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Die Zukunft braucht Innovation: Radikal, disruptiv und nachhaltig

Inkrementelle Innovationen lösen die Herausforderungen unserer modernen Welt nicht mehr. Es braucht gänzlich neue Ideen.

Die Dampfmaschine ist weithin Synonym für die industrielle Revolution. Sie transformiert die Wirtschaft ab dem späten 18. Jahrhundert und führt zu einem rasanten Wachstum der Industrie. Die damit verbundenen wesentlichen Technologien wandeln die fossile potenzielle Energie im günstigsten Fall in kinetische Energie und ermöglichen direkt wie auch indirekt über Elektrizität eine immer produktivere Bewegung und Fertigung. Das zog wiederum eine enorm beschleunigte Entwicklung von Technik, Produktivität, Bildung und Wissenschaften und von Innovationen nach sich. So zum Beispiel im Königreich Württemberg, in dem im 19. Jahrhundert Ferdinand von Steinbeis als Wirtschaftsförderer wie auch Unternehmerinnen und Unternehmer wie Gottlieb Daimler, Berta und Karl Benz oder Robert Bosch als Innovatoren erfolgreich aktiv sind. Auch heute noch, 200 Jahre später, ist die daraus resultierende tiefgreifende und dauerhafte Umgestaltung durch eine Transformation der sogenannten Industriestaaten im Gange. Die Industrialisierung hat so tiefgreifende Auswirkungen auf Mensch und Natur, dass eine neue geochronologische Erdepoche, das Anthropozän definiert wurde. Wesentliches Charakteristikum dieses Zeitalters ist, dass der Mensch mit den von ihm geschaffenen und genutzten Technologien zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse der Erde geworden ist. Die Folgen daraus sind zukünftig möglicherweise beherrschbar, sofern es gelingt, nun Technologien mit den gleichen Konsequenzen dafür nachhaltig einzusetzen. Hierfür bedarf es Innovatoren und geeigneter Innovationen sowie neuer Technologien. Gleichzeitig hat mit dem Quanten-Computing eine weitere Phase der industriellen Revolution begonnen, die einen wesentlichen Beitrag hierfür liefern kann, ist sich Professor Dr. Werner G. Faix sicher. Als Geschäftsführer der Steinbeis School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) beschäftigt er sich intensiv mit den Möglichkeiten wie Herausforderungen dieses Zeitalters für Wirtschaft und Gesellschaft.

2023: Wo wir stehen

Das Zeitalter des Anthropozäns ist von vier sogenannten industriellen Revolutionen mit jeweils zunehmendem Komplexitätsgrad gekennzeichnet:

Und ich möchte den bisherigen vier eine weitere hinzufügen:

Die fünf industriellen Revolutionen des Anthropozäns: Veränderungsgeschwindigkeit im Industriezeitalter

 

Die zeitliche Einordnung zeigt, dass nicht nur die Komplexität, sondern auch die Geschwindigkeit der Entwicklungen drastisch zunimmt – verbunden einerseits mit vielen Chancen und andererseits mit der Verunsicherung vieler Menschen, nicht mehr mitzukommen, was eine Sehnsucht nach dem verklärten Gestern und der vermeintlich guten alten Zeit verursachen kann. Das Anthropozän ist außerdem geprägt durch mehrere Megatrends:

Diese Megatrends verdeutlichen positive Entwicklungen für unsere Lebensqualität, der sprichwörtliche Segen, aber auch sich drastisch zuspitzende, damit einhergehende Probleme – der Fluch als Pendant. Diese Probleme erfordern ein Umdenken hin zu nachhaltiger, zukunftsfähiger Innovation.

Innovation in Deutschland: der Status quo

Eine der ersten „Massen“-Produktionen von 2-Kbit-Computerchips namens „Riesling-Chip“ fand in den 1970er-Jahren bei der Internationalen Büro Maschinen GmbH (IBM, vormals Deutsche Hollerith Gesellschaft) in Sindelfingen statt – der Chip wurde im IBM-Labor in Böblingen entwickelt. Heute müssen wir mit enormem Subventionsaufwand ausländische Chiphersteller zur Medium-Tech-Produktion in Deutschland motivieren. Trotzdem meinen wir, Innovationsweltmeister zu sein. Das mag bei inkrementellen Innovationen mitunter stimmen – nur sind diese heute im internationalen Wettbewerb kein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, beschreibt den Zustand Deutschlands und der deutschen Wirtschaft folgendermaßen: „Die Sicherheit wurde an die USA outgesourct, von Russland wurde Energie sehr günstig eingekauft und die damit hier produzierten Güter auf dem gewaltigen Markt Chinas verkauft.“

In der Steinbeis-Innovationsstudie haben wir in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Otto-Friedrich-Universität Bamberg die momentane Situation in Deutschland analysiert. Die Metastudie auf Basis der weltweit wichtigsten Innovationsstudien kommt zu diesen Ergebnissen:

Gestaltung einer innovativen und nachhaltigen Zukunft: radikal und disruptiv

Mein Credo: Wer innoviert in der Zeit, der kann die Zukunft nachhaltig gestalten. Wer erst in der Zukunft innoviert, dem bleibt keine Zeit! Das Zeitalter des Anthropozäns ist bis heute dadurch geprägt, dass die vielfältigen Innovationen gleichermaßen Segen und Fluch sind. Zwar hat ein Umdenken stattgefunden, auch dank des Club of Rome, vieler weiterer Initiativen und Bewegungen sowie zahlreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse und der für viele Menschen spürbaren Auswirkungen des Klimawandels. Die entsprechend notwendigen Verhaltensänderungen sind aber leider in realiter noch auf einem stark verbesserungswürdigen Niveau.

