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Digitalisierung im Mittelstand: Warum bleibt der Nutzen aus?

Steinbeis-Team berät bei der Umsetzung von Digitalisierungsprozessen im Unternehmen

Der deutsche Mittelstand sieht den Nutzen der digitalen Produktion weniger beim Kunden als vielmehr in der Optimierung und Flexibilisierung der eigenen Produktionsabläufe. Diese Erfahrung machen Dr. Maja Jeretin-Kopf und Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Haas, Leiter des Karlsruher Steinbeis-Transferzentrums BAT-Solutions, in ihrer Projektarbeit. Doch auch für diese anstehenden Optimierungs- und Flexibilisierungsprozesse scheinen die deutschen KMU noch keinen genauen Plan zu haben. Welchen Aufgaben müssten sie sich also stellen?

In den vergangenen Jahren waren neue Maschinen und neue Technologien die auffälligsten Kennzeichen für Innovationen. Investitionen in neue Maschinen und Produktionsanlagen sowie in dazugehörige Steuerungssysteme verschafften den Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil. Vor allem in der Massenfertigung wurden die Produktions- und Fertigungsverfahren optimiert, die Rolle des Facharbeiters wurde weitgehend einer funktionierenden und vorherbestimmten Produktionskette angepasst. Die Überzeugung, dass Investitionen in neue Maschinen und Anlagen die Voraussetzung für einen Wettbewerbsvorteil sind, ist daher im deutschen Mittelstand noch stark verankert. Dies allein reicht aber nicht aus. Damit Produktionsabläufe optimal und flexibel sind, müssen folgende Schritte unternommen werden:

  1. Aufwand reduzieren
  2. Flexibilität erhöhen
  3. Transparenz schaffen
  4. Arbeitsattraktivität steigern

Warum fällt es den mittelständischen Unternehmen so schwer, diese erforderlichen Optimierungs- und Flexibilisierungsprozesse in Angriff zu nehmen? Der Nutzen, den sich die Unternehmen zunächst durch die Digitalisierung versprechen, nämlich die Erhöhung der Produktionsflexibilität, schnellere Reaktionszeiten und die Erhöhung der Gesamtanlageneffektivität, ist aus der Sicht der Mitarbeitenden mit einer Steigerung der Komplexität bei gleichzeitiger Reduktion der verfügbaren Zeit verbunden. Während sich die Mitarbeitenden also mit einer Verdichtung der Aufgaben und einer Erhöhung der Arbeitsintensität konfrontiert sehen, ist die Unternehmensführung mit der Aufgabe konfrontiert, neue Innovationspotenziale zu erkunden und neue Märkte zu erschließen. Dies bedeutet, dass zusätzlich zur vorhandenen Arbeit für die Belegschaft neue Aufgaben anstehen.

Aus Sicht der Unternehmensführung stellt sich das Problem allerdings noch etwas anders dar. Die Flexibilisierung der Produktion wird als ein technisches Problem gesehen, für das es bereits technische Lösungen gibt, die nur nicht effektiv und zielstrebig eingesetzt werden. Zwischen der Sicht der Mitarbeitenden und jener der Unternehmensführung scheint eine Kluft zu bestehen.

Um den Kern des Problems verstehen zu können, muss man sich die Situation deutscher Unternehmen vergegenwärtigen. Viele Unternehmen in Deutschland sind deshalb so erfolgreich, weil sie eine technologische Nische besetzen. Als Konsequenz ergibt sich daraus für das Unternehmen, dass der Weg zu autonomen Produktionsprozessen vom Expertenwissen der Mitarbeitenden abhängt. Es stellt sich die Frage, ob die Mitarbeitenden bereit und in der Lage sind, die erforderlichen Innovationsprozesse einzuleiten. Denn Innovationsprozesse sind Veränderungsprozesse. Sie erfordern ein hohes Maß an Neugierde, Leistungswillen, Motivation und Freude an der Arbeit. Ohne diese Komponenten liegt das Expertenwissen brach und wird nicht für Veränderungsprozesse genutzt. Mitarbeitende, denen diese Einstellungen fehlen, reagieren mit Ablehnung und arbeiten an den Prozessen vorbei. In den vergangenen Jahrzehnten fehlte in vielen Unternehmen eine Unternehmenskultur, die diese Einstellungen förderte. Die Folgen sind gravierend. Was den Mitarbeitenden in den Unternehmen häufig fehlt, sind die persönlichen Entwicklungs- und Arbeitsziele. Hinzu kommt, dass die Mitarbeitenden sehr wohl die Innovationskraft des Unternehmens einschätzen können. Fällt ihr Urteil negativ aus, führt das zu einer hohen Fluktuationsrate.

