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Neue Ökosysteme durch Digitalisierung und Vernetzung – Eine Herausforderung auch für die Wissenschaft

In Zeiten der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung (DuV) wird vermehrt von der Entstehung neuer Ökosysteme gesprochen. Aber was meint das eigentlich genau? Handelt es sich um digitale oder unternehmerische Ökosysteme oder aber sogar beides? Und inwiefern lassen sich technologische und wirtschaftliche Entwicklungen durch ein Konzept aus der Ökologie erklären?

Betrachtet man die DuV nicht nur aus dem Blickwinkel des technologischen Fortschritts, sondern auch als Veränderung des gesamten Wertschöpfungsprozesses, so entstehen durch die Vernetzung von Objekten auf Basis der Internettechnologie nicht nur neue Produkt-Service-Systeme, sondern auch Chancen für Unternehmen, über branchenübergreifende und interdisziplinäre Kooperationen den eigenen Wertschöpfungsanteil zu steigern. Durch die Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen im Kontext der DuV entstehen wertschöpfungsorientierte und internetbasierte Ökosysteme (Weber/Lasi 2017). Technische Plattformen unterstützen dabei die Kommunikation zwischen den Unternehmen als auch mit dem Kunden. Aber der Aufbau von Kooperationen kann nicht nur über technische Lösungen erfolgen: Er muss auch über ein gemeinsames Verständnis zwischen den Unternehmen von der partnerschaftlichen und pragmatischen Entwicklung gemeinsamer Wertschöpfungsszenarien erfolgen. Die DuV befähigt somit die Entstehung von gleichzeitig digitalen und unternehmerischen Ökosystemen. Die Betrachtung dieser Entwicklung als Ökosystem ist dabei ein analytischer Blickwinkel, der dabei helfen kann, die Heterogenität der Zusammensetzung, aber auch die Tragfähigkeit der Kooperation zu erklären.

Im Altgriechischen steht „oikós“ für „Haus“ und „sýstema“ für das „Zusammengestellte“ oder das „Verbundene“. Der Ökologe Kurt Jax (2008) definiert Ökosysteme als die „Zusammenfügung von Organismen unterschiedlicher Kategorien (Arten oder Lebensformen), zusammen mit ihrer abiotischen Umwelt, in Raum und Zeit“.

In den Wirtschaftswissenschaften wird „Ecosystem“ definiert als die Gemeinschaft aller Akteure in einer Branche (Wirtschaftsökosysteme oder Unternehmensökosysteme). Ein großer Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich zudem mit „Entrepreneurship Ecosystems“ als das soziale und wirtschaftliche Umfeld von lokalem und regionalem Unternehmertum. Im Kontext des Entrepreneurship bezieht sich Ökosystem auf die Faktoren (Personen, Organisationen und Institutionen) in der Umgebung eines Unternehmers, die diesen dahingehend beeinflussen oder davon abhalten, unternehmerisch tätig zu werden.

Die Definition von digitalen Ökosystemen ist schon weniger eindeutig. Bisher besteht wenig Einigkeit darüber, wie digitale Ökosysteme genau abgegrenzt werden und wo sie zur Anwendung kommen. Nach Dieter Masak (2008: 103) ist das übergeordnete Ziel eines digitalen Ökosystems die Überwindung komplexer dynamischer Herausforderungen auf eine skalierbare und effiziente Art und Weise. Das digitale Ökosystem imitiert dabei das Verhalten biologisch komplexer Systeme, um ein dynamisch anpassbares Gesamtsystem aufzubauen (Masak 2008: 103). Als Beispiel für ein digitales Ökosystem wird häufig Apple genannt. Im Gegensatz zur biologischen Definition von Ökosystemen, fehlt Apple jedoch ein wichtiges Kriterium: die Offenheit.

Die Besonderheit von Ökosystemen im Kontext der DuV, wie sie zum Beispiel im Rahmen sogenannter Testbeds (siehe Beiträge S.18 und S.32) entstehen, besteht in der Verbindung der wirtschaftlichen und der technologischen Interpretation des Ökosystemkonzepts plus der in der Biologie vorhandenen Offenheit des Systems. Bei der Analyse von wertschöpfungsorientierten und internetbasierten Ökosystemen steht auch die Wissenschaft somit vor neuen Herausforderungen. Zum einen gilt es die vorhandenen Ansätze aus Wirtschaft und Technik auf sinnvolle Art und Weise zu verknüpfen, um Faktoren zu entwickeln, die eine vergleichende Analyse von neu entstehenden Ökosystemen ermöglicht. Die Entrepreneurial Ecosystem Literatur bietet hier nützliche Anknüpfungspunkte, um relevante Charakteristika zu identifizieren. Die biologische wie auch ökologische Sicht kann wiederum dabei helfen, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden sowie die Dynamiken der Beziehung innerhalb eines unternehmerischen Ökosystems zu analysieren (Borissenko/Boschma 2017: 7). Da Ökosysteme im Kontext der DuV eine Reihe von heterogenen Akteuren aus verschiedenen Branchen und Disziplinen zusammenbringen, empfiehlt sich auch die Betrachtung der Netzwerkdimension. Ansätze aus der Netzwerktheorie ermöglichen die Analyse der Stabilität und auch der Nachhaltigkeit solcher Systeme, wie auch die Identifikation verschiedener Typen von Ökosystemen (Borissenko/Boschma 2017: 13). Die Definition von Ökosystem im Kontext der DuV sollte somit im nächsten Schritt aus einer ganzheitlichen und interdisziplinären Perspektive erfolgen.

Kontakt

Dr. Marlene Gottwald
Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)