann die Frage nicht abschließend beantworten, es wird noch sehr spannend werden, wohin die Reise gehen wird.

Die neuen Herausforderungen verlangen zum Teil auch neue Werkzeuge, also neue Analysemethoden und -verfahren. Welche Trends gibt es aktuell in diesem Bereich und welche werden die Zukunft der Lebensmittelanalytik aus Ihrer Sicht bestimmen?

Wir beschäftigen uns bereits seit Langem mit der Entwicklung von Antikörper- sowie DNA-basierten Testsystemen, die in unterschiedlichen Formaten, zum Beispiel als Biosensor, auf Teststreifenbasis als innerhalb weniger Minuten auslesbarer Lateral Flow Assay sowie auch in verschiedenen Mikrotiterplattenformaten für zahlreiche Proben parallel, angewendet werden können. Dabei sind gemeinsam mit der Firma Biometec in Greifswald zahlreiche spezifische monoklonale Antikörper entwickelt worden, unter anderem für den Nachweis von RR-Soja, Bt-Mais, Schimmelpilzen sowie diversen Allergenen, die für diese Testformate als Ausgangsmaterialien bereitstehen. Daneben gewinnen zunehmend auch instrumentell-analytische Methoden wie MALDI-TOF-MS an Bedeutung, mit denen sich neben Mikroorganismen auch Schimmelpilze sowie Tierarten und Fischspezies mit relativ geringem Probenvorbereitungsaufwand identifizieren lassen. Neben den bereits seit Langem üblichen NIR-Methoden zur raschen Ermittlung der Hauptinhaltsstoffe eines Lebensmittels, wie Proteine, Fette, Kohlenhydrate usw., wird auch zunehmend die Raman-Spektroskopie in Handheld-Geräten genutzt.

Welchen Einfluss wird die personalisierte Ernährung auf Ihre Tätigkeit haben? Gibt es in Zukunft den „Sensor für Jedermann“?

Wünschenswert wäre es schon, wenn in Analogie zur individualisierten Verordnung von Arzneimitteln eine auf die spezifischen Anforderungen zugeschnittene Empfehlung für eine „gesunde“ Ernährung gegeben werden könnte, die gleichermaßen körperlichen und psychischen Erkrankungen vorbeugt. Diese Empfehlung könnte beispielsweise auf dem individuellen Mikrobiom oder der genetischen Prädisposition basieren. Es gibt aber auf diesem Gebiet noch jede Menge Forschungsbedarf sowohl hinsichtlich des individuellen Genoms, Metaboloms sowie vor allem auch des Mikrobioms und der Auswirkungen auf die langfristige Gesundheit. Ferner stellt sich die Frage nach den Kosten beziehungsweise der Kostenübernahme für solche Tests.

Schon heute muss die Lebensmittelanalytik oft die Frage beantworten, ob ein bestimmtes Lebensmittel Original oder Fälschung ist. Wird dieses Problem in Zukunft noch größer werden? Und wenn ja, welche Anforderungen stellt es an die Analysemethoden?

Die Authentizität von Lebensmitteln ist nach wie vor von großer Bedeutung neben dem zunächst aus meiner Sicht ungleich wichtigeren Aspekt der Lebensmittelsicherheit. Die Lebensmittelsicherheit sollte prioritär gewährleistet sein. Das war gut beim „Pferdefleisch-Skandal“ zu erkennen: Zunächst musste einmal ausgeschlossen werden, dass das Fleisch von Pferden stammte, die mit Tierarzneimitteln behandelt wurden. Denn deren Rückstände hätten beim Verzehr der Lasagne ein gesundheitliches Problem für die Verbraucher bedeutet.

Ein wesentlicher Bereich, in dem ebenso Verfälschungen ausgeschlossen werden müssen, ist die Gastronomie. So finden sich zum Beispiel des Öfteren Verfälschungen im Bereich „Seafood“. Es ist nicht leicht zu erkennen, ob ein Seezungenfilet tatsächlich das Filet dieses Fisches ist oder aber ob ein deutlich kostengünstigerer Plattfisch die Ausgangsbasis darstellt. Dies lässt sich gut mit Techniken auf Basis selektiver Antikörper, mithilfe DNA-basierter Methoden oder aber auch mit MALDI-TOF-MS abklären.

Was sehr spannend wäre, wäre wie bereits erwähnt die Möglichkeit, mit den Lebensmitteln gezielt gegen bestimmte Mangelerscheinungen oder sogar Erkrankungen vorzugehen. Jeder kennt die Joghurts, deren Bakterien im Darm angekommen das Mikrobiom positiv beeinflussen sollen. Ob dies tatsächlich so funktioniert, ist die andere Frage, denn jeder Mensch hat ein eigenes Mikrobiom. Und es ist aktuell noch unklar, ob die Bakterien lebend im Darm ankommen. Aber die Idee an sich ist sehr interessant, da es wissenschaftlich bewiesen ist, dass die Ernährung bei bestimmten Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt. Das Problem bei der Realisierung besteht darin, dass die Umsetzung sehr individuell sein muss, angepasst an den einzelnen Menschen, was viel Forschung erfordert und natürlich sehr kostenintensiv ist.

Kontakt

Prof. Dr. Christine Wittmann (Autorin)
Steinbeis-Unternehmerin
Steinbeis-Transferzentrum Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion (Neubrandenburg)