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Die unterschätzte Fähigkeit in der modernen Arbeitswelt

Emotionale Intelligenz als Erfolgsfaktor

Emotionale Intelligenz galt lange als schwer greifbares Konzept jenseits traditioneller IQ-Tests. Doch aktuelle Studien und Modelle zeigen: Wer Emotionen versteht, nutzt und reguliert, ist beruflich oft erfolgreicher – unabhängig von Branche oder Position. Steinbeis-Unternehmerin Dr. Gülsüm Üzüm gibt einen Überblick über die historische Entwicklung, stellt zentrale Modelle vor und beleuchtet die Bedeutung für Arbeitsleistung, Führung und Personalentwicklung.

Der Zusammenhang von emotionaler Intelligenz mit Einstellung und Leistung (Quelle: Biemann, T./Weckmüller, H.)

Karriereentwicklung und emotionale Intelligenz (Quelle: Biemann, T./Weckmüller, H.)

Einfluss von emotionaler Intelligenz auf Führungskräfte (Quelle: Biemann, T./Weckmüller, H.)

In den letzten Jahren ist ein Gegenkonstrukt zum klassischen Intelligenzmodell entstanden, das Intelligenz nicht nur auf kognitive Fähigkeiten reduziert, sondern auch Emotionen umfasst. Bereits in den 1920er-Jahren propagierte Ewald Thorndike die Vorstellung einer sozialen Intelligenz. Er definierte sie als die Fähigkeit, internale Verhaltensmuster, Motive und Zustände beim Gegenüber wahrzunehmen und auf dieser Basis optimal zu reagieren.[8] Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Louis Thurstone [1] ein Intelligenzmodell mit sieben relativ autonomen „kognitiven Primärfaktoren“. 1976 formulierte Joy Paul Guilford [5] die Vorstellung, dass die menschliche Intelligenz 120 Faktoren umfasst. Jedoch konnte sich das Konzept der sozialen Intelligenz nicht durchsetzen und geriet zunehmend in Vergessenheit, obwohl vielfach Kritik am klassischen Intelligenzmodell geübt wurde.

Bis Ende der 1960er-Jahre wurde in der Wissenschaft das Konstrukt Emotion und Kognition differenziert betrachtet. Erst durch die „kognitive Wende“ rückten auch Emotionen in den Fokus wissenschaftlicher Ausführungen.[8] Einige Jahrzehnte später, in den 1980er-Jahren, fokussierte sich der Yale-Professor Howard Gardner auf ein Intelligenzmodell, das bis zu sieben Intelligenzen umfasste, und legte damit die Basis für zukünftige reformierte Intelligenzkonstrukte.[3] Mit zunehmender Relevanz neurowissenschaftlicher Befunde wurde auch der Emotionsbegriff intensiver untersucht.

Vor diesem Hintergrund veröffentlichten die Psychologen Peter Salovey, John D. Mayer und David R. Caruso 1990 ihren Artikel „Emotional Intelligence”, der in der Fachwelt aber zunächst unbeachtet blieb. Erst als Daniel Goleman 1995 das Konstrukt aufgriff und ein eigenes, populärwissenschaftliches Konzept in seinem Bestseller „Emotionale Intelligenz“ entwickelte, erreichte der Begriff breite Bekanntheit.[4] Heute existieren drei Hauptmodelle emotionaler Intelligenz: das Fähigkeitenmodell (Ability Model) von Salovey, Mayer und Caruso, die Mischmodelle (Mixed Models) – vertreten beispielsweise durch Goleman und Reuven Bar-On – sowie ein kombiniertes Modell von Zeidner et al. (2003), welches beide Ansätze vereint und aus entwicklungspsychologischer Perspektive betrachtet.[6]

Das Vier-Facetten-Modell: Wahrnehmen, nutzen, wissen und regulieren

Das Fähigkeitenmodell von Salovey, Mayer und Caruso ist das älteste wissenschaftlich fundierte Modell emotionaler Intelligenz. Es differenziert vier kognitive Fähigkeiten, die in Wechselwirkung stehen:

  1. Emotionswahrnehmung („emotional perception“): Die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen – etwa in Gesichts­ausdruck oder Körpersprache – wahrzunehmen und richtig zu interpretieren.
  2. Emotionsnutzung („emotional integration“): Die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen Emotionen und Gedanken zu erkennen und Emotionen zur Unterstützung kognitiver Prozesse einzusetzen.
  3. Emotionswissen („emotional understanding“): Die Fähigkeit, den Zusammenhang von unterschiedlichen Emotionen zueinander zu erfassen.
  4. Emotionsregulation („emotional management“): Die bewusste Steuerung eigener und fremder Emotionen, um intellektuelles und emotionales Wachstum zu generieren. Als Grundvoraussetzung dafür dient die erste
  5. Facette „Emotionswahrnehmung“, da Emotionen zuerst wahrgenommen werden müssen, um sie regulieren und verstehen zu können.

