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Anwendungsnahe Werkstoffprüfung nachhaltig gedacht

Materialien tragen wesentlich zu energieeffizienten Produkten bei

Werkstoffe sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu nachhaltigen Prozessketten. Keramiken sind dabei vielfach unterschätzt, weil sie meist „unsichtbar, jedoch unverzichtbar“ sind. Das Team am Steinbeis-Forschungszentrum Application Center for Sustainable Materials, Technologies & Processes analysiert systematisch und strukturiert Systeme und Technologien sowie deren Interaktion. Daraus lassen sich Forschungsansätze ableiten, die zu nachhaltigen und ressourcenschonenden, energieeffizienten Prozessen und Produkten führen.

Schematische Darstellung des Herstellungsprozesses von Keramiken mit exemplarischen Werkstoffeigenschaften

 

Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften wie die Beständigkeit gegen hohe Temperaturen, Korrosion und Verschleiß bieten Keramiken ein breites Anwendungsfeld. In der chemischen Industrie beispielsweise werden Keramiken als Auskleidungen oder Absperrschieber eingesetzt, in Windkraftanlagen tragen keramische Hybridlager zur En­ergie­wende bei. In der Wasserstoffoffensive der Bundesregierung sind erneuerbare Energien Basis für zukünftige Technologien wie Elektrolysezellen zur Wasserstofferzeugung. Keramische Hoch­leist­ungswerkstoffe sind dabei unabdingbar für Brennstoffzellen oder auch temperaturbeständige Wärmedämmungen in Gasturbinen.

Oxidkeramik kommt bei der Wasserstofferzeugung zum Einsatz

Strategien zur Energiewende beinhalten daher nicht nur die Nutzung von Wasserstoff in der Brennstoffzelle, sondern auch Überlegungen des Energietransports in Form von Wasserstoff. Der Erzeugung von grünem Wasserstoff kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die zur Wasserstofferzeugung notwendige Technik ist eine Festoxid-Elektrolyseurzelle, wobei durch Elektrolyse die Wasserzerlegung in H2 und O2 stattfindet. Der Aufbau und die Betriebstemperaturen sind äquivalent zur Festoxidbrennstoffzelle. Die hohen Betriebstemperaturen zwischen 500 und 1.000 ° C erfordern daher einen festen Elektrolyten aus einem dichten Ionenleiter. Hierfür eignet sich aufgrund der hohen Schmelztemperatur und der hohen Festigkeit eine Oxidkeramik aus yttriumstabilisiertem Zirkonoxid (ZrO2/Y2O3).

Essenziell für Keramiken ist die Temperaturführung während des Brenn- und Sinterprozesses. Darüber werden die Werkstoffeigenschaften eingestellt und die Produktqualität in Kombination mit dem Rohstoff sowie der Formgebung definiert, was einen hohen Energieaufwand bedeutet. Aus diesem Grund ist es wichtig im Herstellungsprozess deutlich Energie einzusparen. Die Herausforderung besteht darin, mit abgesenktem Energieeinsatz die erforderliche Produktqualität sicherzustellen oder sogar zu verbessern. Am Beispiel von yttriumstabilisiertem Zirkonoxid bedeutet dies konkret über die geeignete Prozessführung und Abkühlung oder Anlassprozesse die Einstellung der Kristallstruktur in kubisch, tetragonal oder monoklin, wobei bedingt durch Phasenumwandlungen gewünschte oder unerwünschte Volumensprünge auftreten können.

Häufig werden daher im Herstellungsprozess höhere Brenn- und Sintertemperaturen angewendet, um die hohe Produktqualität sicherzustellen. Ein Optimierungs- und Nachhaltigkeitsansatz liegt in der Temperaturführung des Aufheiz- und Abkühlzyklus. Um die Ofenprozesse energieeffizienter unter Beibehaltung der gleichen oder höheren Produktqualität zu gestalten, wird der holistische Ansatz der Modellierung von Ofenprozessen und Werkstoffeigenschaften in Kombination mit angewandter Werkstoffprüfung gewählt. Oftmals unterliegen die keramischen Hochleistungswerkstoffe im Einsatz einer Thermoschockbelastung oder benötigen eine hohe Temperaturwechselbeständigkeit, wobei diese Werkstoffeigenschaft als kritische Auslegungseigenschaft für Bauteile notwendig ist. Zur Qualitätsbeurteilung der optimierten Ofenprozesse eignet sich daher die Bewertung der Thermoschockbeständigkeit der erzeugten Keramik. Eine Herausforderung dabei ist, dass die bisherigen Werkstoffprüfungsansätze für die Thermoschockbeständigkeit nur qualitative Daten liefern. Die Implementierung solcher qualitativen Ergebnisse in simulationsbasierte Modelle zur Bauteilauslegung oder Lebensdauervorhersage ist nicht möglich.

