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Prozess- und Ressourcen­effizienz ist Ziel, Chance und Aufgabe zugleich

Im Gespräch mit dem Steinbeis-Experten Professor Dr.-Ing. Michael Kaufeld

Die Entstehung neuer Materialien und Werkstoffe hat Auswirkungen auf viele Bereiche: Einerseits beeinflussen sie die Produkte, für deren Herstellung sie verwendet werden, andererseits erfordern sie neue (Gedanken)Wege bei der Entwicklung von Werkzeugen und Werkzeugtechnologien. Welche Aspekte dabei wichtig sind und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt, darüber hat die TRANSFER mit dem Steinbeis-Unternehmer und Werkzeugexperten Professor Dr.-Ing. Michael Kaufeld gesprochen.

Herr Professor Kaufeld, welche neuen Anforderungen an Werkzeugmaschinen ergeben sich aus der Entwicklung von neuen Werkstoffen und Materialien?

Werden neue Werkstoffe entwickelt, ist für deren Erfolg bereits im frühen Stadium eine konzertierte Zusammenarbeit unterschiedlicher Technologien und Branchen notwendig. Dies ist deshalb so wichtig, weil die Charakteristik der Bauteile untrennbar mit den Werkstoffeigenschaften und den Herstellungs- und (Weiter-)Verarbeitungsverfahren verbunden ist. Werkstoff, Prozesstechnik und Design müssen erfolgreich zusammenwirken. Aktuelle Themenfelder sind derzeit beispielsweise metallische Leichtbauwerkstoffe, Faserverbundwerkstoffe und technische Textilien, additive Werkstoffe mit dem möglichen Multimaterialdesign, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz sowie zirkuläre Werkstoffe und zuletzt funktionsorientierte Oberflächen.

Für die Maschinenhersteller bedeutet das, dass die notwendigen Prozessverbesserungen an schwieriger zu bearbeitenden Materialien, wie beispielsweise hochfeste Metalle, bei gleichzeitig filigraner werdenden Bauteilen durchzuführen sind. Dies erfordert zunehmend Kompetenzen in Fragen des Werkstoff- beziehungsweise Bauteilverhaltens, des Vorrichtungs- und Werkzeugdesigns sowie im Vorgehen einer zügigen Prozessoptimierung während der Auftragsrealisierung. Für den Maschinenbauer wird zunehmend das Prozessverständnis wichtig, werden doch schlüsselfertige Lösungen gefordert.

Zunehmen wird aus meiner Sicht auch die Nachfrage nach sogenannten hybriden Maschinen beziehungsweise Fertigungssystemen. Dies bedeutet, dass die Anlagen ganz unterschiedliche Technologien zur Komplettbearbeitung und Inspektion vereinen müssen. Damit muss sich der Maschinenbauer mit neuen, ergänzenden Technologien auseinandersetzen. Beispielsweise erfordert die additive Fertigung nicht nur das eigentliche Drucksystem, sondern zur Komplettierung der Bauteileigenschaften auch alle nachgelagerten Prozessschritte wie beispielsweise Wärmebehandlung, Oberflächenfinishing und mechanische Nachbearbeitung wie auch die notwendige integrale Prozesssicherung, zum Beispiel die Überprüfung des Bauteilaufbaus.

Auch die Herausforderungen, die sich aus dem Aspekt der Nachhaltigkeit ergeben, zwingen den Maschinenbau zur Auseinandersetzung mit neuen Werkstoffen und anderen als die bisher ihm bekannten Fertigungsverfahren. Exemplarisch sind Titanaluminide als sehr leichte und hochfeste Leichtbaumaterialien zu nennen. Wurden bisher Großbauteile aus üblichen Titanlegierungen gefräst, so zeichnet sich durch die additive Fertigung ein Weg zur Herstellung großvolumiger, defektfreier Bauteile ab.

Generell bin ich der Meinung, dass die hochentwickelten Werkstoffe auch deutlich in ihren Eigenschaften durch die nachfolgend gewählten Bearbeitungsparameter in der Bauteilherstellung beeinflusst werden können. Dies fordert gerade den Maschinenbauer heraus, sich intensiver mit den Materialeigenschaften im Zusammenwirken mit den Prozessparametern zu beschäftigen und Lösungen zu finden, um die geforderten Eigenschaften in der Serienfertigung abzusichern.

Wie beeinflussen neue Materialien die Entwicklung von Werkzeugtechnologien? Welche Chancen und Risiken sehen Sie?

