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„DAS SYSTEM SO ZU GESTALTEN, DASS SOWOHL ÖKONOMISCHE, ÖKOLOGISCHE UND SOZIALE ASPEKTE BERÜCKSICHTIGT WERDEN, DAS IST UNSERE AUFGABE“

Im Gespräch mit Professor Dr.-Ing. Markus Stöckner, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV)

Das autonome Fahren ist viel mehr als nur ein autonom fahrendes Fahrzeug, auch die Verkehrsinfrastruktur muss neue Anforderungen optimal erfüllen. Welche Aufgaben dabei zu bewältigen und welche Herausforderungen zu meistern sind, darüber hat die TRANSFER mit Professor Dr.-Ing. Markus Stöckner, Experte am Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen, gesprochen.

Herr Professor Stöckner, welche Anforderungen stellt das autonome Fahren an die Verkehrsinfrastruktur?

Vorab sollte man definieren, was unter dem Begriff autonomes Fahren zu verstehen ist. Reden wir über teilautonomes Fahren oder tatsächlich über ein vollautomatisiertes Fahren in komplexen Entwurfssituationen und/oder komplexen Fahrsituationen? Grundsätzlich gilt, je höher die Anforderungen an das automatisierte Fahren, desto höher die Anforderungen an die Infrastruktur. Dabei sind drei Bereiche wesentlich, und zwar der Straßenraum mit seiner geometrischen Ausprägung, dann die sogenannte Straßenausstattung, das sind beispielsweise Beschilderung und Lichtsignalanlagen, und schließlich die Informationsübertragung mittels Mobilfunk. Der Straßenraum muss eindeutig und erkennbar definiert sein. Das geschieht beispielsweise über Fahrbahnmarkierungen, diese sind heute schon für die Orientierung beim konventionellen Fahren eine entscheidende Orientierungsgröße. Sie sind vielleicht schon einmal über einen Straßenabschnitt auf einer Autobahn gefahren, bei dem kurzzeitig die Markierung fehlte. Sie verlieren damit je nach Geschwindigkeit schnell die Orientierung. Beim autonomen Fahren sind die Anforderungen an die Sichtbarkeit der Markierung ungleich höher, ebenso die Erkennbarkeit und Positionierung der Verkehrsschilder. Weiter werden zur Orientierung digitale Modelle des Straßenraums benötigt, man erstellt hierzu zum Beispiel mit Rotationslaserverfahren hochgenaue Modelle, die dann zum Abgleich und zur Orientierung dienen. Das Problem dabei besteht darin, dass die Ausgaben nicht nur die erstmalige Investition, sondern auch die Unterhaltung beinhalten, damit die Funktionsfähigkeit auf Dauer gesichert ist. Der Aufbau entsprechender Asset Management Systeme wird die unausweichliche Folge sein.

Im Straßenverkehr sind Ampeln und Verkehrsschilder derzeit nicht wegzudenken. Wie sieht es mit den autonom fahrenden Fahrzeugen aus, durch welche Lösungen wird solche „analoge“ Straßenausstattung beim autonomen Fahren abgelöst?

Diese Ausstattung können wir auch künftig nicht wegdenken. Für einfachere Systeme reicht erst einmal die derzeitige Ausstattung aus. Bereits heute können Fahrzeuge über sogenannte Fahrerassistenzsysteme beispielsweise Schilder zur Geschwindigkeitsbeschränkung erkennen oder die Fahrenden in ihrem Abstandsverhalten zu vorausfahrenden Fahrzeugen unterstützen. Denkt man aber weiter, wird schnell klar, dass eine Interaktion zwischen beispielsweise Lichtsignalanlage und Fahrzeugen sinnvoll und notwendig ist. So kann die Übermittlung von Schaltphasen oder auch Informationen zur aktuellen Verkehrslage sinnvoll sein, damit autonome Fahrzeuge selbstständig darauf reagieren können. Betrachtet man aber die damit verbundenen Investitionskosten, stellt dies wirtschaftlich eine Herkulesaufgabe dar.