Modellierung und Simulation in der Werkstoffprüfung

Wie lassen sich anwendungsnah zuverlässige Materialkennwerte erzeugen? Das Steinbeis-Team um Steinbeis-Unternehmerin Professor Dr.-Ing. Verena Merklinger, Professorin der Fakultät Maschinenbau an der HTWG Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung, nutzt dazu die Modellierung und Simulation (Digitalisierung) in Kombination mit anwendungsnaher Werkstoffprüfung zur praxisnahen Auslegung von Bauteilen und Produkten sowie zur energieeffizienten Optimierung der Ofenprozesse. „Dabei wird in einem ersten Schritt die Modellierung und Simulation für die Auslegung und das Design von Prüfkörpern für die Werkstoffprüfung genutzt. Damit einher gehen ein geringerer Materialeinsatz zur Optimierung des Prüfkörperdesigns, weniger Versuchsaufwand und eine Verkürzung der Entwicklungszeit. Diese zielgerichtete und effiziente Prüfkörperauslegung optimiert daher die Werkstoffprüfung“, erläutert Verena Merklinger. Die aus den durchgeführten, anwendungsnahen Werkstoffprüfungen resultierenden Daten und Werkstoffkennwerte fließen im nächsten Schritt in das Simulationsmodell ein und optimieren es dadurch. Anschließend validiert eine erneut durchgeführte Werkstoffprüfung das Simulationsmodell. Diese iterative Vorgehensweise verbessert Schritt für Schritt die Qualität des Modells und führt im Ergebnis zu genaueren Simulationsmodellen mit einer höheren Zuverlässigkeit. Gleichzeitig erlaubt diese Datenbasis eine sichere Auslegung und davon ausgehend ein Upscaling auf größere Bauteile. Des Weiteren verkürzt die Übertragung der Ergebnisse auf ähnliche Bauteile die weitere Entwicklungszeit entscheidend und stellt eine energieeffiziente und ressourcenschonende Unterstützung der Werkstoffprüfung sowie Bauteilauslegung dar. Dieser Ansatz eignet sich auch zur Optimierung der Brenn- und Sinterprozesse mit einer energieeffizienteren Temperaturführung.

Speziell zur Bestimmung der thermomechanischen Eigenschaften steht im Stein­beis-Unternehmen ein Thermoschockprüfstand zur Verfügung. Integriert in den Qualitätssicherungsprozess eröffnet dies die Möglichkeit, potenzielle Auswirkungen einer veränderten Produktherstellung besser zu charakterisieren und zu beschreiben. Dieser Ansatz stellt auch eine wichtige Grundlage bei der Optimierung von Herstellungsprozessen dar, beispielsweise bei einer Absenkung der Prozesstemperatur zur Energieeinsparung oder beim Einsatz von Wasserstoff mit einhergehendem verändertem Temperaturprofil in Ofenprozessen unter Beibehaltung der Produktqualitätsansprüche. Mit der VM&P GmbH konnte das Steinbeis-Team ein Unternehmen mit Expertise in der Modellierung und Simulation von Ofenprozessen und deren Optimierung gewinnen. Im Steinbeis-Forschungszentrum findet die anwendungsnahe, an die Anforderungen des jeweiligen Kunden angepasste Werkstoffprüfung statt sowie die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse und schließlich die Ableitung von Handlungsempfehlungen.

Nachhaltigkeit verlangt ganzheitliche Analyse der Prozesskette

Das Beispiel der Oxidkeramik macht deutlich, dass für zukünftige grüne Technologien Keramiken essenziell sind und Nachhaltigkeit die gesamte Prozesskette bis hin zur Qualitätsbeurteilung und Werkstoffprüfung betrifft. Die Implementierung des systematischen, holistischen Ansatzes, der die gesamte Prozesskette bis zur Anwendung betrachtet, trägt wesentlich zur Nachhaltigkeit nicht nur bei keramischen Werkstoffen, sondern auch bei Metallen, Polymeren und Verbundwerkstoffen bei. Deshalb sind neben den thermomechanischen Eigenschaften die Betrachtung und Analyse von Korrosions- sowie Verschleißbeanspruchungen von Bauteilsystemen ebenfalls Bestandteil nachhaltiger Systeme und Technologien. Der Nachhaltigkeitsansatz des Teams am Steinbeis-Forschungszentrum Application Center for Sustain­able Materials, Technologies & Processes beschränkt sich deshalb nicht nur auf Werkstoffe, sondern umfasst und unterstützt auch den Innovations- und Entwicklungsprozess durch Modellierung und Simulation in Kombination mit angewandter Werkstoffprüfung.