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Rechtfertigt der Nutzen für den Menschen den Schaden für die Umwelt?

Im Gespräch mit Professor Dr. habil. Rita Triebskorn, Steinbeis-Expertin am Steinbeis-Transferzentrum Ökotoxikologie und Ökophysiologie

Die Wahrnehmung eines Risikos hängt immer auch von der öffentlichen Diskussion und dem medialen Fokus eines Themas ab. Klimawandel, Energiekrise und der russische Angriffskrieg stehen aktuell fraglos im Brennpunkt. Dass aber auch Themen außerhalb der öffentlichen und politischen Diskussion Risikopotenzial haben, weiß Professor Dr. habil. Rita Triebskorn. Die Steinbeis-Unternehmerin ist Expertin für Ökotoxikologie und Ökophysiologie und beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Stoffen, wie beispielsweise Chemikalien, auf die belebte Umwelt. Die TRANSFER hat sich mit der Tübinger Professorin darüber unterhalten, welches Risiko der alltägliche Umgang mit solchen Stoffen mit sich bringt.

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Frau Professor Triebskorn, Ökotoxikologie und Ökophysiologie sind die anspruchsvollen Themengebiete, in denen Ihr Steinbeis-Unternehmen unterwegs ist, worum geht es dabei?

Es geht mir darum aufzuzeigen, wie sich die Vielzahl an Chemikalien in unserem täglichen Leben, die beispielsweise über unser Abwasser in den Wasserkreislauf und aus der Fläche in Flüsse und Böden gelangen, zusammen mit anderen Umweltstressoren auf den Gesundheitszustand von Organismen auswirken können. Ich beschäftige mich mit Wirk- oder Inhaltsstoffen von Arzneimitteln, Pestiziden, Kosmetika, Wasch- oder Spülmitteln, aber auch mit künstlichen Süßstoffen, mit denen wir unseren Kaffee süßen, oder Desinfektionsmitteln, die gerade in Zeiten von Corona in großen Mengen weltweit eingesetzt werden. Kläranlagen mit den üblichen Standards können diese Stoffe oft nicht vollständig entfernen, weshalb sie mit dem gereinigten Abwasser in Gewässer gelangen. Wasserlebende Organismen sind deshalb während ihres gesamten Lebens einer Vielzahl solcher Chemikalien gleichzeitig ausgesetzt. Man nennt diese Stoffe Spurenstoffe, weil sie in geringen Konzentrationen, also in Spuren, im Wasserkreislauf vorkommen. Einige Spurenstoffe findet man heute bereits im Grund- und Trinkwasser, glücklicherweise meist noch in sehr geringen Konzentrationen. Die Thematik ist somit nicht nur für unsere Umwelt, sondern auch für uns Menschen von Relevanz – um es deutlicher zu formulieren: ein Risiko.

Ich sehe es als wichtige Transferaufgabe meines Steinbeis-Unternehmens, an dieser Thematik zu forschen und das generierte Wissen in die Öffentlichkeit und Politik zu tragen. Als Mitglied in mehreren Gremien des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und der EU setze ich mich deshalb mit Nachdruck dafür ein, dass Einträge von Chemikalien in unsere Gewässer vermindert und mögliche Maßnahmen hierfür auch in die Praxis umgesetzt werden. Zentral ist hierbei die Realisierung der vierten Reinigungsstufe auf Kläranlagen, durch die bis zu 80 % der Stoffeinträge in Gewässer reduziert werden können. Für die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser, kurz LAWA, wurde von meinem Steinbeis-Unternehmen unter anderem ein Monitoringkonzept entwickelt, das Spurenstoffbelastungen in Gewässern bei der Gewässergütebewertung berücksichtigt.

Wir Menschen beeinflussen unsere Umwelt und das nicht selten negativ. Sie untersuchen die Wirkung von Umweltschadstoffen auf aquatische und terrestrische Organismen: Welche Risiken gibt es hier und was können Wirtschaft und Gesellschaft dagegen unternehmen?

Von vielen der genannten Chemikalien ist bisher wenig darüber bekannt, welche Schäden sie bei exponierten Organismen verursachen können. Noch weniger weiß man darüber, wie die Vielzahl dieser Stoffe miteinander interagiert oder gemeinsam wirkt. Das ist umso erstaunlicher, als wir doch wissen, dass bei uns Menschen unerwünschte und leider oft auch unbekannte Effekte auftreten können, wenn wir beispielsweise verschiedene Medikamente gleichzeitig einnehmen. Die Förderung der Forschung auf diesem Gebiet ist deshalb eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und durchaus Pflicht, die auch von der Wirtschaft mitgetragen werden sollte.

Zu einigen Stoffen, wie dem Schmerzmittel Diclofenac oder ausgewählten Antidepressiva, liegen bereits fundierte Daten vor, die beweisen, dass Konzen­trationen dieser Chemikalien im Nanogrammbereich pro Liter die Gesundheit und das Verhalten von Fischen und anderen Gewässerorganismen schädigen können. Die Abwägung zwischen Nutzen für den Menschen und Schaden für die Umwelt sollte deshalb künftig intensiver in den Blick genommen werden, auch von den Produzenten der Chemikalien.

Die Bundesregierung hat vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung unserer Wasserressourcen auf der Basis eines mehrjährigen Wasserdialogs eine „Nationale Wasserstrategie“ festgeschrieben. An den Gesprächsrunden waren Vertreter und Stakeholder aus sehr unterschiedlichen Aktionsfeldern und auch ich aktiv beteiligt. Die „Nationale Wasserstrategie“ legt zukünftige Maßnahmenpakete zum Gewässerschutz vor. Die Einführung der erwähnten vierten Reinigungsstufe auf Kläranlagen ist hierbei von großer Bedeutung.

