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KI MACHT’S MÖGLICH: PRÄDIKTIVE WARTUNG MIT EINEM DIGITALEN ZWILLING

Würzburger Steinbeis-Team und Koenig & Bauer Coding revolutionieren Wartung und Service

Künstliche Intelligenz, digital erweiterte Bildgebung und neuartige Interaktionsmodelle verschmelzen zunehmend. Das macht ganz neue Produkterweiterungen möglich, die vor allem im Bereich der Schulung, Überwachung und Wartung enorm nützlich sein können. Sich kontinuierlich selbst prüfende Systeme reduzieren beispielsweise die Anzahl von Service-Einsätzen vor Ort, sorgen für eine höhere Verfügbarkeit und können dadurch deutlich wirtschaftlicher betrieben werden. Zusammen mit der Koenig & Bauer Coding GmbH entwickelte das Steinbeis-Forschungszentrum Design und Systeme in Würzburg die digitale Erweiterung „Kyana“ für das Continuous-Inkjet-Druckersystem „alphaJET“ von Koenig & Bauer. Solche Drucker erlauben die Codierung von Erzeugnissen mit variablen Daten direkt an der Produktionslinie in höchster Geschwindigkeit und Präzision. Für ihre Zusammenarbeit haben die beiden Partner den Transferpreis der Steinbeis-Stiftung 2019 erhalten.

Kyana ist eine KI-basierte Softwarelösung, die per Sprachsteuerung kommuniziert und über Augmented Reality das komplexe Innenleben des Drucksystems anschaulich und interaktiv vermittelt. Als intelligente Assistentin übernimmt Kyana künftig ein breites Aufgabenfeld. Neben Schulung und Bedienung erläutert sie selbstständig Wartungsprozesse und Serviceprozeduren und ermittelt frühzeitig anfallenden Verschleiß und Materialverbrauch. Parallel lernt das System über die Dauer seiner Nutzung alle äußeren Einflüsse zu analysieren, um aus den gewonnenen Erkenntnissen eine permanent hohe Druckqualität und maximale Verfügbarkeit zu gewährleisten.

Mithilfe von Augmented Reality erhält Kyana ihre räumliche Präsenz – diese erweiterte visuelle Wahrnehmung erlaubt ein tiefergehendes Verständnis für die Hardware und ihre Funktionsweise. Die digitalen Overlays ermöglichen den exakten Blick ins Innere des Druckers und sorgen in der Kombination mit der Sprachausgabe für einfache Wartungsarbeiten oder Reparaturen. Zusätzlich erlaubt die KI-Erweiterung auch die Einbindung „virtueller Hände“, die im Falle einer unterstützenden Fernwartung die Zuarbeit an einem digitalen Zwilling möglich machen. Idealerweise können in Zukunft dadurch mögliche Störungen schneller behoben und lange, kostspielige Anreisen von Servicepersonal verhindert werden.

Das Potenzial der mit dem Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis ausgezeichneten Anwendung ist enorm, da in der Auswertung der gewonnenen Daten wertvolle Ressourcen für künftige Applikationen liegen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit der beiden Projektpartner stellt dafür eine ideale Grundlage dar.


„IN DER SYSTEMISCHEN ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN MENSCH UND COMPUTER LIEGEN DIE GRÖSSTEN CHANCEN FÜR UNSERE ZUKUNFT“
Im Gespräch mit Prof. Dr. Erich Schöls, Sebastian Gläser und Sandra Wagner

Herr Professor Schöls, künstliche Intelligenz ist eines der technologischen Themen, die momentan stark polarisieren. Gegner sehen in ihr die Büchse der Pandora, Sie vertreten eine andere Sichtweise. Halten Sie die Gefahren für überschaubar?

Aus meiner Sicht wird die künstliche Intelligenz zum jetzigen Zeitpunkt noch oft überschätzt. Ohne Frage sind die technologischen Fortschritte beeindruckend. Aber von den in vielen Medien prognostizierten Dystopien sind wir aus meiner Sicht weit entfernt. Ich kenne zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Entwicklung im Bereich der KI, die es mit der Intelligenz des menschlichen Gehirns aufnehmen könnte. Aber grundsätzlich muss man festhalten, dass die Potenziale – richtig eingesetzt – sehr groß sind und künftig sicher eine entscheidende Rolle spielen werden. Eine echte Gefahr stellt der Missbrauch durch Kriminelle dar, aber das Problem haben wir bei der Digitalisierung auch ohne KI. Und natürlich wird es im militärischen Umfeld Entwicklungen geben, die ganz grundsätzlich problematisch sind. Aber auch bei diesem Thema geht die Bedrohung eher vom Menschen aus und nicht von der künstlichen Intelligenz.

