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Volatilität in der Stückgutlogistik

Steinbeis-Experten entwickeln ein Prognose-Tool mit

Im Rahmen eines 12-monatigen Forschungsprojektes, gefördert vom Land Brandenburg, beschäftigt sich das Steinbeis-Innovationszentrum Speditions- und Logistikforschung gemeinsam mit der TLT Berlin GmbH mit der Entwicklung eines Modells zur Vorhersage von Mengenschwankungen in der Stückgutlogistik.

In der Stückgutlogistik werden Sendungen zwischen 30 Kilogramm und 2,5 Tonnen abgewickelt. Die wesentliche Aufgabe des Stückgutlogistikers besteht darin, diese kleinteiligen Sendungen zu größeren Losgrößen zur Überwindung von großen Distanzen zu bündeln. Der Markt für Stückgutlogistik hat sich in den vergangenen 15 Jahren drastisch verändert. Ein wesentliches Merkmal dieser Veränderungen ist die Forderung nach flächendeckenden Angeboten. Diese sind auf das Bestreben der Auftraggeber zurückzuführen, nur noch einen Logistikdienstleister für die gesamte Stückgutlogistik einzusetzen. Die Forderung nach kurzen Laufzeiten von üblicherweise 24 Stunden ist ein weiteres Merkmal. Um die Bündelung erfolgreich mit der Flächendeckung und den kurzen Laufzeiten verbinden zu können, bedarf es gut ausgebauter, flächendeckender Netzwerke. Da die Auftraggeber dieser Netzwerke in allen Regionen ansässig sind und der logistische Bedarf dieser Auftraggeber die Distribution in jede mögliche Empfangsregion umfassen kann, müssen flächendeckend Standorte vorgehalten werden. Anders als die Beschaffungs- oder Distributionslogistik benötigt die Stückgutlogistik somit keine unidirektionalen, sondern multidirektionale Netzwerke. Alle Standorte, in der Netzwerktheorie als Knoten bezeichnet, müssen täglich miteinander verbunden werden. Jeder der Standorte speist täglich die Sendungen in das Netzwerk ein, die er von seinen Kunden übernommen hat. Unabhängig von der täglichen Menge, müssen sowohl die Standorte als auch die Verbindungen vorgehalten werden. Die Kosten für die Standorte als auch die Kosten für die Verbindungen zwischen den Standorten sind somit als auslastungsunabhängig und fix anzusehen. Die variablen Kosten hingegen sind sehr gering.

Der Markt der Stückgutlogistik wird vor allem von Großunternehmen und mittelständischen Stückgutkooperationen dominiert. Aktuell halten die Top 10 des Marktsegments etwa 71 Prozent des Marktanteils bei einem jährlichen Umsatz von 6,7 Milliarden Euro (vgl. Kille/Schwemmer (2014), Top 100 der Logistik, S. 119). In den Stückgutkooperationen schließen sich typischerweise 40 bis 60 mittelständische Logistikdienstleister zusammen, um Synergieeffekte nutzen zu können. Aufgrund der zentralen Kundenanforderung nach Flächendeckung kann ein einzelnes mittelständisches Unternehmen nicht am Markt teilnehmen, sondern muss sich einer Kooperation anschließen. Die extrem hohen Fixkostenanteile für die Vorhaltung der Flächen und der flächendeckenden Verbindungen haben zur Folge, dass der Wettbewerb besonders preisintensiv und die Margen sehr gering sind. Daher ist es umso wichtiger, Kosten zu reduzieren und die Qualität hoch zu halten oder zu steigern, was insbesondere durch eine optimale Auslastung erzielt werden kann. „Optimal“ bedeutet, eine möglichst hohe und gleichmäßige Auslastung. Diese Auslastung wiederum hängt von externen Einflüssen, den Aufträgen, ab, die die Auftraggeber ihren Logistikdienstleistern täglich übergeben (Volumenabhängigkeit).

