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Wärmebehandlungen in Aluminiumlegierungen live verfolgen

Steinbeis-Experten und Mubea-Team untersuchen neuartige Automobilkomponenten

Mubea ist ein familiengeführter Weltmarktführer in der Entwicklung und Herstellung komplexer Komponenten für die Automobil- und Luftfahrtindustrie. In der Geschäftseinheit „Mubea Rollbonding Products“ liegt der Fokus auf Komponenten für Batteriegehäuse. Hier werden in einem kontinuierlichen Warmwalzprozess mittels Rollbonding Kühlplatten und komplex geformte Kühlteile aus verschiedenen Aluminiumlegierungen hergestellt. Die Komponenten weisen dabei eine hohe Flexibilität im Design als auch in der Kombination der Legierungen auf, wodurch individuelle Lösungen für unterschiedlichste Bauräume und Anforderungen ermöglicht werden können. Um effiziente Prozessrouten besonders für hochfeste Legierungen zu finden, ist das Verständnis der mikrostrukturellen Vorgänge im Material essenziell. Hier bilden in-situ-Analysen einen wichtigen Baustein, um die bestmögliche Lösung zu identifizieren. Dabei bekommt das Mubea-Team kompetente Unterstützung von den Experten des Steinbeis Transferzentrums Thermische Analyse.

Batteriekühlung: Komponenten von oben nach unten: Batteriedeckel aus Stahl oder Aluminium, Batterie Packs, Hochvoltspeicher aus flexibel gewalztem Stahlblech, Kühlwanne aus Aluminiumlegierungen, Unterfahrschuss aus CFK © Mubea Rollbonding Products

 

Aluminiumlegierungen eignen sich aufgrund ihrer relativ geringen Dichte von nur 2,7 g/cm³ sehr gut als Leichtbauwerkstoffe. Sie können besonders zielführend in elektrisch angetriebenen Automobilen eingesetzt werden, um deren Masse zu verringern und Reichweite zu erhöhen. Dabei kommt es aber nicht nur auf die geringe Dichte, sondern auch auf die mechanischen Eigenschaften (zum Beispiel Festigkeit) und die Verarbeitbarkeit von Aluminiumlegierungen in der gesamten Prozesskette bis zum fertigen Bauteil an. Die mechanischen Eigenschaften werden maßgeblich durch den inneren Aufbau der Werkstoffe auf der Mikrometer- und Nanometerskala, die sogenannte Mikro- und Nanostruktur, beeinflusst. Deren gezielte Einstellung erfolgt in den Fertigungsschritten der Prozesskette, insbesondere während der Wärmebehandlung. Darunter wird das Aufbringen eines definierten Temperatur-Zeit-Verlaufs auf das Bauteil verstanden. Wesentliche Prozessparameter sind Erwärmgeschwindigkeiten, Glühtemperaturen, Glühdauern und Abkühlgeschwindigkeiten. Die gezielte Auswahl der Wärmebehandlungsparameter bestimmt die resultierende Werkstoffstruktur und damit die Werkstoffeigenschaften. Dies erfolgt in der Regel mithilfe sogenannter ex-situ-Experimente: Dabei werden die Bauteile im Ausgangszustand vor der Wärmebehandlung und im Endzustand nach der Wärmebehandlung analysiert.

 

In-situ-Analysen: Bessere Ergebnisse mit live-Messung

DSC-Erwärmversuch an einer Aluminium-Magnesium-Silizium-Legierung © Mubea Rollbonding Products

 

Bei ex-situ-Experimenten fehlen jedoch jegliche Information und damit wesentliches Verständnis über die während der Wärmebehandlung in der Aluminiumlegierung ablaufenden Vorgänge. Viel besser wäre es, die Wärmebehandlung in-situ, also live während des Erwärmens und des Abkühlens, zu analysieren. Dazu stehen grundsätzlich verschiedene werkstofftechnische Methoden zur Verfügung, bei denen eine charakteristische Eigenschaft gemessen wird, die sich in Abhängigkeit der Werkstoffstruktur verändert, beispielsweise

