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Mit Biotechnologie zu einer neuen industriellen Revolution

Im Gespräch mit Steinbeis-Experte Professor Dr.-Ing. habil. Rudolf Hausmann

Biotechnologie bietet innovative Lösungen für nachhaltige industrielle Prozesse und neue Geschäftsideen. Gleichzeitig stehen Unternehmen vor technologischen und regulatorischen Herausforderungen, die eine fundierte Strategie erfordern. Unterstützung erhalten sie von Professor Dr.-Ing. habil. Rudolf Hausmann, Leiter des Fachgebiets für Bioverfahrenstechnik an der Universität Hohenheim und Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Beratungszentrum Industrielle Mikrobiologie und Bioprozesstechnologie. Die TRANSFER traf ihn zu einem Gespräch, um mehr über Trends und Herausforderungen im Bereich der Biotechnologie zu erfahren. Sein Fazit: Die Biotechnologie kann nicht nur zur Defossilisierung beitragen, sondern auch hochwertige Arbeitsplätze schaffen.

Herr Professor Hausmann, welche thematischen Schwerpunkte setzt Ihr Steinbeis-Unternehmen?

Ich biete allgemeine Coaching- und Beratungsleistungen zu Themen der industriellen Biotechnologie an, insbesondere zu Themen der integrierten Prozessentwicklung, also der koordinierten Entwicklung von Bioprozessen und den dafür benötigten Mikroorganismen. Dazu gehören beispielsweise die Herstellung von Schutzkulturen, die Unterstützung bei der Auswahl geeigneter Apparate sowie die Entwicklung neuer Produkte. Mein Spezialgebiet ist die Produktion mikrobieller Biotenside. Aufgrund meiner bisher sehr anwendungsnahen Forschungsausrichtung bestehen bereits zahlreiche sehr gute Kontakte beziehungsweise Kooperationen mit Industriepartnern im Bereich der pharmazeutischen und industriellen Biotechnologie.

Welche wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche Relevanz haben diese Themen, insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit?

Meiner Meinung nach kann die Biotechnologie eine zentrale Rolle bei den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen spielen, vor denen Deutschland, aber auch Europa in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Nachhaltigkeit stehen. Der Wunsch der Kunden nach Nachhaltigkeit ist für viele Unternehmen ein wichtiger Anreiz, sich in der industriellen Biotechnologie zu engagieren. Biotechnologische Produkte sind in der Regel vollständig biologisch abbaubar, auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt und werden von den Konsumenten als „grün“ wahrgenommen. Ein typisches Beispiel für wirtschaftlich relevante Produkte sind Waschmittelenzyme, die mittlerweile in nahezu allen Waschmitteln enthalten sind. Ein aktueller Trend sind verschiedene Biotenside, die von mehreren Start-ups und etablierten Unternehmen in den letzten Jahren neu angeboten wurden. Dies sind Tenside mikrobiellen Ursprungs, die fermentativ aus nachwachsenden Rohstoffen oder sogar aus landwirtschaftlichen oder Lebensmittelresten hergestellt werden. Die Nutzung solcher Produkte trägt schrittweise zu einer verbesserten Nachhaltigkeit bei. Das ist allerdings ein sehr komplexes Thema und hängt von vielen Faktoren ab. Sicher ist, dass Bioprodukte zur Defossilisierung und somit auch zum Klimaschutz beitragen können.

Gesellschaftlich, aber auch wirtschaftlich relevant ist die Möglichkeit, dadurch neue hochwertige Arbeitsplätze zu erschaffen. Die pharmazeutische Biotechnologie in der Schweiz zeigt dies deutlich: Dort sind rund 66.000 Menschen im Pharma- und Biotechnologiesektor beschäftigt. Auf Deutschland übertragen müssten es anteilig mehr als 600.000 Arbeitsplätze sein. Tatsächlich sind in Deutschland aber nur knapp 170.000 Menschen im Pharma- und Biotechnologiesektor beschäftigt. Diese Diskrepanz zeigt, dass der Pharma- und Biotechnologiesektor in Deutschland künftig eine deutlich größere Rolle spielen könnte. Wenn in der Automobilindustrie in den nächsten Jahren, wie befürchtet, hunderttausende Arbeitsplätze verloren gehen, könnte die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Biotechnologiesektor mit innovativen und wissensbasierten Produkten Abhilfe schaffen. Leider sind Vorbehalte gegenüber der Gentechnik in der Gesellschaft nach wie vor weit verbreitet und tragen dazu bei, dass wir dieses Potenzial im Gegensatz zu anderen Ländern nur begrenzt nutzen. Hier ist die Gesellschaft insgesamt gefordert ein positiveres Innovationsklima zu schaffen.

Vor welchen technologischen Herausforderungen stehen Unternehmen, die sich mit diesen Themen beschäftigen?

