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„Im Endeffekt muss es darum gehen, das beste Ergebnis für den Patienten zu bekommen“

Im Gespräch mit Professor Dr. Tobias Preckel, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Medizintechnik & Life Sciences, und Professor Dr. Sascha Seifert, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums E-Health- Systeme und Medizinische Informatik

Medizin der Zukunft, Datenschutz und Digitalisierung – über diese und weitere aktuelle Entwicklungen in der Medizin haben Professor Dr. Tobias Preckel und und Professor Dr. Sascha Seifert mit der TRANSFER gesprochen.

Herr Professor Seifert, Herr Professor Preckel, Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche, auch Wissenschaft und Forschung sind davon betroffen. Was bedeutet diese Entwicklung für den Bereich Life Sciences?

Preckel: Eine der wichtigen Veränderungen ist, dass die Erkenntnisse im Bereich Life Science mehr und mehr durch die Vernetzung von Daten entstehen. Früher war die übliche Vorgehensweise, dass man sich in der Forschung zum Beispiel ein einzelnes Gen oder ein einzelnes Protein herausgegriffen hat, diese Einzelkomponente und eventuell noch deren Interaktionen in der Zelle untersucht und dann versucht hat, daraus Erkenntnisse abzuleiten. Der Ansatz heute ist komplett anders, das Stichwort dazu lautet Systembiologie: Jetzt geht es darum, bei Forschungsexperimenten mit neueren Methoden nicht nur eine Komponente, sondern die Gesamtheit aller Gene oder den gesamten Proteinsatz in der Zelle zu untersuchen. Dabei werden riesige Datenmengen generiert. Die Herausforderung besteht darin, aus diesen Daten sinnvolle Zusammenhänge herleiten zu können. Aus meiner Sicht ist das der wichtigste Aspekt der modernen Entwicklung.

Seifert: Auch die Entwicklung im Bereich Sensorik ist enorm: Mittlerweile gibt es neue Sensoren, zum Beispiel für das DNA-Sequenzieren der dritten Generation, so groß wie USB-Sticks. Auch die Informatik und die Algorithmen werden immer besser, so dass man auf einem normalen Laptop große Datenmengen analysieren kann. Der weitere wichtige Trend ist der hin zu mobilen Geräten, die bereits aktuell als Sensor und auch für die Diagnostik eingesetzt werden.

Herr Professor Preckel, welche Trends bestimmen Ihrer Meinung nach die Zukunft der Medizintechnik und insbesondere der medizinischen Diagnostik und welche Herausforderungen bringen diese mit?

Ich sehe drei wichtige Trends: Den ersten hat Herr Seifert schon erwähnt, das ist die DNA-Sequenzierung. Durch neuartige Verfahren ist die Sequenzierung eines menschlichen Genoms mittlerweile so günstig geworden, dass die Kosten im Bereich liegen, den die Krankenkassen übernehmen. Damit steht die genetische Information des Patienten stets zur Verfügung und man kann daraus alle möglichen Informationen ableiten, zum Beispiel zu Erkrankungsrisiken, was eine gezielte Vorsorge erlauben wird. Das bringt aber auch die Datenschutzproblematik mit sich. Eine andere Möglichkeit, die sich aus der DNA-Sequenzierung ergibt, ist die individuelle Behandlung von Patienten – also personalisierte Medizin, dabei wird die Behandlung individuell auf den Patienten angepasst. Der zweite Trend besteht darin, dass die Bioinformatik stark an Bedeutung gewinnt: Die DNA-Sequenzierung bringt riesige Datenmengen mit sich, die müssen erstmal gespeichert und analysiert werden. Der dritte Trend, den ich sehe, ist die Zellreprogrammierung, dabei können krankheitsbedingende Gene mit einer bestimmten Methode relativ einfach ausgetauscht werden. Es ist natürlich eine Zukunftsvision, dass man Krankheiten bekämpfen kann, indem man Gene von Körperzellen verändert, aber die Forschung arbeitet sehr intensiv daran. Der Ansatz birgt natürlich auch Risiken. So können mit derselben Methode sogenannte Bio-Hacker aus relativ ungefährlichen Bakterien sehr gefährliche Bakterien herstellen, die dann als Bio- Waffe oder für terroristische Attacken genutzt werden können. Dazu kommen natürlich auch ethische Fragen, da man menschliche Eigenschaften mit genetischen Methoden verändern kann, von der Augenoder Haarfarbe bis zur mathematischen Begabung. Das sind die drei wichtigsten Trends. Des Weiteren führen die neuen Entwicklungen dazu, dass Unternehmen, die vorher nicht im medizintechnischen Bereich tätig waren, hier neue Anwendungsgebiete für ihre Produkte entdecken. Dieser Markt stellt sie vor völlig ungewohnte Herausforderungen, da sie dort sehr aufwändige Zulassungsverfahren und ganz andere Kundenanforderungen haben. Hierfür benötigen sie entsprechende Expertisen. Diese müssen sie entweder neu im Unternehmen aufbauen oder extern einkaufen. Das ist ein Trend, der sich speziell für die Industrie aus den neuen Entwicklungen ergibt.

Herr Professor Seifert, ein entscheidender Knackpunkt bei der Digitalisierung in der Medizin ist der Schutz von hochsensiblen Patientendaten. Welche Lösungen sehen Sie für diese Herausforderung?

