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Risikokultur im Unternehmen ist entscheidend

Im Gespräch mit Professor Dr. Torsten Harms, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Transferzentrum Versicherungen und Finanzen

Wir leben in einer risikoreichen Welt: Das trifft sowohl auf Menschen als auch auf Unternehmen zu. Gerade für Unternehmen ist es wichtig, Risiken rechtzeitig zu erkennen und daraus resultierenden Schaden zu minimieren oder zu vermeiden. Wie ein gelungenes Risikomanagement aussieht und welche Unterstützung die Versicherungsbranche den Unternehmen dabei bietet, das wollte die TRANSFER von Professor Dr. Torsten Harms, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Transferzentrum Versicherungen und Finanzen und Professor für BWL-Versicherung an der DHBW Karlsruhe, wissen.

Herr Professor Harms, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Versicherungen, deren Kerngeschäft in der Übernahme von Risiken besteht. Wie beeinflussen die aktuellen Entwicklungen – Pandemie, Krieg, Energiekrise – das Risikoverständnis und somit die Versicherungsbranche?

Wir konnten in der jüngeren Vergangenheit eine abnormale Häufung von schweren Krisen beobachten, die die westliche Welt besonders stark betrafen: In zwei Dekaden mehrere globale Finanzkrisen, Krieg in Europa und natürlich eine globale Pandemie. Hinzu kommen noch weitere Risiken hinsichtlich klimatischer Veränderungen oder auch durch die globale Vernetzung unter den Stichworten Lieferketten, Cybersicherheit und Energie.

Klassischerweise sind viele dieser Risiken zu Recht nicht oder nur bedingt versicherbar, da bei solchen katastrophalen Events nahezu das gesamte Versichertenkollektiv betroffen ist. Da eine Versicherung aber insbesondere durch den Risikoausgleich zwischen den Versicherten funktioniert, kann hier teilweise kein vollumfänglicher Schutz angeboten werden beziehungsweise wäre dieser für die Kunden preislich unattraktiv.

Zwar arbeitet die Versicherungsbranche intensiv an Lösungen für die Unternehmen und bietet teilweise auch gute Produkte an, etwa im Cyberbereich oder für Betriebsunterbrechungen, letztlich müssen die Unternehmen aber primär am eigenen Risikomanagement arbeiten: Eine immer weitere Fragmentierung der Lieferketten oder minimale Lagerhaltung aus Kostengründen bringt eben auch eine erhöhte Abhängigkeit mit sich. Diese Risiken wurden bislang bei der betriebswirtschaftlichen Optimierung nicht berücksichtigt.

Ein gutes Risikomanagement ist ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Unternehmensstrategie: Wie kann dies konkret gelingen?

Der erste und wichtigste Schritt zu einem guten Risikomanagement ist die Identifikation der eingegangenen Risiken. Hierzu muss im Unternehmen übergreifend eine Risikokultur entwickelt werden, die Risiken nicht als „Störfaktoren“ oder „Bremsen“ sieht, sondern als integraler Bestandteil der betrieblichen Tätigkeit: Es sollte üblich sein, regelmäßig über Risiken zu sprechen und neue Risiken offen zu benennen.

Die anschließende Minimierung der Risiken durch das Unternehmen sollte immer Vorrang vor einer Absicherung durch eine Versicherung haben. Die Unternehmen selbst kennen die eingegangenen Risiken wesentlich besser und besitzen die notwendige Expertise und Möglichkeiten, um risikomindernd zu agieren. Dieses eigene Risikomanagement wird in Zukunft in vielen Branchen eine wesentliche Möglichkeit zur Wertschöpfung sein: Aktuell sind beispielsweise rund zwei Drittel der produzierenden Unternehmen in Deutschland von Lieferengpässen betroffen – hier kann eine robustere Lieferkette mit differenzierter Lagerhaltung kritischer Teile oder Substitutionsplänen bei Engpässen ein echter Wettbewerbsvorteil sein.

Wie verändert die Digitalisierung die Versicherungsbranche, aber auch die Risiken, die diese versichert?

Durch die Digitalisierung lassen sich häufig bessere Lösungen erreichen – etwa eine zeitlich flexible Absicherung von Lagerbeständen. Ebenso besteht die Möglichkeit über weltweit handelbare Derivate Schutzleistung sehr kostengünstig einzukaufen – ein Beispiel sind Wetten auf bestimmte Extremtemperaturen, die sich am Kapitalmarkt über Wetterderivate absichern lassen. Trotz allem bleibt die Versicherungsbranche ein extrem individuelles Geschäft, bei dem sich langjährige Geschäftsbeziehungen auszahlen.

Hinsichtlich der Risiken stehen natürlich Cyberrisiken im Rampenlicht – hier haben nahezu alle Versicherungen mittlerweile gute Angebote im Portfolio. Ebenso wichtig ist aber eine Absicherung gegen digitale Schäden, die nicht durch Angriffe von außen entstehen, sondern etwa durch falsch konfigurierte Back-up-Server und Ähnliches selbst verursacht werden.

Stichwort Cyberrisiken: Wie sieht Ihrer Meinung nach ein erfolgreiches Risikomanagement in diesem Bereich aus und worauf sollten Unternehmen besonders achten?

Zunächst einmal gilt: Cyberkriminalität ist heute ein fester Bestandteil der Unternehmensumwelt. Unternehmen erleben täglich dutzendfach Cyberangriffe. Häufig sind diese glücklicherweise sehr einfach zu erkennen und rein als Massenangriff ausgelegt – trotzdem erleidet nahezu jedes größere Unternehmen heutzutage auch Schäden durch Cyberattacken.

Verstärkt zu beobachten sind auch hybride Angriffe, die neben IT-Technik auch klassische Möglichkeiten nutzen: Ein Beispiel wäre der physische Einbruch und der Diebstahl von unverschlüsselten Daten oder etwa das Vortäuschen von Identitäten im Zuge eines „Fake-CEO“-Anrufes, um unbedarfte Mitarbeiter zur Herausgabe von sicherheitsrelevanten Informationen zu bringen.

Unternehmen müssen deshalb insbesondere einen klaren Aktionsplan im Zuge eines Cyberangriffs haben, inklusive Notbetrieb, und diesen durch regelmäßige Simulationen trainieren. Gerade mit solchen Simulationen gewinnen Unternehmen Handlungssicherheit für die ersten Tage nach einem erfolgreichen Cyberangriff.

Würden Sie sagen, dass die Risiken für Unternehmen aktuell gestiegen sind?

Definitiv ja! Der Hauptgrund ist dabei weniger in einer immer risikoreicheren Welt zu suchen, sondern vor allem in einer immer stärker vernetzten und fragmentierten Wertschöpfung: Reißt hierbei ein Glied der Kette, brechen ganze Wirtschaftszweige zusammen.

In der Vergangenheit wurde dieses immer stärkere Optimieren und Aufbrechen der Wertschöpfungskette mit höheren Profiten belohnt – es scheint so, als ob diese Entwicklung nun an ihre Grenzen gestoßen wäre. Konservatives unternehmerisches Wirtschaften lohnt sich also mehr denn je.