Die technologischen Herausforderungen betreffen biologische und ingenieurmäßige Aspekte der Forschung, Entwicklung sowie Produktion. Für Unternehmen, die sich mit neuen biotechnologischen Produkten beschäftigen, steht als Erstes die integrierte Bioprozessentwicklung an, die die Stamm- und Verfahrensentwicklung umfasst. Dazu gehören auch die effiziente Trennung und Reinigung der Zielprodukte, insbesondere bei niedrigen Konzentrationen in der Fermentationsbrühe. Ein neuer Prozess muss dann vom Labor in den industriellen Maßstab gebracht werden, das sogenannte Upscaling. Für den Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems bedarf es meist auch umfangreicher chemischer und molekularbiologischer Analyseverfahren, die ebenso entwickelt und etabliert werden müssen.

Anders als in der pharmazeutischen Biotechnologie spielen die Robustheit und Reproduzierbarkeit der Produktionsprozesse in Hinblick auf die Variabilität der eingesetzten Rohstoffe eine wichtige Rolle. Hier kann die Integration von modellgestützter Automatisation helfen gleichbleibende Qualität und Effizienz zu gewährleisten. Der intelligente Einsatz von Sensorik und Datenanalyse zur Überwachung und Optimierung von Bioprozessen spielt hierzu eine wichtige Rolle. Bisher werden KI-basierte Modelle aufgrund der typischen Datenarmut nur selten eingesetzt. Ich rechne jedoch damit, dass KI immer mehr Einzug in die Bioprozesskontrolle finden wird.

Des Weiteren gilt es neben den technologischen Herausforderungen die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen, insbesondere in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie.

Schließlich ist es wichtig, ein interdisziplinäres Team aufzubauen und zu pflegen, welches die erforderlichen unterschiedlichen Fähigkeiten aus Biologie, Chemie, Verfahrenstechnik und IT zusammenbringt. Zu den nicht technischen Herausforderungen kommen noch Schwierigkeiten bei der Suche nach genau diesen qualifizierten Fachkräften dazu.

Wie können sowohl KMU als auch große Unternehmen – national und international – von Ihrer Expertise profitieren?

Zunächst geht es allgemein um einen unabhängigen Blick von außen, oft aber auch um ganz spezifische Fragestellungen. Insgesamt erhalte ich überraschend vielfältige Anfragen, von der Auswahl geeigneten Equipments bis hin zu spezifischen Fragen zu mikrobiellen Biotensiden, der Analytik sowie der Stamm- und Prozessentwicklung. Ich unterstütze auch bei der Suche nach Fachkräften und beim Technologie- sowie Wissenstransfer.

Wichtig ist, die Unsicherheiten durch eine unabhängige Perspektive und Erfahrung zu reduzieren, was wiederum zur Risikominimierung beiträgt. Durch die Diskussion und Bewertung der möglichen biotechnologischen Ansätze und Verfahren können Investitionsentscheidungen abgesichert werden. Sowohl KMU als auch große Unternehmen können dabei von meiner Expertise als externer Berater profitieren.

Bei spezifischen Problemstellungen kann ich auch bei etablierten Technologien und bewährten Methoden bestehende Prozesse unabhängig untersuchen und durch meine Erfahrung neue Impulse einbringen. So trage ich dazu bei, bestehende Prozesse zu optimieren, Strategien zu entwickeln und die Implementierung neuer Technologien zu unterstützen. Im Idealfall führen diese Bemühungen zu neuen Geschäftsmöglichkeiten oder zumindest zu Effizienzsteigerungen. Zuletzt biete ich Unterstützung bei der Mitarbeitergewinnung und -qualifizierung an.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen: Welche Trends werden die Entwicklungen der industriellen Mikrobiologie und Bioprozesstechnologie bestimmen?

Seit einigen Jahren wird in Fachkreisen immer wieder diskutiert, dass die globale Industrie an der Schwelle zu einer neuen industriellen Revolution steht, die von der Biotechnologie angetrieben wird. Ich stimme zu, dass die Bioverfahrenstechnik, die jüngste und am schnellsten wachsende aller Ingenieurwissenschaften an der Schnittstelle zwischen Chemieingenieurwesen und moderner Mikrobiologie, eindeutig das Potenzial hat, neuartige und disruptive Veränderungen in Gesellschaft und Industrie mit unvorhersehbaren Folgen herbeizuführen. Zu den konkreten Trends gehören die stetig wachsende Anzahl und Vielfalt biotechnologischer Produkte. Insbesondere ist hier die Lebensmittelbiotechnologie mit dem Stichwort „Cellular Agriculture“ oder „Precision Fermentation“ zu erwähnen. In diesem Bereich erwarte ich disruptive Veränderungen in der Lebensmittelversorgung, so wie Zitronensäure heutzutage auch nicht mehr aus Zitronen isoliert, sondern in biotechnologischen Verfahren hergestellt wird.

Wichtig ist auch ein zunehmender Trend hin zu weitgehender Automatisierung und Dezentralisierung der Bioproduktion. Für alle Bioprodukte bleibt jedoch eine überlegene Leistungsfähigkeit Voraussetzung für ihre Etablierung. Der hauptsächlich politisch motivierte Ersatz bisheriger petrochemisch basierter Chemikalien – Drop-in-Chemikalien – und Kraftstoffe läuft dagegen langsamer als erhofft und ist vom CO2-Preis abhängig.