Wir müssen und wir sollten mit voller Überzeugung und Motivation an einer nachhaltigen, für Menschen und Natur guten und lebenswerten Zukunft arbeiten. Dazu bedarf es vielfältiger Anstrengungen und Veränderungen in allen Bereichen. Und dazu ist eine Vielzahl an Technologien und an Innovationen, inkrementelle, aber vor allem radikale und disruptive Innovationen, notwendig. Diese Technologien und Innovationen müssen von uns Menschen – Menschen mit Bildung, Menschen mit Führungskraft – entwickelt und realisiert werden, wo sinnvoll, mit der Unterstützung von KI-Systemen und Quantencomputern. Dazu benötigen wir Innovationssysteme wie wir sie in der Abbildung (siehe Unten) darstellen.

Ob inkrementell, radikal oder disruptiv – Innovationen haben verschiedene Ausprägungen, die sich im Wesentlichen hinsichtlich ihres Neuheitsgrads, der Art der Veränderung und des Umfangs ihrer Auswirkungen unterscheiden. Streben inkrementelle Innovationen die Optimierung und Weiterentwicklung von bestehenden Produkten, Dienstleistungen und Prozessen an, zielen radikale und disruptiv wirkende Innovationen auf die Entwicklung gänzlich neuer Technologien, Systeme oder beispielsweise Produkte ab. Somit orientieren sich diese letztgenannten Innovationsformen nicht an den Leistungsanforderungen und Maßstäben bestehender Produkte, Funktionen und Wirkungsweisen. Für die Gestaltung einer nachhaltigen und prosperierenden Zukunft sind vor allem diese radikalen und disruptiven Innovationen notwendig. Etablierte Organisationen sind allerdings nicht der ideale Platz, um qualitativ gute radikale und disruptive Innovationen zu entwickeln und umzusetzen. Gelebtes Entrepreneurship ist viel besser und leistungsfähiger in Innovations-Tochtergesellschaften oder Start-ups wirksam.

Wir müssen eine Agenda für Nachhaltigkeit, Innovation und Bildung in allen Bereichen der Gesellschaft formulieren und realisieren. Dies führt zu nachhaltiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prosperität, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Eine solche Agenda bedeutet gleichzeitig eine Agenda für nachhaltiges Wachstum! Wirtschaftswachstum beruht in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft vor allem auf der Akkumulation und Verbreitung von Wissen und damit von Forschungs- und Gedankenfreiheit. Der Wissenschafts-Praxis-Transfer für die Innovationsentwicklung muss durch ganzheitliche Bildungsprozesse (post- und post-post-gradual) und entsprechende Rahmenbedingungen gefördert werden. Das Ziel: die Befähigung, wissenschaftliche Erkenntnisse in Innovationen umzusetzen. Die Bildung von Nachwuchs-Leadern sowie Innovatorinnen und Innovatoren muss im übertragenen Sinne Ferdinand von Steinbeis‘ im Rahmen von ergebnisoffenen realen Innovationsprojekten in den Betrieben und nicht (nur) im Hörsaal erfolgen. Denn dann arbeiten Wissenschaft und Industrie tatsächlich Hand in Hand und befähigen junge Menschen zur Übernahme von Leadership-Verantwortung.

Innovation braucht Leadership

Leadership bedeutet nach Joseph Schumpeter Verantwortung für Innovation und nicht vordergründig die Führung von Menschen. Entsprechend sollte die Entwicklung von Mitarbeitenden mit Fokus auf Innovationsperformanz, nachhaltige Wertschöpfung und Leadership erfolgen. Eine gute Idee entwickeln ist das eine – eine gute Idee in wertschöpfende und nachhaltige Wirklichkeit umzusetzen erfordert dagegen Leadership. Das fasst unser Verständnis von Leadership an der SIBE zusammen:

 

„Leadership bedeutet, sich selbst und menschliche Gemeinschaften in offenen, komplexen und dynamischen Situationen unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und der kollektiven Rationalität mit Persönlichkeit vernünftig, verantwortlich und ethisch in eine nachhaltige, innovative und kreative Zukunft zu führen.‟ (Faix, A.-V., Faix, W. G., Kisgen, S. und Mergenthaler, J., 2019)

Unter „führen“ verstehen wir, Ursache dafür zu sein, dass Menschen ein gemeinsames (neues) Ziel aktiv erreichen wollen. Vernünftig, verantwortlich und ethisch meint, gute (strukturelle) Gründe zu haben, um eine nachhaltige positive Entwicklung für die Gemeinschaft zu gestalten und eine Wert-Stiftung für die eigene Gemeinschaft unter Bewahrung der Natur zu erreichen. Das bedeutet, das humanistische Bildungsideal in den eigenen individuellen Möglichkeiten und Zielen zu erfüllen und sollte nicht instrumentalistisch verstanden werden.