Die Verkehrssicherheit steht durch die autonome Mobilität vor neuen Herausforderungen. Welchen Beitrag kann die strategische Entwicklung von Verkehrsnetzen hierzu leisten?

Die Verkehrssicherheit selbst dürfte in der gesellschaftlichen Diskussion eine sehr große Herausforderung sein. Schauen wir das aktuelle Unfallgeschehen an. In den letzten Jahren verzeichnen wir jährlich in Deutschland etwa 3.300 Getötete im Straßenverkehr. Die gesellschaftliche Wahrnehmung konzentriert sich derzeit berechtigt auf Unfälle mit getöteten Radfahrenden beim Rechtsabbiegen, bei Rasern im innerstädtischen Bereich oder bei vereinzelten Unfällen von bereits teilautonom fahrenden Fahrzeugen. Wir stehen aber unverändert vor der Aufgabe den Verkehr sicher zu machen, und zwar die Anzahl der Getöteten und auch der Verletzten insgesamt signifikant zu verringern, eigentlich komplett zu vermeiden. Dies betrifft grundsätzliche ethische Fragen in unserer Gesellschaft, durch das autonome Fahren müssen wir diese neu diskutieren: Was passiert, wenn wir gemischten Verkehr haben, nicht-autonome Fahrzeuge mit autonomen Fahrzeugen? Akzeptieren wir Unfälle bei autonomen Fahrzeugen? Sicher, man könnte beispielsweise bei der strategischen Entwicklung von Verkehrsnetzen Trassen nur für autonome Fahrzeuge festlegen. Ich denke aber, dass wir ein hochkomplexes System nicht nur aus der Technik heraus, sondern auch aus gesellschaftlichen Perspektiven betrachten müssen, bevor wir uns die Antworten zu einfach machen.

Die Verkehrsinfrastruktur der Zukunft soll nicht nur das autonome Fahren ermöglichen, sondern auch nachhaltig und umweltfreundlich sein. Wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Das ist auch eine komplexe Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Einer meiner Kollegen an der Hochschule Karlsruhe, Christoph Hupfer, hat in einem Interview gesagt: „Es nützt nichts, wenn wir energieeffizient im Stau stehen“. In diesem kleinen Satz steckt Wahrheit drin. Schauen Sie sich die Verkehrssituation beispielsweise um Stuttgart in den morgendlichen und abendlichen Spitzenstunden an. Die Straßen sind überfüllt und der öffentliche Personenverkehr kommt ebenfalls an seine Grenzen. Wenn Sie dann mit einem autonomen Fahrzeug im Stau stehen, haben Sie nichts gewonnen. Also müssen wir weiter greifen und die Infrastruktur als komplexes System verstehen, das mit verschiedenen Teilsystemen optimiert wird. Das haben wir heute schon mit der Verzahnung verschiedener Mobilitätsangebote im ÖPNV, beim Radoder Fußverkehr und verschiedener Leihsysteme wie dem Carsharing etc. Das System so zu gestalten, dass sowohl ökonomische, ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt werden, das ist unsere Aufgabe und hier gibt es abseits des üblichen Lagerdenkens auch noch etwas dazwischen, denn wir müssen den Weg zu einer neuen Mobilität weiter gehen: Autonome Fahrzeuge können einen Beitrag im Gesamtsystem der Verkehrsinfrastruktur leisten, in dem der Verkehrsfluss damit optimiert werden kann und möglichst gleichzeitig Unfallzahlen reduziert werden können. Das wird ein Teilbeitrag, aber nicht die Lösung aller Probleme sein. Wir werden aber für eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur der Zukunft alle Teilbeiträge benötigen. Das autonome Fahren ist in diesem Sinne ein wichtiger Beitrag, auch wenn wir noch einige Herausforderungen zu lösen haben und diese auch lösen werden.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV) (Bruchsal)