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Die Grenzen der Produktion?

Steinbeiser Prof. Dr.-Ing. Martin Kipfmüller zeigt mögliche Wege aus der Krise

Seit der industriellen Revolution hat die Produktion immer nach ähnlichen Regeln funktioniert: Ein Rohstoff wird unter Einsatz von Energie in ein Produkt umgesetzt. Der damit verbundene Wertzuwachs, die Wertschöpfung, wird dem Unternehmen zugesprochen, das das Produkt verkauft. Der generierte Wert wird in neue Produktionsanlagen investiert und die Mitarbeiter erhalten Löhne, die es ihnen ermöglichen Produkte zu kaufen. Diese Aufwärtsspirale dreht sich momentan aber immer langsamer, meint Steinbeiser Professor Dr.-Ing. Martin Kipfmüller. Wie sie wieder in Schwung gebracht werden kann, schlägt er im STEINWURF! vor.

Der bisherige Kreislauf in der Produktion konnte einen ungeheuren Wohlstand generieren, weil die Voraussetzungen dafür häufig erfüllt waren: Es sind ausreichend Rohstoffe und Energie vorhanden, um die Produktion zu steigern. Die Anzahl der abgenommenen Produkte steigt. Die Weltbevölkerung wächst stetig und damit deren Bedarf an Produkten – und, vielleicht noch viel wichtiger: Weil Menschen Waren produzieren, kommen sie zu Geld, mit dem sie wiederum Produkte kaufen können. Um dieser steigenden Nachfrage zu begegnen, stellt der Produzent mehr Produkte her und versucht dabei weniger Geld einzusetzen, zum Beispiel indem er automatisiert und damit Arbeitskräfte einspart. Diese werden nicht arbeitslos (und gehen damit als Kunden verloren), wenn der Markt insgesamt weiter wächst und sie Arbeit an anderer Stelle bekommen. Es wird noch mehr Wert generiert.

Momentan befindet sich die deutsche Wirtschaft aber in einer Lage, in der diese Voraussetzungen nicht mehr selbstverständlich erfüllt sind. Rohstoffe und Energie werden knapp und damit teurer. Durch die Corona-bedingt notwendigen Maßnahmen wurden bei den Käufern von Produkten Werte vernichtet, die ein spürbares Nachlassen des Absatzes in den kommenden Jahren wahrscheinlich machen. Und es kommt noch ein weiterer Sondereffekt hinzu, der mit der Ressourcenverknappung zu tun hat. Durch die Umstellung auf das Elektroauto verliert die deutsche Industrie parallel zu den Einbußen durch Corona einen wesentlichen Teil der Wertschöpfung bei ihrem Rückgrat, dem Automobil: die zerspanende Bearbeitung des Motorblockes und vieler weiterer technisch anspruchsvoller Bauteile im Antriebsstrang.

Wie können Auswege aus diesen Dilemmata aussehen? Ich beginne beim konkretesten Punkt: der Krise der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie. Schon zu Beginn der industriellen Revolution – beim Aufstand der Weber – hat sich gezeigt, dass sich das Rad der Entwicklung nicht zurückdrehen lässt. Wenn neue Technologien auf den Markt drängen, werden alte Technologien und Erwerbsquellen verdrängt. Deswegen sollten sich die Hersteller von Werkzeugmaschinen im Automobilzulieferbereich nach neuen Anwendungen für ihre Produkte und vor allem nach neuen Produkten umschauen. Eine Renaissance des Verbrennungsmotors ist momentan nicht wahrscheinlich.

