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Real Impact bedeutet Verbesserungen im Alltag als auch in der Industrie

Im Gespräch mit Professor Dr. Britta Nestler und Dr.-Ing. Michael Selzer, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Transferzentrum Werkstoffsimulation und Prozessoptimierung

Ob Medizin, Energietechnik oder Bau – ohne Materialien und Werkstoffe geht es in keiner Branche voran. Daher bilden neue Werkstoffe und Materialien mit real Impact die Basis für jeden technologischen Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Aber was bedeutet das konkret? Darüber hat die TRANSFER mit Professor Dr. Britta Nestler und Dr.-Ing. Michael Selzer vom Steinbeis-Transferzentrum Werkstoffsimulation und Prozessoptimierung gesprochen und bekam Einblick in die faszinierende Welt der Materialforschung.

Frau Professor Nestler, Herr Dr. Selzer, das Thema unserer aktuellen Ausgabe lautet „Materialien und Werkstoffe: Forschung und Entwicklung mit real Impact“. Was stellen Sie sich unter real Impact in diesem Zusammenhang vor?

Nestler:
Bei der Forschung und Entwicklung neuer Materialien und Werkstoffe wird ein real Impact dann erreicht, wenn die Innovationen tatsächliche, spürbare beziehungsweise messbare Veränderungen und Verbesserungen im täglichen Leben oder bei Abläufen in der Industrie erwirken. Da Materialien überall in unserem Leben eine zentrale Rolle spielen, können durch die Entwicklung neuer Materialien innovative Technologien und Produkte entstehen, die sich maßgeblich auf unsere Zeit- und Arbeitsbelastung auswirken und die Art und Weise, wie wir Dinge tun, grundlegend verändern.

Selzer:
Ein sichtbarer Impact neuer Materialien ist die Verbesserung der Leistung von Produkten über eine höhere Festigkeit, ein geringeres Gewicht, eine verbesserte Haltbarkeit. Neben der Leistungsverbesserung können Materialien die Wirtschaftlichkeit erhöhen, indem sie dazu beitragen Prozesse effizienter zu gestalten, sodass dadurch Einsparungen im Ressourcen- und Energieverbrauch oder im Transportwesen erreicht werden. Ein Beispiel ist die Entwicklung neuer Materialien für Batterien, die die Verbreitung der Elektromobilität vorantreiben und so einen Beitrag zum Umweltschutz leisten.

Nestler:
Ein ganz entscheidender und hochaktueller real Impact in der Materialforschung ist die Entwicklung kreislauffähiger Werkstoffe, die sich recyceln und dann als neue oder andere Komponenten nutzen lassen. Hierbei ist das Ziel, herkömmliche Komponenten in den Werkstoffverbünden durch nachhaltige Substanzen zu ersetzen und durch Recycling und weniger Ressourcenverbrauch einen Beitrag zur Umweltfreundlichkeit zu leisten.

Welche Rolle spielt der Nachhaltigkeitsaspekt bei der Entwicklung von neuen Werkstoffen?

Nestler:
Bei den meisten aktuellen Forschungsinitiativen in der Materialforschung steht die Entwicklung nachhaltiger Materialien beziehungsweise die Entwicklung von Materialien zur Förderung nachhaltiger Prozesse im Fokus. Nachhaltige Werkstoffe zeichnen sich durch eine effiziente Nutzung von Ressourcen aus, indem sie aus erneuerbaren oder recycelten Materialien hergestellt werden und bei der Produktion weniger Energie und Rohstoffe verbrauchen sowie weniger Emissionen produzieren. Zunehmend wächst die Bedeutung der Entwicklung eigens komponierter Werkstoffe mit spezifischen Eigenschaften für gezielte Funktionalitäten im jeweiligen Anwendungsbereich. Beispiele sind Leichtbaumaterialien im Transportwesen oder CO2-reduzierte Ersatzwerkstoffe in der Baubranche.

Selzer:
Durch kreislauffähige Werkstoffe lässt sich das Abfallaufkommen und der Bedarf an Rohstoffen verringern. Eine Erhöhung der Lebensdauer von Produkten leistet einen weiteren Beitrag zur Nachhaltigkeit. Auch die Arbeitsbedingungen sind von Bedeutung: Neue nachhaltige Materialien, die unter fairen Arbeitsbedingungen herstellbar sind, tragen zur Schonung der Umwelt und zur Schaffung einer nachhaltigeren Gesellschaft bei. So ist es auch ein Ziel, Materialien aus politisch bedenklichen Gebieten der Erde zu vermeiden und durch Materialien zu ersetzen, die ökologisch, sozial und politisch vertretbar gefördert werden können.

Auch bereits existierende Werkstoffe können an neue Anforderungen angepasst werden: Wo sehen Sie dabei die größten Herausforderungen, aber auch Chancen?

