- Steinbeis Transfer-Magazin - https://transfermagazin.steinbeis.de -

WENIGER IST MEHR: CO2-EMISSIONEN VON GEBÄUDEKONZEPTEN IM LEBENSZYKLUS

Steinbeis-Studie zeigt Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele im Wohnungsbau auf

Klimaschutz ist heute eine der drängendsten Aufgaben der Politik. Rund 40 % der CO2-Emissionen in Deutschland entstehen im Gebäudebereich. Bis 2050 strebt die Bundesregierung einen klimaneutralen Gebäudebestand an. Reichen die aktuellen Anforderungen an Wohngebäude aus, um dieses Klimaschutzziel zu erreichen? Und was macht ein klimaneutrales Wohngebäude aus? Das Steinbeis-Transferzentrum für Energie-, Gebäude- und Solartechnik aus Stuttgart hat sich im Rahmen von Studien im Auftrag des Umweltbundesamtes und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung mit diesen Fragen beschäftigt.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Treibhausgasausstoß bis 2050 gegenüber 1990 um 80 bis 95 % zu senken. Mit dem EnEV-2016-Neubaustandard erfüllt die Bundesregierung nach eigener Definition bereits die Anforderungen an Niedrigstenergiegebäude der Europäischen Union. Im Entwurf für das neue Gebäudeenergiegesetz werden die Anforderungen daher nicht weiter verschärft. Die durchschnittlichen Pro – Kopf-Emissionen für Wohnen, Mobilität, Ernährung, sonstigen Konsum und Infrastruktur belaufen sich in Deutschland momentan auf 9 Tonnen CO2 pro Jahr (vgl. Statista 2018). Um das Ziel einzuhalten, die globale Erwärmung auf 2 °C gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen, ist es notwendig die jährlichen Pro-Kopf- Emissionen bis zum Jahr 2050 auf 2 Tonnen CO2 zu reduzieren (vgl. Rogelj 2011). Für den Sektor Wohnen stehen dann noch jährlich 0,5 bis 0,7 Tonnen CO2 pro Person zur Verfügung (vgl. SIA 2011, ifeu). Wird eine durchschnittliche Wohnflächeninanspruchnahme in deutschen Ballungsräumen von etwa 40 m² pro Person zu Grunde gelegt, lässt sich ein CO2-Zielwert für ein klimaneutrales Gebäude zwischen 12 und 17 kg CO2- Äquivalent pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr ableiten.

In einer umfangreichen Betrachtung von Typgebäuden im Neubau und Bestand mit verschiedenen Wärmeversorgungsund Energiekonzepten im Rahmen einer vom Umweltbundesamt beauftragten Studie hat das Steinbeis-Team gezeigt, dass dieser CO2-Zielwert mit den heute bereits verfügbaren Technologien erreichbar ist. Ein übliches Mehrfamiliengebäude im EnEV-2016-Standard mit einer Wärmeversorgung aus Gaskessel und Solarthermie zur Unterstützung der Warmwasserbereitung verfehlt mit 42 kg CO2-Äquivalent pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr diesen Zielwert jedoch deutlich.

WIR HABEN BEI DER UNTERSUCHUNG NICHT NUR WIE ÜBLICH DEN GEBÄUDEBETRIEB, SONDERN DEN GESAMTEN LEBENSZYKLUS EINES GEBÄUDES INKLUSIVE HAUSHALTSSTROMVERBRAUCH UND AUFWAND FÜR DIE GEBÄUDEKONSTRUKTION MIT INSTANDHALTUNG UND ENTSORGUNG, DER SOGENANNTEN ‚GRAUEN ENERGIE’, BETRACHTET.

erläutert Dr.-Ing. Boris Mahler, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Energie-, Gebäude- und Solartechnik.

Eine strombasierte Wärmeversorgung mit Wärmepumpe und Photovoltaik führt zu 23 kg CO2-Äquivalent pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr und kann die Emissionen damit fast halbieren. Eine verbesserte Dämmung gemäß KfW-Effizienzhaus- Standard 55 reduziert den Energieeinsatz und senkt die CO2-Emissionen nochmals leicht auf 20 kg CO2- Äquivalent pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr. Die Integration einer Lüftung mit Wärmerückgewinnung und die zusätzliche Ver besserung der Gebäudehülle auf KfW-Effizienzhaus- Standard 40 können die CO2-Emissionen bei der regenerativ geprägten Wärmeversorgung nicht weiter reduzieren.

 

Ökobilanz von Gebäudekonzepten am Beispiel Neubau Mehrfamilienhaus © Steinbeis-Transferzentrum EGS

 

30 bis 40 % der CO2-Emissionen im Lebenszyklus entfallen bei Gebäuden in Massivbauweise auf die „graue Energie“ für die Gebäudekonstruktion. Eine ressourcenschonende Baukonstruktion eines Mehrfamilienhauses in Holzbauweise kann dagegen diesen Anteil fast halbieren. „Durch die Kombination aus Holzbauweise, dem maximalen Einsatz von Photovoltaik auf dem Dach, einer strombasierten Wärmeversorgung mit Wärmepumpen und einer verbesserten Dämmung gemäß KfW-Effizienzhaus 55 kann bereits heute ein klimaneutrales Wohngebäude erreicht werden“, macht Simone Idler das Potenzial deutlich.

Die meisten Szenarien für das Jahr 2050 gehen von einem Strom-Mix mit deutlich niedrigeren CO2-Emissionen aus. Auch unter diesen Randbedingungen ändern sich die Aussagen der Steinbeis-Untersuchung nicht. Wirksame und kosteneffiziente Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele sind eine regenerative Wärmeversorgung durch Wärmepumpen, Biomasse oder ökologische Fernwärme in Verbindung mit dezentraler Strombereitstellung aus Sonnenund Windenergie, eine gut gedämmte Gebäudehülle auf KfW-Effizienzhaus 55-Niveau vor allem im Neubau und eine ressourcenschonende Bauweise in Holz-, Leicht- oder Hybridbauweise im Neubau oder dem Bestandserhalt bei Gebäudesanierungen. Über die Gebäudemaßnahmen hinaus ist die Dekarbonisierung der „Energie-Infrastruktur“ notwendig.

Die Steinbeis-Studie betont: Eine ganzheitliche Gebäudebewertung muss die Bilanzgrenze über den reinen Gebäudebetrieb hinaus erweitern und den Aufwand für „graue Energie“ sowie den Nutzerstrom mit einbeziehen. Um die Umsetzung klimaneutraler Gebäudekonzepte zu forcieren, empfiehlt das Team am Steinbeis-Transferzentrum beim Nachweisverfahren die Einführung eines CO2-Labels für Gebäude.