Der Begriff „digitaler Zwilling“ verdeutlicht schon, dass Sie Mensch und Technik im Transferprojekt eng zusammengebracht haben. Herr Gläser, wie haben Sie diesen Gedankenansatz, kombiniert mit AR, im nun ausgezeichneten Projekt eingesetzt?

„Kyana“ stellt sich dem Benutzer gegenüber als intelligenter Assistent und Dialogpartner vor. Der „sprechende Drucker“ schafft somit Nähe zu seinem Umfeld und ermöglicht durch diese „Empathie-Brücke“ eine neue Mensch-Maschine-Beziehung. Mit Hilfe von Augmented Reality erhält die KI weiterhin eine räumliche Präsenz. AR erhöht die visuelle Wahrnehmung des Geräts und erweitert sie um Elemente, die ein tiefergreifendes Verständnis für die Hardware und ihre Funktionsweise erzeugen. Mit der AR-App kann der Nutzer Bauteile und ihre Funktionen im einzelnen betrachten, Serviceprozesse nachvollziehen oder detaillierte Statusinformationen und Handlungsanweisungen bekommen.

Die sprachgesteuerte Implementierung erlaubt eine AR-unterstützte Fernwartung auf Grundlage des digitalen Zwillings und hat grundlegende Funktionen für die Eigenanalyse, die sogenannte Predictive Maintenance, bereits angelegt. Ein innovativer Bestandteil der AR-App ist die enge Kopplung mit dem Fernwartungssystem. Der Support kann mit einer AR-Brille den digitalen Zwilling des Gerätes aufrufen. Durch eine spezielle Hardware-Erweiterung können Handbewegungen und Gesten des Servicetechnikers synchron an die Visualisierung der Tablet-App gesendet werden. Die exakte Übertragung der Hände in die AR-Darstellung auf dem Tablet erzeugt den Eindruck, als stünde der Support direkt am Gerät. Dies vereinfacht die Kommunikation zwischen Service und Kunden um ein vielfaches, Probleme werden so schneller gelöst und die Verfügbarkeit der Geräte wird erhöht. Ebenso entfallen lange sowie teure Anfahrten. Der digitale Zwilling dient hier als interaktive Grundlage für ein ganzes Toolset an Applikationen, die die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine optimieren und erweitern.

Frau Wagner, Sie sind bei Koenig & Bauer Coding gemeinsam mit Steinbeis den Schritt in diese virtuelle Realität gegangen. Als Vice President Sales & Marketing hinterfragen Sie Investitionen auf ihre Wettbewerbsvorteile hin. Welche sehen Sie in Kyana?

Der größte Wettbewerbsvorteil ist sicherlich der unumstrittene Kundennutzen. Durch die Unterstützung von Kyana ist es möglich, die Produktionssicherheit signifikant zu erhöhen oder beispielsweise Tätigkeiten wie die kontinuierliche Bestellung von Betriebsmitteln an Kyana auszulagern. Der Kunde muss sich also nicht um ein weiteres Gerät in seiner Fertigung kümmern, sondern kann sich voll und ganz auf seine eigenen Produkte konzentrieren.

Zusätzlich bietet Kyana die Möglichkeit, präventiv die Funktion unserer Geräte zu überwachen, falls notwendig gegenzusteuern oder rechtzeitig Gegenmaßnahmen vorzuschlagen – ein gutes Gefühl, wenn unsere Kunden mit dieser neuen Technologie so viel zusätzliche Sicherheit und Up-time in ihren Produktionsprozessen erreichen können.

Die künstliche Intelligenz steckt noch in den Kinderschuhen, Prognosen auf die weitere Entwicklung gleichen wohl einem Blick in die Glaskugel. Herr Professor Schöls, wagen Sie diesen Blick bitte trotzdem für uns!

Durch die künstliche Intelligenz wird die Digitalisierung noch wichtiger und leistungsfähiger. Sie wird an vielen Stellen unser Arbeitsleben, aber auch Bereiche des öffentlichen und privaten Alltags positiv verändern. In der Medizin erhalten wir bereits heute einen ersten Eindruck davon, wie kongenial KI die Arbeit von Ärzten ergänzen und erweitern kann. Ohnehin sehe ich in der systemischen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Computer die größten Chancen für unsere Zukunft. Die künstliche Intelligenz kann aber nur Mehrwerte generieren, wenn sie in ihrem Wirken an menschlichen Vorgaben und Zielen ausgerichtet ist. Wird dies berücksichtigt, dann werden wir in Zukunft ganz neue Berufe erhalten und bestehende qualitativ optimieren.