Selzer:
Herausforderungen bei der Werkstoffmodifikation liegen in der bereits häufig schon komplexen Zusammensetzung und Struktur der existierenden Materialien. Kleine Änderungen verursachen in dem vorliegenden mehrdimensionalen Parameterraum oft multiple Auswirkungen auf die Eigenschaften. Hierbei kann die erzielte Verbesserung einer bestimmten Eigenschaft eine Verschlechterung anderer Charakteristiken zur Folge haben. Anpassungen bereits hochtechnologischer Werkstoffe sind wissenschaftlich sehr anspruchsvoll und können daher kosten- und zeitintensiv sein. Um die Vielfalt der Veränderungen zu erschließen, müssen umfangreiche Tests und Validierungen diverser physikalischer Eigenschaften durchgeführt werden.

Nestler:
Oftmals bieten Anpassungen etablierter und vielseitig bekannter Werkstoffe jedoch auch immense Fortschritte und Chancen in der Anwendung, indem signifikante Leistungssteigerungen, zum Beispiel hinsichtlich Festigkeit, Härte, Flexibilität oder Leitfähigkeit, erreicht werden. Die Nutzung solcher Innovationen erstreckt sich über sehr viele Branchen, von der Elektronik über die Medizin bis hin zur Automobilindustrie. Die Anpassung herkömmlicher Materialien hat den Vorteil einer schnelleren Markteinführung, da bereits vorhandene Produktionsprozesse und Infrastrukturen genutzt werden können.

Die allgegenwärtige Digitalisierung ist auch bei der Werkstoff- und Materialentwicklung nicht mehr wegzudenken. Wie profitieren Sie und Ihre Kunden von dieser Entwicklung?

Selzer:
Die Digitalisierung in der Materialforschung umfasst einerseits die schon seit einigen Jahrzehnten entwickelten Materialmodelle und hochleistungsfähigen Simulationsmethoden und andererseits das aktuelle, sich rasant entwickelnde strukturierte Datenmanagement und die Datenverarbeitung einschließlich maschineller Lernmethoden und künstlicher Intelligenz. Durch fortschrittliche digitale Modelle und Simulationsprogramme können Forscher und Ingenieure das Verhalten von Materialien bei veränderter Zusammensetzung unter verschiedenen Bedingungen sowie zeitlichen und räumlichen Auflösungen vorhersagen. Digitale Forschungsdateninfrastrukturen ermöglichen die nachhaltige Speicherung großer Mengen von Daten und Metadaten in umfassenden Materialdatenbanken oder elektronischen Laborbüchern. Dies erleichtert den Zugriff auf Eigenschaftsdaten, Herstellungsinformationen und andere relevante Details, die für die Materialauswahl und -anwendung wichtig sind. Hierdurch wird der Austausch von Wissen zwischen Forschern und Experten auf der ganzen Welt ermöglicht.

Nestler:
Durch umfangreiche High-throughput-Simulationen lassen sich Designvorschläge für die Entwicklung aussichtsreicher Materialkandidaten ableiten und kontrollierte Prozessierungsbedingungen gestalten. Virtuelle Prototypen und 3D-Druck ermöglichen eine effiziente Entwicklungsarbeit und eine Reduktion umfangreicher physischer Tests. In der Produktion können durch digitale Technologien Prozessabläufe automatisiert und hierdurch Effizienz und Qualität bei der Herstellung von Materialien gesteigert werden. Hochentwickelte Simulationsmethoden und datengetriebene Auswertungen in Verbindung mit einem guten Forschungsdatenmanagement sind in der heutigen Zeit unerlässliche Werkzeuge bei der Werkstoff- und Materialentwicklung, Kostensenkung, Qualitätsverbesserung und globalen Vernetzung.

Lassen Sie uns noch auf die Entwicklung funktionaler Werkstoffe zu sprechen kommen, worum geht es dabei? Und welchen Beitrag kann dabei der Wissens- und Technologietransfer leisten?

Nestler:
Bei der Entwicklung funktionaler Werkstoffe geht es um die Schaffung von Materialien mit spezifischen Eigenschaften oder Funktionen unter bestimmten Herausforderungen bei der Anwendung. Diese Eigenschaften gehen über die traditionellen mechanischen oder strukturellen Merkmale hinaus. Beispiele hierfür sind unter anderem „stimuli-responsive“ Klebstoffe, selbstheilende Lacksysteme oder funktionale Keramikwerkstoffe für solarthermische Anwendungen. Durch Wissens- und Technologietransfer können Erkenntnisse, Ideen, Technologien und Best Practice aus verschiedenen Forschungsbereichen, wie der Nanotechnologie, Chemie oder Elektronik, interdisziplinär für eine schnelle Entwicklung funktionaler Werkstoffe angewendet werden. Hierdurch werden innovative Lösungen für die Anwendung geschaffen sowie technologische Fortschritte und Entwicklungsprozesse beschleunigt. Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung der Materialwissenschaften können durch den Technologietransfer in real anwendbare funktionale Werkstoffe in der Industrie umgesetzt werden. Bereits etablierte Technologien oder Methoden können auf die spezifischen Anforderungen funktionaler Werkstoffe angepasst werden.