Einige große Unternehmen nutzen ihre Kompetenzen beim Bau hochgenauer Fertigungsmaschinen bereits für den Einstieg in den 3-D-Druck – das fängt aber keine ganze Branche auf. Die Kompetenzen der Branche scheinen allerdings einen anderen Ausweg möglich zu machen: Die Entwicklung und Produktion von Werkzeugmaschinen erfordert es, ähnlich wie die Entwicklung und Produktion von Robotern, das komplexe Zusammenspiel aus Steuerung, Antriebstechnik und Mechanik zu beherrschen, das die Leistungsfähigkeit der Produkte bestimmt – sie sind beide mechatronische Systeme par excellence. Japanische Hersteller nutzen bereits sehr erfolgreich dieselbe Steuerungs- und Antriebstechnik, um Produkte aus beiden Bereichen zu produzieren. Ein ähnlicher Ansatz könnte für die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller einen Weg in den weiter wachsenden Markt der Roboter- und Automatisierungstechnik bereiten. Eine erste Brückentechnologie könnte der immer wieder auftauchende Fräsroboter sein, aber um die wegbrechenden Märkte zu ersetzen, ist das zu kurz gedacht. Es gibt ein weit größeres Potenzial für Anwendungen der Robotertechnik innerhalb und außerhalb der Werkshallen. Innerhalb überall da, wo bislang Komplexität, Variantenvielfalt oder kleine Stückzahlen Automatisierung unwirtschaftlich machen. Außerdem bei Logistikaufgaben, die aufgrund von Sicherheitsanforderungen bislang eher von Menschen betreut werden. Aber vor allem außerhalb der Fabriken ist viel zu tun: zum Beispiel auf den Feldern, wo eine massive Abhängigkeit von Saisonarbeitern besteht. Natürlich lohnt es sich kaum eine teure Maschine vorzuhalten, die nur einige Wochen im Jahr Spargel sticht – aber könnte dieselbe Maschine nicht im Herbst die Weinlese übernehmen? Und kann diese Maschine nicht von einer Betreibergesellschaft betrieben werden, die das Gewerk „Spargelstechen“ oder „Weinlese“ an Bauern verkauft?

In der Betreuung von Alten, Kranken und Menschen mit Behinderung, wo Pflege oft zu körperlicher Schwerstarbeit wird, können Exoskelette Mobilität wiederherstellen und sichere Roboter können beim Tragen, Halten und Umbetten der Menschen unterstützen.

Bei der Reinigung von Gebäuden und Anlagen gibt es erste Ansätze mit dem Staubsaugerroboter, dem Rasenmähroboter oder beim Fensterputzen. Aber könnte ein Roboter nicht langfristig auch die defekten Glühbirnen im Treppenhaus ersetzen, die Blumen gießen und weitere Wartungs- und Instandhaltungsaufgaben wahrnehmen?

Auch eine andere aktuelle Tendenz führt zu Anwendungsszenarien für Roboter: Wie umgehen mit fehlenden Ressourcen? Dazu hat die EU gerade einige wichtige Impulse gegeben, indem sie verlangt hat, dass Produkte reparierbar sein müssen. Hier entsteht eine Herausforderung für Geschäftsmodelle: Es ist geschäftsschädigend für einen Smartphone-Produzenten, wenn das Gerät nicht nach zwei Jahren kaputtgeht und er ein neues Gerät verkaufen kann. Wie wäre es aber, wenn der Kunde nicht ein Smartphone kauft, sondern die Fähigkeit zu telefonieren, zu fotografieren und Apps zu betreiben? Wäre es dann möglich, dass die Geräte nicht nach kurzer Zeit kaputtgehen müssen, sondern zum Beispiel nur ein Hardware-Upgrade erfolgt? Das würde Produktionslinien notwendig machen, die hochflexibel heute die eingeschickten Geräte von Hersteller A mit einer neuen Kamera ausstatten und morgen die eingeschickten Geräte von Hersteller B mit einem neuen Speicherchip. Um Ressourcen zu sparen, wird die Anforderung kommen, Produkte zu zerlegen, zu reparieren und zu überholen. Hochspezialisierte Maschinen haben dabei keine Chance, auch hier sind hochflexible, wahrscheinlich mit KI auszustattende Roboter notwendig, wenn eine Automatisierung erreicht werden soll. Und das wird für den wirtschaftlichen Betrieb einer Kreislaufwirtschaft unumgänglich sein.

Was machen all die Menschen, deren Arbeit jetzt automatisiert wird? Die Arbeitsplätze, die eine geringe Qualifikation erfordern, werden weniger werden und die Gesellschaft wird sich darüber Gedanken machen müssen, wie sie dem begegnet. Wahrscheinlich wird es notwendig werden mehr in Bildung zu investieren, um die komplexen Aufgaben bei der Entwicklung, Umprogrammierung und Wartung der neuen technischen Systeme zu meistern. Nicht jeder ungelernte Arbeiter hat die Voraussetzungen, um komplexe Inhalte aus Ingenieurwesen oder Informatik in vier Jahren zu lernen. Aber vielleicht klappt es ja, wenn dieselben Inhalte auf sechs Jahre verteilt werden und nicht ganz so tief mathematisch aufbereitet werden. Hier braucht es ein Lernen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Abstraktionsgraden, das auf die Lernenden angepasst ist.

