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Keine Energiewende ohne den Menschen

Steinbeis-Experten entwickeln ein Beteiligungskonzept für einen besseren Dialog

2011 beschloss die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie und im Juli 2020 den Ausstieg aus der Energiegewinnung durch Kohlekraftwerke, der in mehreren Schritten bis zum Jahr 2038 erfolgen soll. Parallel werden zentrale Vorhaben wie die Elektrifizierung des Individualverkehrs mit Nachdruck vorangetrieben. Voraussetzung für all diese ambitionierten Vorhaben ist ein leistungsfähiges Hochspannungsnetz, das alle Regionen in Deutschland zuverlässig, wirtschaftlich und umweltverträglich mit Elektrizität versorgt und dabei die sich verändernden Rahmenbedingungen berücksichtigt. Allerdings wird in dieser Rechnung sehr oft der Faktor Mensch nicht beachtet. Warum das zu Problemen führen kann und wie die Trassenbetreiber dem entgegenwirken können, erklären die Steinbeis-Experten Professor Dr. Gernot Barth und Jonathan Barth.

Schon auf technischer Ebene birgt ein solches Hochspannungsnetz sehr große Unwägbarkeiten und Herausforderungen. Wird jedoch der Faktor Mensch in diese Entwicklung nicht genügend einbezogen, kann es noch problematischer werden, denn der Mensch muss den Transformationsprozess der Energiewende mittragen, damit dieser erfolgreich sein kann.

Aneinander vorbeireden ist oft das Problem

Aus energiepolitischer Sicht ist bei den Entscheidungen stets das Zieldreieck aus Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Bei der Abwägung der Zielpriorisierung und der Gewichtung der rechtlich gegeneinander abzuwägenden Güter findet in aller Regel ein „Dialogprozess“ statt, der zur Eindimensionalität neigt: Die Beteiligten reden „aneinander vorbei“. Das kann dann so aussehen: Die Ingenieure des Netzbetreibers vertreten ihre Sicht der Dinge hinsichtlich der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit. Die mit dem Trassenbau befassten Juristen betrachten das Vorhaben aus der abstrakten rechtlichen Abwägung der Güter. Die betroffenen Bürger hingegen agieren in aller Regel emotionalisiert und statten sich mit zusätzlichem Expertenwissen aus, um im ungünstigsten Fall ein Klageverfahren gegen ein geplantes Energieprojekt anzustreben. Keiner der Verfahrensbeteiligten agiert aus seiner Rolle heraus falsch. Für das Gesamtergebnis, das Erreichen eines für alle Seiten akzeptablen Verhandlungsergebnisses, ist dieses aneinander vorbeireden jedoch schädlich.

So werden zum Beispiel dringend benötigte Stromtrassen durch Klageverfahren im Rahmen von Planfeststellungs­verfahren mit großer Verzögerung oder bei einer erfolgreichen Klage überhaupt nicht gebaut und bewirken zusätzliche Unsicherheiten in der Stromversorgung. Diesen Umstand gilt es aus gesamtgesellschaftlicher Sicht, aber auch aus Sicht der Trassenbetreiber zu verhindern.

Beteiligungskonzept ermöglicht Dialog

Dieser Herausforderung begegnet das Steinbeis-Team um Gernot Barth mit individuell entwickelten Beteiligungskonzepten, um sowohl die Interessen der Bürger und der Kommunen, die von den Maßnahmen des Netzausbaus betroffen sind, aber auch die Interessen der Netzbetreiber zu harmonisieren. „Dabei sind die zentralen Erfolgsfaktoren der Bürgerbeteiligung nicht nur in der wertschätzenden und transparenten externen Kommunikation mit den Bürgern zu sehen. Parallel ist auch ein Wandel in der Herangehensweise der Trassenbetreiber vonnöten“, so Gernot Barth. Die Branche arbeitet seit vielen Jahrzehnten in einem von Regulierung geprägten Marktumfeld. Über die Jahre hat sich so eine starke Kundenorientierung zum einen in formaler Sicht in Richtung Bundesnetzagentur und zum anderen zu den Trassennutzern entwickelt. Diese Orientierung ist aus ökonomischer und organisationstheoretischer Sicht nachvollziehbar und rational. Die Notwendigkeit der vollumfänglich transparenten und proaktiven Kommunikation in Richtung weiterer Stakeholder ist in der Branche jedoch aufgrund der Stellung als reguliertes Unternehmen nicht selbstverständlich. Durch den Trend der immer stärkeren Individualisierung der Gesellschaft hat sich eine veränderte Erwartungshaltung aus Bürgersicht entwickelt, die Energienetzbetreiber berücksichtigen sollten, um ihre Projekte nachhaltig umzusetzen. Da es sich hierbei um über Jahre gewachsene Strukturen handelt, bedarf es eines ganzheitlichen Veränderungsansatzes, der bis in die Organisationsstruktur des Netzbetreibers hineinführen muss.

Das vom Steinbeis-Team entwickelte Beteiligungskonzept für Trassenbetreiber strebt diese Veränderung an und umfasst sowohl inner- als auch außerorganisationale Aspekte. Zu ersterem gehören die Gründung einer Taskforce, interdisziplinäre Arbeitsteams, eine agile Arbeitsweise und die Einführung eines Konfliktsteuerungssystems für Trassenbauprojekte. Die außerorganisationalen Aspekte umfassen die Stakeholderanalyse, ein Mediationsteam, das Neudenken der Kommunikation mit allen Stakeholdern, ein kontinuierliches Coaching von Kommunikatoren, eine deeskalierende Kommunikation und maximale Transparenz. Nur das Zusammenspiel all dieser Faktoren kann zu einem erfolgreichen Dialog, einem nachhaltigen Ausbau des Hochspannungsnetzes und somit zu einer gelingenden Energiewende beitragen.