Ohne innovatives Risikomanagement geht es nicht

Mit dem Internet der Dinge und künstlicher Intelligenz Risiken beherrschen

Neue Technologien eröffnen neue Pers­pektiven und neue Möglichkeiten, bringen aber auch neue Risiken mit sich oder verändern die bereits bestehenden. Das kann negative wirtschaftliche Auswirkungen zur Folge haben. Deshalb ist es wichtig, nicht nur Technologien, sondern auch das Risikomanagement mithilfe dieser neuen Technologien zu innovieren. Wie dies gelingen kann, untersucht das Team des Ferdinand-Steinbeis-Instituts und testet die selbst entwickelten Lösungsansätze direkt in der Praxis, getreu der eigenen DNA: Wissenschaft muss der Wirtschaft und der Gesellschaft nachhaltigen Nutzen stiften!

AIoT-Architektur zur Schaffung von Transparenz als Grundlage eines innovativen Risikomanagements © Ferdinand-Steinbeis-Institut

 

Sägewerke und landwirtschaftliche Betriebe sind nicht selten Opfer verheerender Brände. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt der vermehrte Einsatz von Technologien, elektrischen Antrieben und hoch automatisierten Maschinen, die ohne unmittelbare menschliche Kontrolle ihre Arbeit verrichten. Infolgedessen nimmt die Breite an technischen Risiken sowie deren Eintrittswahrscheinlichkeit in vielen Wirtschaftsbereichen stark zu.

Dies führt zum einen zu hohen notwendigen Investitionen in technische Lösungen wie Brandmelde- und -löschanlagen. Zum anderen wird es für Unternehmen solch risikobehafteter Branchen zunehmend schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, ihre Risiken wirtschaftlich sinnvoll zu versichern. Neben den direkten Schäden, die aus technischen Risiken resultieren können, gewinnen die indirekten Folgen zunehmend an Bedeutung. Häufig führen Schäden an technischen Anlagen zu einer Betriebsunterbrechung, die die Lieferfähigkeit des Unternehmens längerfristig beeinträchtigt. Dabei sind die wirtschaftlichen Konsequenzen der indirekten Folgen wesentlich schwerwiegender als der direkte Schaden. Vor dem Hintergrund der Engpässe in der Ersatzteilversorgung und der aktuell langen Lieferzeiten bei der Wiederbeschaffung von Teilen und Maschinen nimmt die Bedeutung der Betriebsunterbrechung und der daraus folgenden Störung von Lieferketten durch technische Schäden dramatisch zu. In Wirtschaft und Gesellschaft wächst daher die Befürchtung, dass die zunehmende Verbreitung neuer Technologien mit einer Steigerung technischer Risiken mit teils drastischen wirtschaftlichen Folgen einhergeht.

Technologie ist aber nicht nur Risikotreiber, sondern eröffnet auch völlig neue Optionen des Risikomanagements. Lösungsansätze, um den Eintritt von Risiken noch früher zu erkennen (zum Beispiel durch bessere Sensorik in der Brandmeldetechnik), um die direkten Schäden möglichst gering zu halten (beispielsweise durch technologische Innovationen in der Löschtechnik) und um die wirtschaftlichen Folgen bestmöglich zu versichern, sind erfolgversprechend.

Betriebs- und Volkswirtschaftlicher Nutzen

Ein innovatives Risikomanagement ist nicht nur für das einzelne Unternehmen hilfreich, sondern darüber hinaus auch volkswirtschaftlich von großem Nutzen: Wertschöpfungsketten werden stabilisiert, negative Wertschöpfung wird vermieden und der Einsatz zusätzlicher (Automatisierungs-)Technologien kann beschleunigt werden. Bleibt die Frage, wie ein solcher Ansatz realisiert werden kann.

Im Rahmen von „Micro Testbeds“ geht das Ferdinand-Steinbeis-Institut gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Sektor dieser Fragestellung nach und initiiert Lösungsansätze, die in Pilotlösungen erprobt werden. Die wesentlichen „Zutaten“ für wirksame „Gamechanger“: Ein kooperatives Mindset und digitale Zwillinge sowie künstliche Intelligenz zur Schaffung von Transparenz.

Kooperatives Mindset als Basis für Erfolg

Technische Risiken sind vielfach multikausal und entstehen sowohl durch die Beschaffenheit von Produkten als auch bei deren Nutzung. Daher sind zur Identifikation und Bewertung von technischen Risiken unterschiedliche Fähigkeiten notwendig, über die in der Regel ein einzelnes Unternehmen nicht verfügt. Für ein erfolgreiches Risikomanagement ist daher die Zusammenstellung eines Business-Ökosystems, also die Einbindung verschiedener Unternehmen mit deren unterschiedlichen Fähigkeiten, eine wesentliche Voraussetzung. Unabdingbare Basis für ein kooperatives Miteinander in diesen Ökosystemen ist, neben der unternehmerischen Entscheidungsfähigkeit der Partner, ihre Bereitschaft auf Augenhöhe und in einem Vertrauensraum offen neue Wege zu gehen.

