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„Geschlechtergerechtigkeit erfordert vor allem einen Wandel in unseren Köpfen“

Im Gespräch mit Martina Schmidt, Leiterin der Kontaktstelle Frau und Beruf Ravensburg – Bodensee-Oberschwaben

Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Job – dieses Ziel ist in Deutschland noch nicht erreicht: Die aktuelle Pandemie hat die Ungleichbehandlung im Berufsleben wie unter einem Vergrößerungsglas einmal deutlicher werden lassen. Die TRANSFER hat mit Martina Schmidt, Leiterin der Kontaktstelle Frau und Beruf Ravensburg – Bodensee-Oberschwaben, gesprochen und sie sowohl nach konkreten Angeboten, mit denen die Kontaktstelle Frauen unterstützt, aber auch nach grundsätzlichen Veränderungen in Gesellschaft und Politik gefragt, die notwendig sind, um die aktuelle Situation zu ändern.

Frau Schmidt, Sie leiten die Kontaktstelle Frau und Beruf: Was sind aus Ihrer Erfahrung die größten Herausforderungen, mit denen Frauen auf ihrem beruflichen Weg konfrontiert werden?
Herausforderungen für Frauen auf ihrem beruflichen Weg gibt es viele: Angefangen mit der Tatsache, dass es auch heute noch in erster Linie die Frauen sind, die beruflich zurückstecken, wenn Kinder kommen, das heißt sie reduzieren Arbeitszeit, steigen teilweise sogar komplett aus und kommen schließlich in Teilzeit zurück, um genügend Zeit für die – unbezahlte – Arbeit in der Familie zu haben. Das bedeutet natürlich finanzielle Einbußen für die Frauen und sie laufen Gefahr im Alter weniger Geld zu haben – bis hin zur Altersarmut. Besonders schlimm betroffen sind Alleinerziehende.

Darüber hinaus verdienen Frauen immer noch deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen, viele Frauen arbeiten im Niedriglohnsektor, beispielsweise in der Pflege, während viele Männer in gehaltsstarken technischen Branchen tätig sind. Gründerinnen erhalten in der Regel viel weniger Kapital als männliche Unternehmer. Frauen sind in Spitzenpositionen deutlich seltener vertreten als Männer, weil sie durch die gläserne Decke ausgebremst werden. Da liegt noch vieles im Argen für uns Frauen.

Mit welchen Angeboten können Sie Frauen in diesen Situationen unterstützen?
Grundsätzlich begleiten wir Frauen bei der Erarbeitung von beruflichen Zielen und entwickeln mit ihnen zusammen Umsetzungsmöglichkeiten und weiterführende Schritte. Dabei ist jede Beratung auf die individuelle Lebenssituation der beratungssuchenden Frauen zugeschnitten. Unser Anspruch ist es, umfassend, neutral und in vertrauensvoller Atmosphäre zu beraten, um die jeweils passende, persönliche Lösung zu finden. Wichtige Themen sind Berufsorientierung, Aufstieg, Umstieg, Weiterqualifizierung, Existenzgründung, Wiedereinstieg sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Darüber hinaus organisiert die Kontaktstelle Frau und Beruf Veranstaltungen und Bildungsmaßnahmen, um unter anderem für die bereits genannten Themen und Herausforderungen zu sensibilisieren und Frauen in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung zu inspirieren, ermutigen und voranzubringen. Hierbei arbeiten wir in enger Kooperation mit den lokalen Arbeitsmarktakteuren zusammen. Bei allen Aktivitäten orientieren wir uns sowohl an den Bedürfnissen der Kundinnen als auch an den Erfordernissen von Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

Die aktuelle Corona-Pandemie bringt vielen Frauen beruflich deutliche Nachteile: Wie hat diese Entwicklung Ihr Angebot für die Betroffenen und somit Ihre Arbeit beeinflusst?
Die durch Corona offenbarte Gesamtsituation der Frauen bereitet uns große Sorge. Corona wirkt ja wie ein Brennglas bezüglich der ohnehin schon bestehenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern.