Auswahlkriterien für geeignete in-situ-Analysemethoden sind Aufwand und Kosten für die Analyse und für die Probenpräparation sowie eine hohe Zeitauflösung, um auch während rascher Erwärm- und Abkühlvorgänge eine ausreichend hohe Anzahl von Messungen durchführen zu können. In-situ-Elektronenmikroskopie und -Röntgenbeugung sind sehr aussagekräftige Methoden, die aber häufig mit hohem Aufwand für die Analysen beziehungsweise für die Probenpräparation verbunden sind. Dagegen sind die in-situ-Dilatometrie, -Kalorimetrie sowie -Messung der thermischen oder elektrischen Leitfähigkeit häufig sehr effektive Analysemethoden.

Auf der Suche nach einem kompetenten Partner für solche dilatometrischen und kalorimetrischen Methoden für Aluminiumlegierungen wand sich das Mubea-Team an das Steinbeis-Transferzentrum Thermische Analyse. Das Steinbeis-Unternehmen hat schon oft diese Analysemethoden für das Verständnis und die gezielte Auswahl von Wärmebehandlungsparametern in verschiedenen Projekten mit den Unternehmenspartnern angewendet. Dazu greifen die Steinbeis-Experten in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Werkstofftechnik der Universität Rostock auf zahlreiche Dilatometer und Kalorimeter zurück, die insgesamt einen sehr großen und international einmaligen Bereich von Erwärmen- und Abkühlgeschwindigkeiten von ca. 10-5 K/s bis ca. 105 K/s bei Spitzentemperaturen von bis zu ca. 1.500 K abdecken können.

Aluminiumlegierungen gezielt untersuchen

DSC-Abkühlversuch an einer Aluminium-Magnesium-Silizium-Legierung © Mubea Rollbonding Products: Im vorliegenden Beispiel zeigt die DSC-Abkühlkurve noch deutliche exotherme Ausscheidungsreaktionen. Für die Festlegung geeigneter Wärmebehandlungsparameter kann aus diesem live-Experiment geschlussfolgert werden, dass die hier gewählte Abkühlgeschwindigkeit für die betrachtete Aluminiumlegierung noch nicht ausreichend hoch war. Weiterhin können Temperatur­bereiche identifiziert werden, in denen die Erreichung einer bestimmten Abkühlgeschwindigkeit besonders relevant ist.

 

Die Dilatometrie wird vor allem bei metallischen Werkstoffen angewendet, die bei der Wärmebehandlung eine Phasenumwandlung, also eine Mikrostrukturveränderung, durchlaufen, die mit einer ausgeprägten Volumen- beziehungsweise Längenänderung verbunden ist. Dazu zählen insbesondere solche metallischen Werkstoffe, bei denen das gesamte Werkstoffvolumen an der Phasenumwandlung beteiligt ist. Ein typisches Beispiel dafür sind Stähle, bei denen die Dilatometrie häufig genutzt wird, um sogenannte Zeit-Temperatur-Umwandlungs (ZTU-)-Diagramme aufzunehmen. Bei Aluminiumlegierungen ist in der Regel nur ein kleinerer Teil des Werkstoffvolumens (typisch wenige Prozent) an der Phasenumwandlung beteiligt. Deshalb sind die auftretenden Volumen- beziehungsweise Längenänderungen deutlich kleiner und ihre Messung stellt eine besondere Herausforderung dar, die die Steinbeis-Experten bereits erfolgreich gemeistert haben.

