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„Wissen macht den Unterschied – nicht die Daten allein“

Wie digitale Zwillinge Kooperation auf Augenhöhe und neue Geschäftsmodelle ermöglichen

Kooperation, Kollaboration, Nachhaltigkeit, digitale Zwillinge – wie hängen diese Begriffe zusammen? Warum sind Daten ohne Spezialisten nur begrenzt wertvoll? Und welche Investitionen müssen Unternehmen tätigen, um digitale Zwillinge in ihre Prozesse zu integrieren? Diesen Fragen ist die TRANSFER nachgegangen. Im Gespräch mit Professor Dr. habil. Heiner Lasi, akademischer Leiter des Ferdinand-Steinbeis-Instituts (FSTI) und Experte für digitale Transformation, wurde deutlich: Der Trend zu digitalen Zwillingen ist unaufhaltsam – und jedes Unternehmen kann davon profitieren.

Herr Professor Lasi, alle reden von Kooperation und Kollaboration: Welche Rolle können digitale Zwillinge dabei spielen?

Kollaboration klingt einfacher, als sie ist. In der Praxis gibt es meist einen Auftraggeber und einen Auftragnehmer – das klassische Kunden-Lieferanten-Verhältnis. Wir am Ferdinand-Steinbeis-Institut sind überzeugt: Echte Zusammenarbeit gelingt nur auf Augenhöhe. Dafür braucht es oft einen neutralen Moderator – eine Rolle, die wir übernehmen. Wir sprechen von Wertschöpfungsökosystemen, also Partnernetzwerken, in denen verschiedene Unternehmen ihre spezifischen Stärken einbringen und gemeinsam Mehrwert schaffen.

Gerade digitale Zwillinge ermöglichen diese Kooperation auf Augenhöhe. Ein Beispiel: Ein Pay-per-Use-Modell für eine Maschine oder ein landwirtschaftliches Gerät – etwa einen Mähdrescher. Viele wollen ihn nutzen, einer stellt ihn bereit. Doch angeboten wird nicht nur das Gerät selbst, sondern ein Leistungsbündel: Versicherung, Wartung, Finanzierung durch eine Bank, Beteiligung des Herstellers und gegebenenfalls ein Reparaturservice. Damit das funktioniert, müssen alle Partner auf der Datenebene zusammenarbeiten. Der Versicherer benötigt Transparenz über Risiken, die Bank über den Restwert, der Service über den Wartungszustand. Hier schafft der digitale Zwilling die notwendige Transparenz und ermöglicht, dass jeder Partner seinen Teil der Wertschöpfung steuern kann.

Was ist das Besondere an diesem Ansatz?

Digitale Zwillinge gibt es seit Jahrzehnten. Oft werden sie als visuelle Abbilder im Kontext von Virtual Reality verstanden oder als Simulationsmodelle, die etwa bei Predictive Maintenance helfen Ausfallraten zu senken. Doch das allein schafft kein neues Geschäftsmodell – höchstens für den Softwareanbieter. Auch Banken haben bereits versucht, Pay-per-X-Modelle mit dynamischer Finanzierung anzubieten, standen jedoch vor Hürden wie der fehlende Zugriff auf Maschinendaten oder mangelndes technisches Know-how. Wenn Maschinenhersteller solche Modelle anbieten, handelt es sich meist nur um eine neue Form von Leasing – solange die Steuerung in der Automatisierungstechnik bleibt.

Wir am FSTI orientieren uns an der Definition des Digital Twin Consortium: Ein digitaler Zwilling ist eine datenbasierte Repräsentanz eines realen Objekts, die aus einem konkreten Wertschöpfungspotenzial heraus motiviert ist. Digitale Zwillinge bilden Zustände ab und ermöglichen deren Veränderung – also die Steuerung realer Prozesse. Sie schaffen damit eine „Abstraktions- und Kooperationsschicht“, über die verschiedene Partner gemeinsam Prozesse steuern und Services anbieten können, ohne direkten Zugriff auf die Automatisierungstechnik zu benötigen.

Müssen digitale Zwillinge immer große, komplexe Vorhaben sein?

Nicht unbedingt. Wenn man vom klassischen Verständnis ausgeht, dass ein digitaler Zwilling ein vollständiges Modell von einem Produkt ist, inklusive Geometrie, Visualisierung etc., sind solche Projekte aufwendig und teuer. Wir am FSTI starten jedoch bewusst klein und pragmatisch – meist mit einem konkreten Business Case wie Pay-per-Use. Dabei identifizieren wir die Zustandswerte, die Partner wirklich benötigen, um ihre Leistung zu erbringen. Oft genügen dafür weniger als zehn Datenpunkte. Solche Zwillinge lassen sich schnell und kosteneffizient umsetzen. Da viele Sensoren ihre Werte ohnehin direkt in Cloud-Umgebungen übertragen, sind keine hohen IT-In­vestitionen nötig – die Einstiegskosten bleiben also überschaubar.

Viele Unternehmen zögern, ihre Daten mit Dritten zu teilen. Wie gehen Sie mit solchen Bedenken um?

Wir stellen sicher, dass nur die Daten geteilt werden, die für das jeweilige Geschäftsmodell und den jeweiligen Partner erforderlich sind. Entscheidend ist aber weniger, wer welche Daten hat, sondern wer sie sinnvoll nutzen kann. Denn seien wir ehrlich: Auch in den USA oder China existieren ähnliche Datensätze. Unser Vorteil in Europa liegt in der fachlichen Expertise – in den Menschen, die verstehen, wie Strömungsgeschwindigkeiten oder Wärmeübertragungskoeffizienten wirken. Sie können Daten interpretieren und in Wissen verwandeln. Dieses Wissen macht den Unterschied – nicht die Daten allein. Wenn wir jedoch zu lange zögern, riskieren wir, in diesen Zukunftsthemen den Anschluss zu verlieren.

Wie können digitale Zwillinge Nachhaltigkeit fördern?

Zum einen schon in der Produktentstehung, indem sie helfen, die Effizienz zukünftiger Produkte zu steigern. In der Nutzungsphase ermöglichen sie einen energie- oder vielmehr CO₂-optimierten Betrieb – was nicht dasselbe ist. Darüber hinaus lassen sich mithilfe digitaler Zwillinge gesamte Systeme statt nur Einzelmaschinen optimieren. So können wir beispielsweise in der Kreislaufwirtschaft die Lebenshistorie von Produkten nachverfolgen und deren Wiederverwendung gezielt steuern.

Bedeutet das, dass in Zukunft kaum etwas ohne digitale Zwillinge funktioniert?

Ganz eindeutig: ja. Die Entwicklung schreitet weltweit voran. Am FSTI arbeiten wir eng mit dem Digital Twin Consortium zusammen und sehen, dass das Konzept in immer mehr Branchen Einzug hält – vom Maschinenbau über die Landwirtschaft bis hin zu kritischen Infrastrukturen. Der Trend ist klar. Noch aber sind wir an einem Punkt, an dem Unternehmen durch den Einsatz digitaler Zwillinge echte Wettbewerbsvorteile erzielen können.