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REFUSE TO CRASH ODER: VON DER AUTOMATISIERUNG DES ZIVILEN LUFTVERKEHRS

Das Institut für Flugmechanik und Flugregelung der Universität Stuttgart forscht an den Herausforderungen der Autonomisierung von Fluggeräten

Heutzutage ist während des Flugbetriebs der Pilot in voller Verantwortung für das Flugzeug und bedient sämtliche Systeme, indem er die Informationen aufnimmt und Aktionen plant und ausführt. Die detaillierte Steuerung des Flugzeugs übernehmen jedoch meist die vom Pilot bedienten Systeme. Da liegt der nächste Schritt auf der Hand: Vorteilhafter wäre es, wenn das Flugzeug sich selbst überwacht und steuert, indem die beteiligten Systeme direkt miteinander im Austausch stehen. Das Flugzeug wird sich dann weigern, seinen sicheren Betriebsbereich zu verlassen, und bei kritischem Verhalten dem Piloten die Steuerung entziehen, um das Flugzeug zu schützen. Die Universität Stuttgart beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der Automatisierung von Fluggeräten der zivilen Luftfahrt. Was noch Vision und was schon Wirklichkeit ist, erläutert Vincenz Frenzel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugmechanik und Flugregelung der Universität Stuttgart und Referent bei der ersten #techourfuture-Veranstaltung.

Streng nach Definition bezeichnet Autonomie „den Zustand der Selbstbestimmung […] und der Entscheidungsfreiheit“. Im Kontext der Luftfahrt soll dies aber gerade nicht der Fall sein: Es soll nichts unvorhergesehen oder selbstständig passieren oder zwingend künstliche Intelligenz involviert sein. Eigentlich sollte es korrekterweise „hochautomatisiert“ heißen, denn das Verhalten der Fluggeräte soll auf vordefinierten Regeln und Algorithmen beruhen, eine hohe Sicherheit aufweisen und durch ein zertifiziertes System ausgeführt werden.

Bei Flugzeugen werden solche Systeme mit den Begriffen „Refuse to crash“ oder „System in command“ statt „Pilot in command“ beschrieben. Mit diesen Systemen könnte den Schwächen des Menschen entgegengewirkt werden: Ablenkung, Müdigkeit, Krankheit, Emotionen, mangelnde Genauigkeit und Optimierung sowie schlechte Entscheidungen. Viele Hobby-Drohnen fliegen bereits heute prinzipiell von selbst und stellen sicher nicht abzustürzen. Der Drohnenpilot überträgt lediglich Kommandos oder Wegpunkte und die Drohne fliegt diese ab, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.

GRÜNDE FÜR DIE AUTOMATISIERUNG

Die Gründe für die angestrebte Automatisierung sind je nach Flugobjekt ganz unterschiedlich. Flugtaxis sollen automatisiert werden, um die Kosten für den Transport zu senken, da der Pilot durch einen Passagier ersetzt werden kann und so die Kosten für den Piloten eingespart werden. Je nach Konfiguration des Fluggerätes kann dadurch bis zu dem Doppelten an Nutzlast (Fracht oder Passagiere) zu einem günstigeren Preis befördert werden. Die Steuerung von Flugtaxis mit einer hohen Anzahl von Antrieben oder Kontrollflächen ist oft nicht manuell möglich und erfordert ohnehin ein Regelsystem.

In der Allgemeinen Luftfahrt, das heißt privater und gewerblicher Luftverkehr ohne Linien- und Charterflüge, sollen mit der Automatisierung die Anforderungen an den Piloten und die Pilotenausbildung gesenkt werden. Dadurch können der Absatz von Fluggeräten und die Sicherheit in der privaten Fliegerei gesteigert werden.

Im Linienverkehr besteht bereits heute ein hoher Automatisierungsgrad. Viele Hilfssysteme stehen den Piloten schon jetzt zur Verfügung. Da die Hauptunfallursache immer noch auf menschliches Versagen zurückzuführen ist, wird aus Gründen der Sicherheit, des Pilotenmangels und der Wirtschaftlichkeit versucht die Zahl der Piloten an Bord weiter zu senken. Zunächst wird dies im Frachtverkehr erprobt werden, um das Risiko für Passagiere zu reduzieren.

Schon länger ist die Automatisierung des Luftverkehrs keine Frage der Tech- nologie mehr. Ermöglicht wird sie durch den vermehrten Einsatz von Flyby- wire-Systemen, einer Signalübertragungstechnik für die elektronische Flugsteuerung. Die Technologie wird bereits seit Jahrzehnten im Linienverkehr eingesetzt. Für die höheren Automatisierungsgrade und die neuen Einsatzbereiche muss sie jedoch noch ausgebaut und zertifiziert werden. Bis dahin können auch die noch offenen rechtlichen Fragestellungen vom Gesetzgeber beantwortet werden.

ANFORDERUNGEN AN AUTOMATISIERTE FLUGSYSTEME

Um neue Entwicklungen in der Automatisierung umzusetzen, muss die Zuverlässigkeit der Systeme sichergestellt werden. Falls notwendig, müssen dazu die Anforderungen an die Sicherheit überarbeitet und danach zertifiziert werden. Darüber hinaus wird eine Kommunikationsinfrastruktur mit den Fluglotsen entwickelt werden müssen. Im unkontrollierten Luftraum werden neue Überwachungssysteme wie „Detect-andavoid- Systeme” Hindernisse erkennen und verhindern, dass Fluggeräte sich gegenseitig in Gefahr bringen. Im Notfall muss das Fluggerät auch von außen gesteuert werden können, was neue Herausforderungen mit sich bringt.

AUTOMATISIERUNG VON FLUGGERÄTEN AN DER UNIVERSITÄT STUTTGART

Schon 2015 fand an der Universität Stuttgart im Rahmen des Luftfahrtforschungsprogramm- IV-4-Projekts FlySmart die Demonstration eines vollautomatisierten Fluggerätes der EASA CS-23 Klasse statt. Die Mission umfasste auch den Start und die völlig autarke Landung ohne Hilfe von konventioneller bodengestützter Navigation.

Die Experten der Universität Stuttgart koordinieren außerdem Testfelder für energieeffizientes, elektrisches und autonomes Fliegen in Baden-Württemberg. Die ersten Testflüge haben 2019 stattgefunden, ab 2020 soll umfangreich geforscht werden. Das Vorhaben leitet das Institut für Flugmechanik und Flugregelung. Beteiligt sind zudem die Institute für Flugzeugbau, Luftfahrtsysteme und Navigation der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie der Universität Stuttgart, sowie weitere Partner aus der Industrie, wie Volocopter und Thales. Das Testfeld wird vom baden-württembergischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau mit 1,3 Millionen Euro gefördert und dient der Erprobung und Demonstration von neuen Technologien und Konzepten.

Die Forscher sind nicht ohne Visionen: „In ein paar Jahrzehnten sitzen Sie vielleicht in der ersten Reihe, wo früher das Cockpit war, und genießen unbeschwert die Aussicht. Bis dahin verlassen Sie sich einfach auf die Updates vom Flugdeck“, prognostiziert Vincenz Frenzel.