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„DIE GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG BESTEHT DARIN, DASS ROUTINEN UND BEQUEMLICHKEITEN AUFGEBROCHEN WERDEN MÜSSEN“

Im Gespräch mit Professor Dr.-Ing. Jochen Baier und Professor Dr.-Ing. Oliver Taminé, Experten am Steinbeis-Transferzentrum Mobilität und Logistik

Unsere Mobilität ist im Wandel: Wo geht die Reise hin, wie stellen wir uns unsere Mobilitätszukunft vor und ist dieser Zustand überhaupt erreichbar? Die TRANSFER hat dazu mit Professor Dr.-Ing. Jochen Baier und Professor Dr.-Ing. Oliver Taminé gesprochen, die sich intensiv mit nachhaltiger Mobilität und Mobilitätskonzepten beschäftigen. Beide sind sich sicher, dass die Bereitschaft der Menschen, Neues zu wagen und aus alten Gewohnheiten auszubrechen, genauso wichtig ist wie es die Technologien sind, die die Zukunft der Mobilität bestimmen.

Herr Professor Baier, Herr Professor Taminé, die Mobilität der Zukunft soll autonom, sicher, nachhaltig, klimaschonend, effizient und bezahlbar sein. Ist diese Idealvorstellung überhaupt realisierbar?

Jochen Baier: Fangen wir mit autonom an: Autonomes Fahren wird es nicht „von heute auf morgen“ geben, sondern das wird ein evolutionärer Prozess sein. Von der heutigen Autonomiestufe 2 mit dem Spurhalteassistent oder selbstständigem Einparken wird es über die nächsten Stufen 3 – Fahrzeug führt selbstständig in bestimmten Situationen – und 4 – System führt dauerhaft das Fahrzeug – bis hin zur Autonomiestufe 5, in der kein Fahrer mehr erforderlich ist und Fahrzeuge kein Lenkrad mehr benötigen, noch viele Jahre dauern.

Der zweite Aspekt ist Sicherheit. Durch die zunehmende Vernetzung der Fahrzeuge und ihrer Infrastruktur entstehen neue Risiken, beispielsweise durch 5G und damit verbundene Schnittstellen nach außen. Das Thema IT-Sicherheit wird zu neuen Herausforderungen führen, so sind beispielsweise Hackerangriffe auf Fahrzeuge denkbar. Durch Sensorik und Algorithmen wird hingegen das Führen eines autonomen Fahrzeugs sicherer als heutzutage.

Der nächste von Ihnen angesprochene Punkt betrifft Nachhaltigkeit. Die baden-württembergische Landesregierung hat nachhaltige Mobilität sehr treffend definiert durch das Ziel, dass zur Mitte des Jahrhunderts die Mobilität weitgehend auf erneuerbare Energien umgestellt sein soll und neue Mobilitätsformen gefördert werden sollen. Auf diese Weise wird ein Beitrag zu einer multimodalen Mobilitätskultur geleistet.

Oliver Taminé: Wenn wir über klimaschonende Mobilität reden, gibt es verschiedene Energieträger, die klimaschonend nutzbar sind, das sind Wasser, Wind und Sonne. Insbesondere Sonne und Wind lassen sich durch Windräder und Photovoltaik-Anlagen (PV) dezentral gewinnen und somit für eine klimaschonende Mobilität unmittelbar nutzen.

Bei der Effizienz der Mobilität geht es in erster Linie um den Wirkungsgrad, der bei Verbrennungsmotoren wesentlich geringer ist als bei den Elektromotoren. Insofern wird die zukünftige Mobilität wesentlich effizienter, auch energieeffizienter sein als die heutige Mobilität. Die Effizienz der Planung wird sich durch IT-Methoden, wie zum Beispiel künstliche Intelligenz, auch wesentlich erhöhen.

Und last, but not least die Frage der Bezahlbarkeit. Hierbei sind zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen: Zum Beispiel sind Elektromotoren einfacher aufgebaut und benötigen wesentlich weniger Bauteile als Verbrennungsmotoren. Des Weiteren sind fossile Kraftstoffe immer aufwendiger zu fördern und werden somit in der Zukunft teurer. Insofern sind hier Preisreduktionen zu erwarten. Wir können aber nicht vorhersehen, wie die steigende Nachfrage nach Strom und notwendigen Ressourcen, zum Beispiel Lithium oder Kobalt, sich auf die Preise auswirken wird.

Um autonom und nachhaltig zu sein, benötigt die Mobilität nicht nur die entsprechende Technologie, es muss auch ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden. Wo sehen Sie dabei die größten Herausforderungen?

Oliver Taminé: Die größte Herausforderung besteht darin, dass Routinen und Bequemlichkeiten aufgebrochen werden müssen: Das eigene Automobil muss nicht immer zwingend sein, Sharing-Konzepte sind vor allem innerstädtisch sehr gut nutzbar. Auch die in Zukunft häufig anzutreffenden sogenannten „Robotaxis“ werden für viele Menschen zur Alternative zum eigenen Auto werden. Im ländlichen Raum wird das Elektrofahrzeug, vor allem bedingt durch die private Infrastruktur aus Garage, Carport und/oder einer PV-Anlage, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ersetzen.