In der Holzindustrie beispielsweise besitzt der Hersteller von Anlagen Prozess- und Konstruktionsfähigkeiten, die es ihm ermöglichen, technische Risiken des aktuellen Zustands der Anlage zu bewerten. Der Anwender, zum Beispiel ein Industriedienstleister oder Produktionsbetrieb, kann die Zustände der Anlage vor dem Hintergrund ihres aktuellen Einsatzes bewerten. „Risikoversteher“ aus dem Bereich der Versicherungswirtschaft haben aufgrund von in der Vergangenheit regulierten Schadensfällen einen guten Überblick über die gesamte Risikoarchitektur. Dabei gilt: Je breiter das Fähigkeitenbündel im Ökosystem, desto wirksamer die Risikovermeidung. Daher müssen sich unterschiedliche Partner auf das gemeinsame Ziel der Risikobeherrschung einigen und ein kooperatives Leistungsversprechen erstellen – auch wenn dies disruptive Auswirkungen für bestehende Geschäftsmodelle, wie im Beispiel der Holzindustrie für die Versicherungswirtschaft, mit sich bringen kann.

Vor diesem Hintergrund sind für Unternehmen zukünftig Kompetenzen zur Partizipation an Ökosystemen von großer Bedeutung. Wesentlicher Teil dieser Kompetenzen sind der Mut und die Bereitschaft Daten zu teilen, um diese kooperativ wertschöpfend nutzen zu können.

Digitale Zwillinge und künstliche Intelligenz schaffen Transparenz

Transparenz bedingt, dass die zur Risikobewertung notwendigen Objektparameter in der benötigten Aktualität und Qualität allen Partnern gleichermaßen zur Verfügung stehen. Als Architektur hierfür haben sich sogenannte digitale Zwillinge, die mit Internettechnologien auf Cloud-Plattformen reale Objekte virtuell abbilden, bewährt.

In einem Micro Testbed in der Holzindustrie werden an Objekten der Automatisierungstechnik Parameter wie Ableit- und Fehlerströme, Lastspitzen, Körperschall etc. permanent erfasst und in deren digitalen Zwillingen virtuell bereitgestellt. Damit besteht auf der „virtuellen Ebene“ eine vollständige Transparenz über den aktuellen Zustand, der mit (KI-)Algorithmen multiperspektivisch überwacht werden kann. Hierbei werden Kompetenzen zur Nutzung digitaler Zwillinge, zum Einsatz von KI-Technologien sowie insbesondere zur Interpretation der Ergebnisse zu Schlüsselkompetenzen. Unter Einbezug dieses Fähigkeitenbündels und der gemeinschaftlichen Nutzung der Zustandsdaten werden nach den Erfahrungen aus den Testbeds technische Risiken beherrschbar.

Risiken beherrschen: ein Blick in die Zukunft

Durch den Einsatz neuer Technologien im Kontext der Digitalisierung und Automatisierung entstehen technische Risiken, die in Kombination mit klassischen Ansätzen der Schadensregulierung zu hohen wirtschaftlichen Risiken führen können. Ansätze der AIoT-basierten Risikobeherrschung bieten hier vielversprechende Perspektiven, die neben den wirtschaftlichen Chancen auch das Erreichen übergeordneter gesellschaftlicher Nachhaltigkeitsziele versprechen. Allerdings bestehen zur Hebung der genannten Potenziale bei den notwendigen „Zutaten“ noch erhebliche Defizite. Sowohl beim Umdenken im Bereich der kooperativen Datennutzung als auch beim Aufbau von Kompetenzen im AIoT-Umfeld ist insbesondere der Mittelstand gut beraten, deutlich schneller voranzukommen.

 


Micro Testbeds

In Micro Testbeds arbeiten Unternehmen branchenübergreifend, partnerschaftlich und pragmatisch zusammen, um gemeinsam Wertschöpfungsszenarien im realen Unternehmensumfeld und in einer vorher nicht praktizierten Art und Weise experimentell umzusetzen.

Daher wird der Fokus auf die Realisierung kleiner Anwendungsszenarien gelegt. Auf diese Art und Weise entstehen unter Nutzung bestehender Technologien durch interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Produkte und Services im Kontext der Digitalisierung und Vernetzung. Das Ergebnis von Micro Testbeds ist damit vielfach ein vorher nicht antizipierbarer Nutzen für alle Beteiligten.


3 Fragen an Sebastian Renken

Kontakt

Sebastian Renken (Autor)
Research Trainee
Ferdinand-Steinbeis-Institut Stuttgart (Stuttgart)
www.ferdinand-steinbeis-institut.de

Lena Noller (Autorin)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Ferdinand-Steinbeis-Institut Heilbronn (Heilbronn)
www.ferdinand-steinbeis-institut.de

Prof. Dr. habil. Heiner Lasi (Autor)
Geschäftsführer
Ferdinand-Steinbeis-Gesellschaft für transferorientierte Forschung gGmbH der Steinbeis-Stiftung (FSG) (Stuttgart)
www.ferdinand-steinbeis-institut.de

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