Was ist nun zu tun? Die Mitarbeitenden müssen den sozialen Sinn ihres Tuns für sich selbst, das Unternehmen und die Gesellschaft begreifen. Ohne die Eingebundenheit in soziale Kontexte verliert Arbeit ihren Sinn. Vor allem bei so abstrakten technischen Phänomenen wie der Digitalisierung fällt es den Mitarbeitenden schwer, den Sinn der technischen Entwicklung nachzuvollziehen. Wo aber im Tun der Sinn fehlt, da bemüht sich der Mensch nicht um ein Vorwärtskommen.

Wie lässt sich das aber in den Unternehmen umsetzen? Der mehrperspektivische Ansatz der Technikdidaktik liefert dafür die Grundlagen, auf denen die Beratungs- und Weiterbildungsangebote des Steinbeis-Transferzentrums BAT-Solutions basieren. Um die Technik mit allen ihren Ausprägungen begreifen und zu einer technischen Weiterentwicklung beitragen zu können, sind aus technikdidaktischer Sicht drei Fähigkeitsdimensionen erforderlich:

  1. Wissen und Verstehen: Sachwissen, aber auch das Verständnis darüber, wie die Technik in allgemeine Strukturzusammenhänge eingebunden ist.
  2. Handeln und Können: Die Fähigkeit, sachverständig zu handeln.
  3. Beurteilen und Bewerten: Hier spielt das Verständnis eine Rolle, dass Technik stets wertbezogen ist, Bedürfnisse, Interessen und Bestrebungen unterschiedlicher Akteure beeinflussen den Prozess der Technikgenese (Schlagenhauf und Wiesmüller 2018).

Fach- und Führungskräfte erwerben so pädagogische und technikdidaktische Kompetenzen, die sie in die Lage versetzen, im eigenen Unternehmen Workshops mit der Belegschaft durchzuführen. Sie lernen dabei, wie sie ihre Mitarbeitenden in die Weiterentwicklungsprozesse des Unternehmens einbinden können.

In einem mittelständischen Unternehmen nahm mit der Einführung einiger Neuerungen in der Produktion die Zahl der Kündigungen drastisch zu. Um die Gründe für diese hohe Kündigungsrate zu finden, wurden auf allen Ebenen des Unternehmens Workshops durchgeführt, in denen die Stärken und Schwächen des Unternehmens aus Sicht der Mitarbeitenden erarbeitet wurden. Bald stellte sich heraus, dass die Unzufriedenheit in der Belegschaft sehr groß und auf vier Faktoren zurückzuführen war: mangelnde Kommunikation und Information, schlechtes Betriebsklima, nicht geklärte Zuständigkeiten und ein demotivierender Führungsstil.

Als erste Maßnahme wurden Meister darin geschult, Workshops zur Erarbeitung von Verbesserungsmaßnahmen durchzuführen. Der Erwerb didaktischer und methodischer Kenntnisse half ihnen, Ziele und Inhalte für die Workshops zu definieren, den Ablauf der Workshops zu strukturieren und die Mitarbeitenden aktiv an den Workshops zu beteiligen. Einer der wichtigsten Bestandteile der Workshops war die Reflexion des eigenen Tuns. Zudem wurde stets gefragt, welche Bedeutung das eigene Tun innerhalb und außerhalb der vernetzten Wertschöpfungskette hat.

Innerhalb von wenigen Wochen erarbeiteten die Meister mit der gesamten Belegschaft einen Verhaltenskodex und Standards für die Informationsflüsse. Mit einer neuen Intranetseite sorgen sie für mehr Transparenz. Eine Gruppe führte einen KVP-Prozess ein. Sowohl die KVP-Gruppe als auch die Meister-Gruppe berichteten direkt an den Geschäftsführer. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Betriebsklima nachweislich deutlich besser, durch die besseren Informationsflüsse verkürzten sich die Durchlaufzeiten für die Produkte und die Kündigungsrate sank stark.

Die Digitalisierung wird nur dann für die Unternehmen einen Nutzen bringen, wenn die Mitarbeitenden an den Innovationsprozessen beteiligt werden. Dies gelingt, wenn sich Fach- und Führungskräfte auch pädagogisch-didaktische Kompetenzen aneignen. Die Qualifizierung der Fach- und Führungskräfte im eigenen Unternehmen hat zudem zwei Vorteile: Zum einen können die betriebsinternen Weiterbildungen an die spezifischen fachlichen und qualitativen Anforderungen des Unternehmens angepasst werden. Zum anderen ist die Nachhaltigkeit der Bildungsmaßnahmen eher gewährleistet, da sie auf eine nachhaltige Weiterbildungskultur im Unternehmen ausgerichtet sind.