Jochen Baier: Es zeigt sich heute bereits, dass in Städten das Auto mehr und mehr nach außen gedrängt wird. Die Zukunft der Mobilität geht hier eher in Richtung Fahrrad und vor allem eines effizienten ÖPNV. Im ländlichen Raum sind dagegen die Kosten für einen flächendeckenden ÖPNV sehr hoch. Rund die Hälfte der Kosten machen hierbei die Personalkosten aus. Autonom geführte Busse besitzen daher das Potenzial, eine Trendwende im ländlichen öffentlichen Verkehr hervorzurufen. Durch diese Technologie könnte das Mobilitätsangebot massiv erhöht werden.

Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Mobilitätsmanagement. Welche Anforderungen stellt der aktuelle Trend zur autonomen Mobilität an diesen Bereich?

Jochen Baier: Das Mobilitätsmanagement ist prinzipiell aufzuteilen in ein betriebliches und ein öffentliches Mobilitätsmanagement. Auf Seiten der Unternehmen beziehungsweise der Arbeitgeber sind viele Möglichkeiten an der Stelle denkbar: Als Beispiel seien hier unternehmensinterne, autonom fahrende Pkw oder autonom fahrende Shuttle-Busse genannt, die die Mitarbeiter von zu Hause zur Arbeit und zurück bringen. Das betriebliche Mobilitätsmanagement ist Bestandteil des unternehmerischen Handelns und wird somit ein immer wichtigerer Teil der Mitarbeitergewinnung und Mitarbeiterbindung sein.

Oliver Taminé: Im öffentlichen Mobilitätsmanagement sind besonders die Anforderungen Zielorientierung, Verkehrsplanung und Beständigkeit zu nennen. Die Ziele des zukünftigen, autonom basierenden öffentlichen Mobilitätsmanagements sind im Wesentlichen in der Verkehrspolitik zu finden, aber vor allem umweltrelevante Aspekte werden hierbei eine immer größere Rolle einnehmen. Als Beispiel seien hier emissionsfreie und gegebenenfalls autonome Fahrzeuge in den Innenstädten genannt: Die Verkehrsplanung hat unmittelbar zu berücksichtigen, dass auch die Umweltplanungen innerhalb von Stadtplanungen stärker in den Fokus rücken. Der Beständigkeit von Mobilitätskonzepten wird im autonomen Zeitalter ebenfalls eine sehr wichtige Bedeutung zukommen, denn neue Konzepte werden sich nur dann etablieren, wenn sie hinreichend evaluiert sind und kontinuierlich angeboten werden.

Der Druck für Veränderungen ist vor allem im ÖPNV durch den Fachkräftemangel, vor allem Fahrermangel, bereits heute spürbar. Hier kann die autonome Mobilität in Zukunft eine Verbesserung bringen.

Die Mobilität von morgen wird von Individualisierung, Konnektivität, Urbanisierung und Neo-Ökologie bestimmt. Wie müsste sich das Mobilitätsmanagement heute verändern, um morgen aktuell zu sein?

Jochen Baier: Die heutige Mobilität ist geprägt von eigenen Fahrzeugen, die natürlich sehr flexibel und individuell nutzbar sind, aber mit einer durchschnittlichen Auslastung von nur eine bis zwei Stunden pro Tag. Auf diese Freiheit wird das autonome Mobilitätsangebot der Zukunft Rücksicht nehmen müssen. Der gewünschte Individualisierungsbedarf könnte oder kann auch heute schon durch Carsharing prinzipiell aufrechterhalten werden. In städtischen Regionen kann beispielsweise durch ein gezieltes Parkraummanagement das Besitzen eines eigenen Pkw eingegrenzt werden. Eine wichtige Notwendigkeit ist hierbei allerdings, dass die verschiedenen Verkehrsmodi eine hohe Konnektivität aufweisen, ein Umsteigen muss schnell vonstattengehen und die Informationen zu den Mobilitätsketten müssen transparent für die Fahrgäste abrufbar beziehungsweise einsehbar sein. Dies muss auch für die ländlichen Räume gelten. Aus ökologischer Sicht muss die zukünftige Mobilität zu 100% aus erneuerbaren Energien bestehen. Hier ist insbesondere die Politik gefragt, denn ein Strommix mit Kohleanteil genügt den Nachhaltigkeitsbedürfnissen der Menschen nicht.

Oliver Taminé: Generell sind zwei Szenarien denkbar: Eine große Anzahl an privat betriebenen autonomen Fahrzeugen, die weiterhin nur einen sehr geringen Nutzungsgrad haben werden, und öffentlich beziehungsweise durch Unternehmen bereitgestellte autonome Fahrzeuge, die im Sinne eines Sharing-Konzeptes genutzt werden.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Jochen Baier (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Mobilität und Logistik (Furtwangen)

Prof. Dr.-Ing. Oliver Taminé (Autor)
Freier Projektleiter
Steinbeis-Transferzentrum Mobilität und Logistik (Furtwangen)