Eine besondere Herausforderung stellen hierbei die sprungfixen Kosten dar. Sie können sowohl in den Knoten, als auch bei deren Verbindungen entstehen, etwa durch zusätzliche Mitarbeiter im Umschlag oder zusätzliche Einheiten in der Depotversorgung. Die täglichen Aufkommensschwankungen liegen derzeit bei 30 bis 40 Prozent im Marktsegment Stückgut. Aufgrund der hohen Komplexität der Netzwerke ist unklar, wo diese Schwankungen entstehen. Durch die Vielzahl der Auftraggeber, die aus unterschiedlichsten Branchen stammen, sind die Aufkommensschwankungen nicht systemimmanent. Allerdings haben diese Schwankungen in der jüngeren Vergangenheit erheblich zugenommen. Sie sind vermeintlich stochastisch und nicht prognostizierbar. Dies stellt die Logistikdienstleister vor erhebliche Herausforderungen, insbesondere da in der aktuellen Situation, mit Abweichungen von bis zu 40 Prozent der Durchschnittsmenge, erst wenige Stunden vor der Leistungserbringung die tatsächliche Menge bekannt ist. Daraus ergeben sich zahlreiche, erhebliche Probleme: In der Mitarbeitereinsatzplanung ist eine kurzfristige Anpassung der benötigten Mitarbeiter nicht möglich. Bei einem überdurchschnittlichen Aufkommen ergeben sich somit Überbelastungen und Qualitätsprobleme, bei einem unterdurchschnittlichen Aufkommen zu hohe Personalkosten pro Auftrag. Auch die technischen Kapazitäten, dazu zählen Lagerplatz und Fahrzeuge, sind kurzfristig kaum anpassbar und es entstehen ähnliche Probleme wie bei den Mitarbeitern. Einige Kapazitäten sind kurzfristig gar nicht veränderbar, was zusätzlich die Gefahr von Rückstaus mit sich bringt. Tendenziell führt die gestiegene Volatilität in Verbindung mit der fehlenden Prognostizierbarkeit zur Überdimensionierung von Kapazitäten, da aus Qualitätsgründen eine Orientierung an den Aufkommensspitzen erfolgt. Dies ist jedoch mit hohen Leerkosten verbunden. Darüber hinaus führt eine durchschnittlich geringere Auslastung auch zu höheren Umweltbelastungen. Trotz tendenziell zu hoher durchschnittlicher Kapazitäten, ist die gestiegene Volatilität mit Qualitätseinbußen verbunden, da häufiger Aufkommensspitzen, die die vorhandenen Kapazitäten überschreiten, eintreten. Durch den kurzfristigen Einkauf zusätzlicher Kapazitäten am Spotmarkt entstehen, aufgrund der Kurzfristigkeit, besonders hohe Kosten.

Die Kenntnis der Ursachen und eine frühzeitige Abschätzung der Schwankungen könnten helfen, diese erheblichen Probleme zu reduzieren und somit die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Im aktuellen Projektverlauf konnte das Projekt-Team bisher mögliche Ursachen identifizieren und systematisieren. Es stellte dabei fest, dass es vielfältige Einflüsse gibt, die die Schwankungen verursachen. Ein Einfluss ist zum Beispiel das Wetter. Ist das Frühjahr besonders mild und sonnig, so ist beispielsweise der Bedarf an Rollrasen für Baumärkte und Privatkunden höher als in einem kalten und verregneten Frühling. Neben Feiertagen und Ferienzeiten können etwa auch Aktionen seitens der Handelsunternehmen einen Einfluss auf die Schwankungen haben. Allerdings können sich auch mehrere Einflüsse überlagern, was die Herausforderung der genauen Zuordnung der Ursachen erschwert. Ziel des Projektes bei der TLT Berlin GmbH ist es daher, gemeinsam mit dem Steinbeis-Innovationszentrum Speditions- und Logistikforschung ein Verfahren zur Prognose der Volatilität der Mengen zu entwickeln und in ein Prognose-Tool zu überführen.

Kontakt

Prof. Dr. Dirk Lohre lehrt an der Hochschule Heilbronn und leitet das Steinbeis-Beratungszentrum FORLOGIC – Forwarding and Logistics Center und das Steinbeis-Innovationszentrum Speditionsund Logistikforschung an der Hochschule Heilbronn. Beide Steinbeis-Unternehmen bieten ihren Kunden Dienstleistungen in den Bereichen Systemverkehre, Kontraktlogistik, Speditionscontrolling sowie Grüne Logistik und Nachhaltigkeit.

Prof. Dr. Dirk Lohre
Steinbeis-Innovationszentrum Speditions- und Logistikforschung (Flein)