Gleich zu Beginn der Krise haben wir umgehend unser komplettes Angebot digitalisiert: sowohl das Beratungsangebot als auch die Veranstaltungen. Dadurch konnten wir in dieser schwierigen Zeit sehr schnell sehr viele Frauen erreichen. Unsere Online-Veranstaltungen wurden thematisch darauf ausgerichtet Mut zu machen und zu stärken. So gab es Impulse wie „Entdecke Deine innere Kraft“ oder Workshops wie „Krisenzeiten sind Chancenzeiten“. Die Frauen nahmen dieses Angebot in großer Zahl und sehr dankbar an.

Des Weiteren haben wir passgenaue Angebote entwickelt, zum Beispiel den interaktiven sechswöchigen Online- Workshop „Welcher Job macht mich glücklich“ für Frauen, die sich beruflich verändern wollen oder aufgrund äußerer Zwänge, unter anderem auch aufgrund von Corona, verändern müssen. Ziel dieses Workshops ist es, dass die Teilnehmerinnen sich Woche für Woche klarer werden, was sie wollen und können und sich so gestärkt fühlen die nächsten Schritte zu gehen.

Aber auch Themen wie „Vernetzung und Präsenz auf Social Media“ standen und stehen immer noch auf dem Programm, um Frauen dabei zu unterstützen sich digital zu vernetzen. Glücklicherweise ist unser Team digital sehr affin und sehr flexibel, das macht es uns leicht uns rasch auf neue Themen und Herausforderungen einzustellen.

Sie haben auch Angebote für und mit Unternehmen: Worum geht es dabei und wie gefragt sind diese seitens der Unternehmen?
Unsere Kontaktstelle Frau und Beruf ist Anlaufstelle für Unternehmen, die sich für Chancengleichheit, eine familienbewusste Arbeitszeit sowie eine moderne Personalpolitik und Unternehmenskultur einsetzen. In der Praxis sieht das so aus, dass Unternehmen häufig auf uns zukommen: mit Themenwünschen für gemeinsame Veranstaltungen, zum Beispiel „Mitarbeiterinnen via Social Media gewinnen“ oder aber mit speziellen Fragen, wie sie Netzwerke für Frauen initiieren oder Mitarbeiterinnen in der IT gewinnen und halten können.

Darüber hinaus unterstützen wir Unternehmen bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeiterinnen: Einerseits mit entsprechenden Veranstaltungen, bei denen Unternehmen sich vorstellen können, aber auch mit der gezielten Weitergabe von Stellenangeboten an unseren großen Verteiler. Dies wird von den Unternehmen gerne genutzt.

Immer wieder kommen Firmeninhaber auf uns zu, die geeignete Nachfolgerinnen für ihr Unternehmen suchen. Auch diese Anfragen leiten wir an unser Netzwerk weiter und die eine oder andere potenzielle Nachfolgerin konnte dadurch schon gefunden werden. Nicht zuletzt stand und steht die Kontaktstelle Frau und Beruf den Unternehmen sowie den Selbstständigen und Soloselbstständigen auch für coronabedingte Fragestellungen zur Verfügung.

Was soll sich aufgrund Ihrer Praxiserfahrungen und Wahrnehmungen ändern, damit die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben tatsächlich erreichbar wird?
Geschlechtergerechtigkeit erfordert vor allem einen Wandel in unseren Köpfen, in denen oft noch antiquierte Rollenbilder vorhanden sind, die auch noch durch Medien und Werbung verfestigt werden. Hier braucht es eine systemische Veränderung, dies muss im Grunde im Elternhaus beginnen: Wenn wir wollen, dass Gleichstellung im Arbeitsleben möglichst bald Realität wird, sollten wir unseren Kindern vorleben, wie sie funktioniert – unter anderem, indem wir Sorgearbeit in der Familie besser verteilen und entsprechend wertschätzen.

Darüber hinaus müssen wir Frauen deutlich mehr Präsenz zeigen und für mehr Sichtbarkeit kämpfen, wir müssen uns gegenseitig unterstützen und positive Vorbilder schaffen. Es müssen mehr Frauen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden – in Unternehmen und in der Politik. Wir können nicht warten und hoffen, dass die Strukturen sich ändern. Wir brauchen gesetzliche Maßnahmen, zum Beispiel eine verbindliche Frauenquote. Zumindest so lange, bis wir wirklich Parität erreicht haben.