Zudem wurde im Rahmen des Stakeholder-Dialogs der Bundesregierung eine Spurenstoffstrategie des Bundes erarbeitet. Darin wurden und werden Maßnahmen zur Eintragsminderung von Spurenstoffen in die Umwelt unter Beteiligung zahlreicher Akteure aus Industrie, Behörden und Wissenschaft beschlossen. Anfang des Jahres wurde in diesem Zusammenhang auch das Spurenstoffzentrum des Bundes in Dessau gegründet. Ich selbst bin berufenes Mitglied des Expertengremiums zur Relevanzbewertung von Spurenstoffen.

Nicht nur die Politik, sondern jede und jeder einzelne von uns kann durch einen achtsameren Umgang mit Arzneimitteln, Körperpflegemitteln, Putz- und Waschmitteln oder auch Kosmetika dazu beitragen, die Einträge von Chemikalien in die Umwelt zu reduzieren. Nicht selten kann man mit der Hälfte der Menge eines Produkts, wie beispielsweise eines Duschgels, gleiche Effekte erzielen und dadurch die Umwelt wie auch den eigenen Geldbeutel schonen. Reste von Arzneimitteln dürfen darüber hinaus keinesfalls über die Toilette oder das Waschbecken entsorgt werden. Der Entsorgungsweg für Arzneimittel unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Das BMBF informiert hier detailliert im Netz.

Neben riskanten Umweltchemikalien schaden auch weitere Stressfaktoren Fischen und anderen Lebewesen, welche sind das?

In unserer Umwelt müssen Organismen heutzutage mit zahlreichen Stressfaktoren, sogenannten Multistressoren, zurechtkommen, die häufig simultan auf sie einwirken. Neben den Tausenden an Chemikalien gehören hierzu auch Makro- und Mikroplastikbelastungen, Konkurrenz durch Neobiota oder Ex­tremwetterereignisse aufgrund des Klimawandels. Für Gewässerorganismen hat ein heißer Sommer, wie wir ihn in diesem Jahr erlebten, drastische Folgen: Zum einen können ganze Gewässerabschnitte austrocknen, zum anderen können im verbleibenden Restwasser aufgrund der hohen Temperaturen geringe Sauerstoffgehalte und hohe Stoffkonzentrationen auftreten, die den Organismen das Überleben erschweren. Aber nicht nur Dürreperioden, auch Starkregenereignisse in Folge des Klimawandels belasten aquatische und terrestrische Ökosysteme. Sie bedingen mechanischen wie auch hydraulischen Stress und führen zu Pestizidverlagerungen aus landwirtschaftlichen Flächen. Zudem kommt es häufiger zu Entlastungen von Regenüberlaufbecken und in der Folge zu Einträgen von ungereinigtem Abwasser in Gewässer. Die Katastrophe im Sommer an der Oder, bei der um die 200 Tonnen Fische und unzählige andere Gewässerorganismen verendeten, zeigt in drastischer Weise das Resultat der Interaktion multipler biotischer und abiotischer Stressfaktoren in einem wertvollen aquatischen Ökosystem. Mein Steinbeis-Unternehmen vertritt diese Thematik auch in der „Wasserchemischen Gesellschaft“ der Gesellschaft Deutscher Chemiker und hier insbesondere im Fachausschuss „(Öko)toxikologische Wirkungen“, den ich leite. Ich will durch mein Engagement dazu beitragen, dass den Themen Schadstoffmischungen in der Umwelt und Multistressoren im Rahmen der Umweltrisikobewertung von Chemikalien mehr Beachtung geschenkt wird.

Sie setzen sich auch mit Wirkungen und Nebenwirkungen von Pflanzenschutzmitteln auseinander, denn im Zuge der globalen Nahrungsmittelerzeugung nimmt dieses Thema einen immer größeren Stellenwert ein. Was sind aus Ihrer Sicht hier die Handlungsoptionen?

Die Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft ist essenziell für das Überleben unserer terrestrischen und aquatischen Ökosysteme. Gleichzeitig sind bestimmte Pflanzenschutzmittel für die Nahrungsmittelerzeugung unumgänglich. Das gilt im Übrigen auch für biologisch erzeugte Produkte. Die Idee des integrierten Pflanzenschutzes hat schon vor sehr vielen Jahren Wege aufgezeigt, wie man umweltschonender mit Pestiziden umgehen sollte. Es geht nicht darum, keine Pflanzenschutzmittel mehr einzusetzen. Der Einsatz sollte jedoch in Qualität und Quantität nicht nur an die Bedürfnisse des Menschen, sondern auch an diejenigen der Umwelt angepasst werden. Das bedeutet die Verwendung möglichst abbaubarer und nützlingsschonender Stoffe mit begrenzten Anwendungszeiten und in optimierten Aufwandsmengen.

Die besten Werkzeuge zur Umsetzung dieser Vision sind finanzielle Anreize für nachhaltige Landwirtschaft. Im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU wurden und werden solche Wege vorgegeben, aber bislang meines Erachtens noch nicht stringent genug verfolgt. Die angestrebte Richtung ist jedoch sehr löblich. Generell sollte der Export von in Deutschland aufgrund ihres Risikos für Mensch und Umwelt nicht mehr zugelassener Pflanzenschutzmittel untersagt werden, wie es derzeit auch vom Umweltministerium angedacht ist. Diese als obsolete Pestizide bezeichneten Chemikalien werden nämlich aktuell noch über Exportketten global verbreitet und landen schließlich wieder bei uns auf dem Tisch und im Wasserkreislauf.