Außerdem wird es nicht ausreichen, das Lernen am Anfang des Berufslebens zu konzentrieren. Die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant beschleunigt und es ist damit zu rechnen, dass sie das weiterhin tut. Das heißt für Betriebe, dass es in Zukunft für Ingenieure nicht mehr ausreichend sein wird, nur am Anfang des Berufslebens umfangreich die Theorie ihres Faches und alles andere später „von selbst“ zu lernen. Immer mehr Menschen auf der Welt entwickeln Technik und damit steigert sich auch die Geschwindigkeit der Entwicklung.

Das führt zur beschriebenen Entwicklung beispielsweise in der Werkzeugmaschinenindustrie: Durch den technischen Wandel werden Unternehmen gezwungen sein Produkte herzustellen, die nicht zu den Fähigkeiten passen, die ein Mitarbeiter vor 30 Jahren im Studium gelernt hat. Wenn ein verstärkter Bedarf an Programmier- und KI-Methoden in einem Unternehmen auftaucht, wird dieser nicht durch ein paar wenige Wochenseminare zu decken sein. Hier kann der große Nachteil des Einsatzes von KI und Roboter- oder Automatisierungstechnik zum Vorteil werden. Unserer Gesellschaft muss es gelingen, dass die frei werdenden Arbeitskapazitäten nicht zu Mitarbeiterentlassungen führen, sondern dass konsequent in die Weiterbildung der Mitarbeiter investiert wird. Wird zum Beispiel ein Fünftel Personalkapazität eingespart, so sollten gerade technische Mitarbeiter entweder in jedem fünften Jahr ein Studienjahr einlegen oder zum Beispiel einen Tag die Woche für ein Fernstudium zur Verfügung gestellt bekommen. So erst wird es für Unternehmen möglich werden, einen Wandel – beispielsweise eben vom Werkzeugmaschinenhersteller zum Roboterhersteller – zu schaffen. Nur wenn es den Unternehmern gelingt, ihr Unternehmen und die Belegschaft in derselben Geschwindigkeit zu wandeln, wie der technische Fortschritt es verlangt, werden sie am Markt erfolgreich sein.

Die berufsbegleitende Ausbildung sollten unabhängige Institutionen übernehmen, um zu vermeiden, dass Inhalte falsch vorselektiert werden. Denkbar wären private Träger wie Steinbeis – wir bereiten in unserem Transferzentrum gerade entsprechende Angebote aus dem Bereich der Robotik vor – die von den Unternehmen direkt bezahlt werden. Besser wäre es, wenn die Gesellschaft die Aufgabe erkennt und aus den Abgaben der Unternehmen eine Weiterbildung finanziert, die zum Beispiel an den Hochschulen, online oder auch an spezialisierten Einrichtungen stattfinden kann.

Wenn solche Wege nicht beschritten werden und keine neuen Produkte generiert werden, führt Automatisierung bei sinkendem Absatz nur dazu, Arbeitsplätze abzubauen und den Absatz weiter zu senken. Wenn aber ernsthaft in Mitarbeiter investiert wird, können diese neue Produkte und Märkte erdenken: Online-Streaming, Smartphone und Datenhandel sind Beispiele für Märkte, die es in dieser Form einfach noch nicht gab. Dazu wäre aber ein entscheidender Wille der Gesellschaft und Unternehmen notwendig.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Martin Kipfmüller (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Produktionstechnik und Robotik (Karlsruhe)

Prof. Dr.-Ing. Martin Kipfmüller ist Professor der Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft und leitet die dortige Forschungsgruppe Robotik und generative Fertigung. Er verantwortet daneben das Steinbeis-Transferzentrum Produktionstechnik und Robotik, an dem er konkrete Praxisprojekte in seinen Schwerpunktthemen umsetzt.