Diese Fähigkeiten bauen hierarchisch aufeinander auf – Emotionsregulation gilt als die komplexeste, Emotionswahrnehmung als fundamentale Grundlage.

Emotionale Intelligenz messen

Zur Messung emotionaler Intelligenz nach dem Fähigkeitenmodell wird der MSCEIT (Mayer-Salovey-Caruso Emotional Intelligence Test) eingesetzt. Er basiert auf dem früheren MEIS (Multifactor Emotional Intelligence Scale) und wurde 2011 von Schütz et al. adaptiert. Im Gegensatz zu Selbstbeschreibungsverfahren (wie sie bei den Mischmodellen genutzt werden) handelt es sich beim MSCEIT um einen leistungsbasierten Test, der kognitive Fähigkeiten misst. Als Basis dafür wurde von den Autoren der MEIS herangezogen – der erste leistungsbasierte Test zur Messung emotionaler Intelligenz nach dem Vier-Facetten-Modell.[7]

Emotionale Intelligenz als beruflicher Erfolgsfaktor

Emotionale Intelligenz hat seit ihrer Einführung zunehmend an Bedeutung in der Personalentwicklung gewonnen. Eine Metaanalyse von Caglar Dogru (2022) mit über 80.000 Probanden zeigt einen mittleren positiven Zusammenhang zwischen emotionaler Intelligenz und beruflichem Erfolg.[2] Auch ältere Studien bestätigen diese Tendenz. Die Effektstärke ist höher als die der Big-Five-Persönlichkeitsmerkmale (Gewissenhaftigkeit, Offenheit, Extraversion, Verträglichkeit und emotionale Stabilität) und entspricht den aktuellen Schätzungen der „prädiktiven Validität“[2] herkömmlicher Intelligenz für die Arbeitsleistung. Interessant: Während Persönlichkeitsmerkmale keine gemeinsame Grundlage aufweisen, lassen sich emotionale und allgemeine Intelligenz auf einen Globalfaktor reduzieren.

Weitere Studien, etwa von Grobelny et al. (2021), zeigen unabhängig von der Berufssparte durchgehend positive Korrelationen zwischen emotionaler Intelligenz und Arbeitsleistung – etwa im Management (r = 0,30), Vertrieb (r = 0,34), in Lehrberufen (r = 0,29) oder im Polizeidienst (r = 0,42). Auch individuelle Karriereerfolge werden durch emotionale Intelligenz beeinflusst, wie eine Studie von Pirsoul et al. (2023) belegt.[2]

Schon früh wurde kritisiert, dass emotionale Intelligenz lediglich eine Kombination verschiedener Persönlichkeitsfähigkeiten sei und daher keinen praktischen Nutzen für das Personalwesen habe. Eine Metaanalyse von Andrei et al. (2016)[2] zeigt jedoch, dass emotionale Intelligenz einen zusätzlichen Erklärungswert gegenüber klassischen Persönlichkeitsmerkmalen bietet – man spricht hier von inkrementeller Validität. Allerdings fällt dieser zusätzliche Beitrag statistisch signifikant, aber nur gering aus. Je nach Berufsfeld wird angenommen, dass emotionale Intelligenz die Wahl des Führungsstils sowie die Effektivität von Führung beeinflusst.

Emotionale Intelligenz trainieren

Angesichts der positiven Wirkungen stellt sich die Frage: Ist emotionale Intelligenz trainierbar? Es existieren zahlreiche Trainingsangebote, Checklisten und Praxisratgeber – ein lukrativer Markt. Victoria Mattingly und Kurt Kraiger (2019) untersuchten in einer Metaanalyse mit 84 Einzelstudien die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen. Ein Drittel dieser Studien nutzte experimentelle Designs mit Kontrollgruppen, sodass kausale Aussagen über die Effektivität möglich waren. Es wurden mittlere Unterschiede zwischen den Testscores der Versuchs- und der Kontrollgruppe gefunden. Die Autoren vergleichen die Werte für Interventionen zur Stärkung der emotionalen Intelligenz mit anderen Anwendungsbereichen von Personalentwicklungsmaßnahmen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die generierten Effektstärken in vergleichbarer Größenordnung wie in einer Metastudie zu Trainingseinheiten liegen (Arthur et al. 2003). Allerdings fehlt es bislang an differenzierten Aussagen zur Wirksamkeit spezifischer Methoden wie Coaching, Feedback oder Diskussionsrunden.[2]