- Steinbeis Transfer-Magazin - https://transfermagazin.steinbeis.de -

Sieben von dreizehn auf einen Streich

Unser Gesprächspartner Professor Dr.-Ing. Ralf Hörstmeier zeigt, wie Verschwendungen in Handwerksbetrieben und Kleinunternehmen der Vergangenheit angehören

Wo gehobelt wird, da fallen Späne, besagt ein Sprichwort. Für Professor Dr.-Ing. Ralf Hörstmeier waren diese sprichwörtlichen Späne vor mehr als zehn Jahren der Anlass die VFMEA®-Methode zu entwickeln. Seitdem unterstützt er Handwerk und Kleinunternehmen dabei, die Methode im Unternehmensalltag umzusetzen und damit Zeit und Geld zu sparen. Denn „VFMEA“ steht für Verschwendungs-, Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse und zeigt die kleinen und großen Mankos in Betrieben auf. „Hilfe mit und zur Selbsthilfe“ ist dabei die Devise des früheren Steinbeis-Unternehmers, der sich zum Gespräch mit der TRANSFER traf.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Herr Professor Hörstmeier, als Sie 2013 die VFMEA®-Methode entwickelten, waren Sie als Professor an der Hochschule Bielefeld aktiv. Woher kam in dieser Zeit Ihr Kontakt zu Handwerk und Industrie und Ihre Überzeugung, dass eine Methode zur Vermeidung von Verschwendung notwendig war?
Ich habe das Glück in der wirtschaftlich starken Region Ostwestfalen-Lippe tätig zu sein. Die praxisnahe Ingenieurausbildung an der Hochschule führte mich mit Projekten und Studierenden in verschiedene Unternehmen. Über viele Jahre sah ich die Aufwendungen größerer Betriebe – teilweise gemäß Kundenwunsch – bei der Bekämpfung von Fehlern und Verschwendungen. Der Aufwand war immer mit erheblichen Kosten und Personalressourcen verbunden.

Da das wirtschaftliche Rückgrat in Ostwestfalen-Lippe auch Handwerk und Kleinbetriebe bilden, kam mir die Idee zur VFMEA®: die Entwicklung eines praxisgerechten Werkzeugs zur Optimierung der Betriebsabläufe. Meine Zielvorgaben waren: geringer Aufwand, verständliche Strukturen, kurze Projektzeit, Integration aller im Betrieb tätigen Personen und eine nutzbare, übersichtliche Dokumentation. Zahlreiche Projektpartner waren an meiner Seite, um die Idee als erfolgreiches Instrument in der Praxis umzusetzen.

Nach ersten Pilotprojekten in unterschiedlichen Branchen standen anfangs Fehler und Verschwendungen im Fokus. Später kamen Themen wie Nachhaltigkeit und Unternehmenskultur hinzu. Gerade in Zeiten von Nachwuchsmangel gewinnt die Unternehmenskultur – also die Frage, wie sich Mitarbeitende eingebunden fühlen – an Bedeutung. Der erste öffentliche Auftritt am Steinbeis-Tag im September 2013 in Stuttgart fand große Resonanz und war damit der Startschuss der Markteinführung. Die Entwicklung der VFMEA® lässt sich im Internet unter www.vfmea.de auch anhand der Referenzen gut nachvollziehen.

Sie haben jahrelange Erfahrung gesammelt in der Zusammenarbeit mit Handwerk und Kleinbetrieben bei der Einführung der VFMEA® im Unternehmen. Gibt es einen „Dauerbrenner“ in Sachen Verschwendung, der sich bei den meisten Unternehmen wiederfindet?
Einer der Erfolgsfaktoren der Methode VFMEA® ist der ganzheitliche Ansatz. Natürlich unterscheiden sich die Details abhängig von Branche und Größe des jeweiligen Unternehmens. Unsere Aussage „Sieben von dreizehn auf einen Streich“ ist aber konkrete Erfahrung: Wir haben 13 inhaltliche Bereiche von Fehlern und Verschwendungen ausgemacht. Davon tritt bei der Realisierung in fast jedem Betrieb eine Auswahl von sieben auf. Und um auf Ihre Frage zurückzukommen, Sie haben recht: Es gibt einen Dauerbrenner, das ist das Thema Kommunikation. Damit meine ich sowohl die Kommunikation im Betrieb zwischen Betriebsleitung und Mitarbeitenden, unter den Mitarbeitenden als auch mit der Kundschaft.

In den Startgesprächen mit unseren Kundenunternehmen fällt häufig der Satz „Bei uns ist alles in Ordnung“. Nach Einführung der VFMEA® heißt es dann genauso häufig: „Das hätten wir nicht gedacht“. Die betriebsweite Fehlerkultur ist häufig ein Stiefkind. Lückenhafte Analyse oder fehlende Aufrichtigkeit sind der Nährboden für Wiederholfehler, eine der folgenschwersten Fehlerarten. Das VFMEA®-Konzept führt nach etwa fünf Gesprächsterminen zu einem Ergebnis, das wie das Öffnen einer Schatzkiste ist – voller Überraschungen.