Man sagt immer Datenschutz, aber eigentlich will ich nicht die Daten sondern die Persönlichkeitsrechte schützen. Ende Mai ist die neue Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten, die große Auswirkungen auf sämtliche Industriezweige und auch auf Krankenhäuser sowie Arztpraxen hat. Alles muss dokumentiert werden, was gerade für die Arztpraxen einen enormen Aufwand bedeutet. Daher glaube ich, dass sich hierfür ein neuer Industriezweig bilden wird, der die Arztpraxen bei diesen Tätigkeiten unterstützen wird. Auch für die Forschung ist das Thema Datenschutz sehr heikel, denn eigentlich will man in der Forschung sehr viele Daten bekommen und dann stellt sich die Frage, wie geht man mit diesen um: So können die Forscher zum Beispiel feststellen, dass bei einer Person eine Krankheit vorliegt. Eigentlich sollte diese Person darüber informiert werden – was dem Datenschutzgedanken widerspricht – aber es gibt keine Möglichkeit dazu, da nur anonymisierte Daten vorliegen. Andererseits stellt sich gerade in Zeiten von Big Data die Frage, ob die Daten wirklich anonym sind, denn sehr oft kann man anhand von Daten auf den Patienten zurückschließen, ohne dass dessen Name und Adresse vermerkt sind. So kann man zum Beispiel ab 70 SNP, das sind die Mutationen im Erbgut, diese eindeutig einer Person zuschreiben. Gerade im Zuge des aktuellen Trends zum Aufbau von Bio-Datenbanken kann man auf Basis dieser Daten die Person eindeutig identifizieren. Es gibt bereits verschiedene Vorschläge, auch vom deutschen Ethikrat, wie der Datenschutz in Bio-Datenbanken umgesetzt werden kann. Der Datenschutz ist auch bei Clouds ein wichtiges Thema, da die meisten Cloud- Provider in den USA sitzen, wo der Datenschutz anders als in Europa geregelt ist. Das andere Beispiel ist der Strava Fitness-App-Vorfall: Die per GPS erfassten Laufrouten der Nutzer haben die geheimen USAStützpunkte aufgedeckt. Wie Sie sehen, gib es beim Thema Datenschutz noch viele Aspekte, die berücksichtigt werden sollten. Eine richtige Lösung kann ich Ihnen auch nicht geben, aber es gibt verschiedene Trends. Auf jeden Fall ist die DSGVO ein sehr guter Weg in die richtige Richtung.

Herr Professor Seifert, Herr Professor Preckel, wie sieht Ihrer Meinung nach die Medizin der Zukunft aus: Werden wir von Computern behandelt und von Robotern gepflegt?

Preckel: Ich denke, dass die menschliche Komponente ein wichtiger Bestandteil des Heilungsaspektes von Erkrankungen ist und bleiben wird. Ich kann eventuell technische, medikamentöse und Gerätebehandlung, Routinearbeiten also, durch Roboter abdecken, aber der menschliche Bezug zum Arzt oder Ärztin oder zur Pflegekraft kann dadurch nicht ersetzt werden. Was sich in der Zukunft aus meiner Sicht bessern wird ist die Qualität der medizinischen Behandlung. So können zum Beispiel durch die Zusammenfassung verschiedener medizinischer Daten Behandlungsfehler vermieden werden. Ein anderer Aspekt könnte sein, dass nicht nur ein Arzt entscheidet, sondern dass mehrere Ärzte die Möglichkeit haben die Daten zu sichten und Entscheidungen zu treffen, ohne lokal an derselben Stelle zu sitzen oder beim Patienten zu sein. Diese durch die Digitalisierung bedingten Entwicklungen sehe ich als überwiegend positiv. Es gibt aber auch den Kostenaspekt, denn es ist günstiger, die Daten im Ausland zu sichten. Aber was ist mit der Qualität? In diesem Fall muss sichergestellt werden, dass die medizinische Ausbildung dort dem deutschen Standard entspricht.

Seifert: Ich sehe die Sache auch eher positiv, zum Beispiel das Prinzip der zweiten Meinung. Hier kann auch der Computer eingesetzt werden. So wird bereits in der bildgebenden Diagnostik oft eine Software genutzt, die überprüft, ob der Arzt alles entdeckt hat. Auch an den Robotern als Unterstützung werden wir nicht vorbeikommen, denn der Fachkräftemangel und der demografische Wandel werden im Endeffekt dazu führen. Es gibt natürlich immer das Spannungsfeld zwischen Qualität und Kosten in der Medizin, das lässt sich eigentlich nur über bessere Technik auflösen. Im Endeffekt muss es darum gehen, das beste Ergebnis für den Patienten zu bekommen. Die Trends gehen bereits in die Richtung, dass man die Patienten mehr in die Behandlung involviert und informiert, so dass sie mehr mitentscheiden können.

Kontakt

Professor Dr. Tobias Preckel

Professor Dr. Tobias Preckel leitet das Steinbeis-Transferzentrum Medizintechnik & Life Sciences an der Hochschule Pforzheim und bietet seinen Kunden Technologietransfer, Marktanalysen sowie Technologiebewertung in den Bereichen Medizintechnik & Life Sciences.

Professor Dr. Tobias Preckel
Steinbeis-Transferzentrum Medizintechnik & Life Sciences (Marxzell)

 

 

Professor Dr. Sascha Seifert

Professor Dr. Sascha Seifert ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums E- Health-Systeme und Medizinische Informatik an der Hochschule Pforzheim. Zu den Tätigkeitsschwerpunkten des Steinbeis-Unternehmens gehört die Unterstützung von Kunden in Anwendungs- und Forschungsprojekten durch Technologieberatung oder Coaching in den Bereichen Informationssysteme, Computergestützte Diagnose und Therapie, Mobile Health und Bioinformatik-Methoden für Life Science-Anwendungen.

Professor Dr. Sascha Seifert
Steinbeis-Transferzentrum E-Health-Systeme und Medizinische Informatik (Königsbach-Stein)