Bei den Aluminiumlegierungen wird jedoch häufiger die Kalorimetrie eingesetzt. Jegliche Phasenumwandlung, also die Veränderung der Werkstoffstruktur in metallischen Werkstoffen, ist mit dem Freiwerden einer Umwandlungswärme (exotherme Reaktion) oder mit dem Aufbringen einer Umwandlungswärme (endotherme Reaktion) verbunden. Mittels dieser Umwandlungswärmen können die Vorgänge im Werkstoff „in-situ“ charakterisiert werden. „Da diese Umwandlungswärmen in geeigneten Kalorimetern (Differential Scanning Calorimetry, DSC) mit sehr hoher Genauigkeit gemessen werden können, ist die Methode insbesondere für Aluminiumlegierungen geeignet, wo nur ein kleinerer Teil des Werkstoffvolumens an der Phasenumwandlung beteiligt ist“, fasst der Steinbeis-Unternehmer Professor Dr.-Ing. habil. Olaf Keßler zusammen. Typische Probenabmessungen liegen in der Größenordnung von ⌀ 6 x 1 mm bis ⌀ 6 x 20 mm und können häufig problemlos aus dem zu untersuchenden Bauteil entnommen werden. Die vorliegende DSC-Erwärmkurve einer Aluminium-Magnesium-Silizium-Legierung zeigt eine komplexe Abfolge von exothermen und endothermen Reaktionen, die der sogenannten Ausscheidungssequenz der Legierung zugeordnet werden können. Prinzipiell können damit Start- und Endtemperaturen sowie Intensitäten einzelner Reaktionen bestimmt werden. Teilweise überlappen sich mehrere Reaktionen. In diesem Fall ist die Trennung der überlappenden Reaktionen besonders anspruchsvoll. Weiterhin können bestimmten Temperaturbereichen charakteristische Stadien der Ausschreibungssequenz zugeordnet werden. Das praktische Ergebnis einer solchen Live-Untersuchung der Wärmebehandlung könnte beispielsweise darin bestehen, eine Mindesttemperatur festzulegen, bei der die beobachteten Ausscheidungs- und Auflösungsvorgänge komplett abgeschlossen sind. Dies könnte beispielsweise eine geeignete Glühtemperatur darstellen.

Auch die DSC-Erwärmversuche werden für Aluminiumlegierungen häufig durchgeführt, die Mess- und Auswertestrategien hierfür sind allgemein bekannt. Anders sieht es mit DSC-Abkühlversuchen aus, die für wichtige Wärmebehandlungsschritte, wie das Abkühlen von einer Glühtemperatur, relevant sind. „Hier sind spezielle Mess- und Auswertestrategien zu beachten, die wir vom Steinbeis-Transferzentrum Thermische Analyse in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Werkstofftechnik der Universität Rostock erarbeitet haben“, so Olaf Keßler. Die vorliegende DSC-Abkühlkurve einer Aluminium-Magnesium-Silizium-Legierung zeigt eine Abfolge von ausschließlich exothermen Reaktionen. Dies liegt darin begründet, dass beim Abkühlen nur Ausscheidungsreaktionen (exotherm) und keine Auflösungsreaktionen (endotherm) stattfinden. Auch hier können prinzipiell wieder Start- und Endtemperaturen sowie Intensitäten einzelner Reaktionen bestimmt werden. In der Praxis wird häufig angestrebt so rasch abzukühlen, dass die Ausscheidungsreaktionen möglichst vollständig unterdrückt werden, das bedeutet, dass in der DSC-Abkühlkurve keine Reaktionen mehr detektierbar sind.

Mikrostrukturen und Eigenschaften

In Ergänzung zu den vorgestellten Live-Analysen können an den untersuchten Proben ex-situ-Experimente zur Charakterisierung der Mikrostrukturen und Eigenschaften vorgenommen werden. Hier bieten sich vor allem Licht- und Elektronenmikroskopie sowie Härteprüfungen an. Damit lässt sich die Zuordnung ausgewählter Reaktionspeaks zu bestimmten Stadien der Phasenumwandlung beziehungsweise der Ausscheidungssequenz konkretisieren. Während Ergebnisse von gemeinsamen Untersuchungen mit Unternehmenspartnern, darunter auch Mubea, vertraulich behandelt werden, haben die Steinbeis-Experten aus öffentlich geförderten Projekten inzwischen Informationen zum Umwandlungsverhalten beim Erwärmen und beim Abkühlen von ca. 20 verschiedenen Aluminiumlegierungen in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift mit Open Access Zugang veröffentlicht [1].