Im Alltag sieht man häufig den berühmten Wald vor lauter Bäumen nicht – das gilt auch für den Arbeitsalltag im Unternehmen. Was ist Ihr Ratschlag an Unternehmen, um Ansätze von Verschwendung und Fehlern im eigenen Betrieb zu erkennen?
Es braucht den Anstoß für eine neue Herangehensweise an diese Themen und der muss aus der Führungsebene kommen. Anschließend wird mit der Systematik einer Betriebsstruktur eine Gesprächsgrundlage geschaffen. Beim Erstellen einer ersten Fehler- und Verschwendungssammelliste lichtet sich der Wald. Auf einmal sieht man etwas, nach dem man immer schon gesucht hat. Jeder Punkt auf der Liste erhält eine Kennzeichnung, die dauerhaft erhalten bleibt, auch wenn das Problem zwischenzeitlich ganz oder teilweise gelöst wurde. Damit hat der Betrieb eine übersichtliche Dokumentation, die Historie ist nachlesbar und neues Personal kann sich schnell kundig machen. Dies stellt auch eine zusätzliche Unterstützung zur Vermeidung von Wiederholfehlern dar. Ein bewährtes Merkmal der VFMEA® liegt in der Einbindung der Mitarbeitenden. Sie können ihr häufig erstaunliches Detailwissen konstruktiv einbringen. Damit wird automatisch eine breite Akzeptanz geschaffen, um die vorhandenen Fehler und Verschwendungen gemeinsam zu beseitigen und künftige Probleme zu vermeiden. Es geht dabei nicht immer um die großen Dinge, es sind manchmal die Kleinigkeiten, die „nerven“ und das Betriebsklima vergiften. Respekt und gegenseitige Unterstützung sind Basis für effiziente Leistungserbringung.

Die klare Strukturierung der Sammelliste und ein gemeinsames Ranking geben den Blick auf den Wald, sprich den Betrieb frei. Aus dieser Perspektive ist auch das Prinzip „Hilfe mit und zur Selbsthilfe“ bestens umsetzbar. Einige Betriebe können auf den Ergebnissen der VFMEA® selbstständig aufbauen und das Konzept weiter pflegen. Andere Betriebe nutzen die Unterstützung des VFMEA®-Teams in vereinbarten Zeitabständen, um eine Aktualisierung oder Belebung zu erhalten. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies bei Personalwechsel oder Betriebsnachfolge eine gute Hilfestellung ist.

Mein Ratschlag kann nur heißen: Die Betriebe sollten das Gespräch, also die Kommunikation, nutzen. Im Vordergrund steht immer die Zukunft des Betriebes. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass oft bereits die Startgespräche in Betrieben Anregungen für erste individuelle Maßnahmen brachten.

Die Digitalisierung hat sich innerhalb des letzten Jahrzehnts rasant weiterentwickelt. Wie schätzen Sie deren Rolle im Unternehmen ein: Ist sie ein Hilfsmittel für mehr Effizienz und zur Fehlervermeidung oder verhindert die Techniknutzung mitunter auch das eigentliche Hinterfragen von Prozessen?
Beide Digitalisierungsauswirkungen Ihrer Frage sind in der Vielfalt der Betriebe des Handwerks und der Kleinunternehmen anzutreffen.

Der ganzheitliche Ansatz der VFMEA® führt auch zu Erkenntnissen, um spezielle Beratungen durch Beratungsbüros oder Handwerkskammern anzugehen. Die Unternehmen unserer Zielgruppe sind sehr unterschiedlich aufgestellt. Die VFMEA® kann sich den Verhältnissen vor Ort anpassen. Vielfach werden bei der Anwendung auch Schwachstellen erkannt, die dann gezielt durch den Einsatz von digitalen Instrumenten gelöst werden können. Wir lernen zunehmend auch Betriebe kennen, die verstärkt im Ausbau der Digitalisierung aktiv sind. Zahlreiche Prozesse laufen damit effizienter und übersichtlicher ab.

Unabhängig vom Grad der Digitalisierung haben bisher alle Betriebe vom Projekt VFMEA® profitiert. Wichtig ist aber, stets den Faktor Mensch im Blick zu behalten. Die VFMEA®-Methode schafft häufig die Transparenz bei den Ursachen. Jeder Punkt der Fehler- und Verschwendungssammelliste wird nicht nur bezüglich seines Einflusses auf Abläufe und Kosten eingeordnet und gerankt, sondern auch mit Ursache-Wirkung-Ansätzen im Team analysiert. Damit ist sichergestellt, dass die Prozesse hinterfragt werden und im Zuge von Optimierungsmaßnahmen im Fokus bleiben.

Unser Fazit: Die ersten zehn Jahre der VFMEA®-Methode sind eine Erfolgsgeschichte. In Zukunft können Betriebe eine App und ergänzende Handreichungen wie beispielsweise Ablaufpläne erwarten.