Werden die Werkstücke zunehmend aus Leichtmetallen und hochfesten, für dünnwandige Strukturen geeigneten Eisenlegierungen gefertigt, werden zum einen Schneidstoffe mit hoher Standzeit notwendig und zum anderen müssen gerade die spanenden Werkzeuge bei deutlich gestiegenen Drehzahlen die notwendigen Bauteilqualitäten absichern. Dies erfordert unter anderem Leichtbaukonstruktionen bei den Werkzeugen (topologieoptimiertes Design), oftmals in Verbindung mit einem Werkzeugdesign, das mehrere Geometriemerkmale abbildet.

Die Werkzeughersteller müssen sich zunehmend auch mit dem Thema beschäftigen, wie das Werkzeug die Bauteil- beziehungsweise Werkstoffeigenschaften beeinflusst. Dies gilt nicht nur für die klassische spanende Bearbeitung mit den Aspekten des Schneidendesigns, sondern auch bei Bearbeitungsprozessen, bei denen zum Beispiel der Laser oder der Wasserstrahl das Werkzeug sind.

Wie können diese Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden, insbesondere von KMU?

Aus meiner Sicht ist es gerade für KMU, aber auch für größere Unternehmen wichtig, sich nicht nur den neuen, an sie herangetragenen Anforderungen zu stellen, sondern sich sozusagen schon proaktiv als „Technologiescout“ zu betätigen. Es ist von Bedeutung, schon früh die kommenden Produkte mit ihren „Werkstoff- und Designbesonderheiten“ zu erkennen, um sich dann strategisch in der eigenen Produktentwicklung darauf einstellen zu können. Sicherlich ist das im Tagesgeschäft eines KMU nur begrenzt möglich, sodass gezielte Tagungs- und Messebesuche oder regelmäßige „Innovations- und Trendberatungen“ durch Externe, wie die Experten im Steinbeis-Verbund, hilfreich sein können.

Welche Fragestellungen beschäftigen aktuell Ihre Kunden und wie kann Ihr Steinbeis-Unternehmen sie dabei unterstützen?

Exemplarisch sind hier drei Betätigungsfelder zu nennen: Der Leichtbau, der auch wieder durch die Elektromobilität einen Schub bekommt, führt zwingend dazu, dass viele Bauteile aus Leichtmetallen zu fertigen sind. Dies bringt den Zwang und die Chance mit sich, beispielsweise die Zerspanungsprozesse filigraner, nachgiebiger Strukturen deutlich zu „speeden“. Dadurch ergeben sich besondere Herausforderungen an die Werkzeuge: Hier unterstützen wir bei der Bestimmung geeigneter Bearbeitungsparameter.

Das zweite Beispiel stammt aus den Neuentwicklungen der Funktechnologien: In diesem Bereich müssen Messgeräte entwickelt werden, die mit immer kleineren und filigraneren Bauteilen bestückt werden. Daraus resultieren Zerspanungsprozesse mit Werkzeugen, deren Durchmesser kleiner als 0,3 mm sind. Hier unterstützen wir bei der Optimierung der gesamten Prozesskette von der Maschine über das Werkzeug und die Einsatzparameter bis hin zur Qualitätssicherung.

Das dritte Beispiel macht deutlich, wie wichtig es ist, sich als Unternehmen stets die Frage zu stellen, wie Bearbeitungstechnologien aus anderen Branchen im eigenen Marktsegment anwendbar sind. Konkret geht es uns dabei um die Anwendung des aus der Bearbeitung harter Materialien bekannten Wasserstrahlschneidens in der Dentaltechnik.

Stichwort Digitalisierung: Welche Rolle wird diese bei der Lösung heutiger und zukünftiger Fragestellungen in der Materialbearbeitung spielen?

Die Digitalisierung bietet aus meiner Sicht die Chance, die Prozesse, aber auch die Material- beziehungsweise Bauteileigenschaften während der Bearbeitung zu überwachen. Die Gewichtsoptimierungen führen beispielsweise zu reduzierten Sicherheitsfaktoren in der Auslegung, was dann aber zwangsweise zu einer verstärkten Fehler- und Versagenssicherheit führen muss. Hier können intelligente Sensoren, die schon heute vielfältig auf dem Markt sind, eingesetzt werden. Die Problematik liegt allerdings aktuell in der intelligenten Erfassung, Auswertung und Interpretation der Signale. Heute wird vielfach mit dem Hinweis auf KI eine Applikation angeboten, die eigentlich nur bisherige Auswertungen im Hinblick auf das Handling großer Datenmengen und hin zu smarten Endgeräten verbessert. Auf dem Gebiet der wirklich sinnvollen Interpretation der Daten und der daraus resultierenden Auswirkungen für Maschinen und Prozesse gibt es noch sehr viel zu tun, ist doch zu beachten, dass dies auch am Ende werkstatttauglich sein muss. Es muss immer das Ziel im Vordergrund stehen, die Prozess- und Ressourceneffizienz zu verbessern, was aus meiner Sicht eine große Chance, aber auch Aufgabe ist.