In die Zukunft zu führen umfasst, diese kreativ zu gestalten und setzt in einer komplexen, dynamischen Welt voraus, eine Vorstellung von möglichen Szenarien der Zukunft und daraus abgeleiteter Ziele zu haben, für die man sich verantwortlich fühlt. Damit die Zukunft nachhaltig, innovativ und kreativ gestaltet ist, müssen Transformationsprozesse entwickelt werden, die das Ziel haben, Innovationen – auch radikale und disruptive – hervorzubringen und agil Wirklichkeit werden zu lassen. Eine kollektive Rationalität ist in unserem Verständnis dann erreicht, wenn möglichst viele Betroffene kooperativ beteiligt sind. Leadership findet letztendlich in vielen Formen menschlicher Gemeinschaften statt: Das sind beispielsweise Organisationen, Unternehmen, Forschungsgruppen, Parteien und deren Teilgemeinschaften sowie Netzwerke.

Idealtypisches Innovationssystem: Von der Wissenschaft über den Transfer zur Innovation

 

Industrie 5.0: IoT, KI und Quantencomputer

Internet der Dinge (IoT) und KI sind schon heute ursächliche Treiber von Innovationen. Die eingangs genannte industrielle Revolution 5.0 steht im Zeichen von Quanten-Computing (QC) und der Verknüpfung von KI und QC. Sie werden in naher Zukunft entscheidende Werkzeuge für wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse sein und zu Instrumenten einer Vielfalt von radikalen und disruptiven Innovationen, neuen Technologien und damit auch von neuen Geschäftsmodellen sowie den notwenigen Beiträgen zu Nachhaltigkeit und zur Beherrschung der Folgen des Klimawandels werden.

Einige Entwicklungsbeispiele, an denen heute schon mit QC und QC-KI gearbeitet wird, verdeutlichen das Potenzial:

Zahlreiche weitere Anwendungen sind in der Planung, Entwicklung und in der Realisierungsphase.

Vorreiter in der unternehmerischen Nutzung von KI, IoT und Quanten-Computing sind die USA und China. Und obwohl viel Forschung und Entwicklung in Europa und Deutschland stattfindet, ist die unternehmerische Umsetzung und Anwendung leider nicht auf einem entsprechenden Niveau.

Der Blick nach vorn

Wir befinden uns in „einem Wettlauf um die Zukunft“, bringt es der Physiker Michio Kaku auf den Punkt. Europa und Deutschland sollten sich anstrengen, diesen Wettlauf nicht zu verlieren! Denn wir müssen heute und in Zukunft noch ein Vielfaches an Innovationen erschaffen, um eine nachhaltige Zukunft für die Menschheit und für die Natur zu ermöglichen. Nachhaltige Innovationen und Technologien müssen zum Segen für Mensch und Natur werden!


Steinbeis School of International Business and Entrepreneurship (SIBE)
Für die Zukunft aufgestellt: Innovationsprojekte mit der SIBE

Die Steinbeis School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) unterstützt Unternehmen und Organisationen bei der Entwicklung und Realisierung von Innovationsprojekten unter Einbeziehung junger kompetenter Mitarbeitender mit Bachelor- oder Master-Abschluss, die im Rahmen eines projekt- und berufsintegrierten Master-, Diploma- oder Promotionsprogramms intensiv durch das Expertenteam der SIBE betreut werden. Unter anderem bietet die SIBE in Kooperation mit IBM, der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste und der TUM International ein KI/Quantencomputer-Programm an. Die Projektmitarbeitenden sind im Unternehmen bereits angestellt oder werden entsprechend den Projektanforderungen rekrutiert, auch in internationalen Zielmärkten. Das Projektteam wird mit einer von der SIBE entwickelten und erprobten Innovationsprojektsystematik geführt. Durch den Einsatz von Mitarbeitenden des Unternehmens entsteht und verbleibt die Projektkompetenz im Unternehmen. Bei herausfordernden Projekten werden international spezifische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinzugezogen.

Außerdem unterstützt die SIBE Unternehmen in der Entwicklung und Identifikation von Innovationsfeldern und -ideen sowie bei der (Aus-)Gründung von Innovations-Tochtergesellschaften.

Zahlreiche der von der SIBE realisierten inkrementellen, radikalen und disruptiven Projekte sind in der Publikationsreihe „Management von Innovation und Zukunftsgestaltung“ und „Management von Wachstum und Globalisierung“ publiziert: www.steinbeis-sibe.de/sibe/publikationen [1]